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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Gottsched und die deutsche Sprache.

berlins nennen, weil sie in Berlin erfunden worden, ein gewisses Kartenspiel
aber lansHuenöt von Landsknecht heißen, welches die deutschen Soldaten er¬
funden haben, die man vormals so genannt hat. Wo aber im Deutschen gute
Wörter vorhanden sind, da ist es lächerlich, sich der fremden zu bedienen, wie
diejenigen, die unaufhörlich von Porte-Chaisen, Antichambren, Garderoben, Alleen
und Promenaden reden, gerade als ob wir keine Sänften, Vorzimmer, Kleider¬
kammern und Spaziergänge hätten. Die Glieder der Fruchtbringenden Gesell¬
schaft wurden auch nicht sowohl dadurch lächerlich, weil sie alles deutsch geben
wollten, als weil sie es bisweilen aus eine seltsame Art thaten, die der deutschen
Sprache nicht gemäß war."

Was wir jetzt Lehnwörter nennen, erkennt auch Gottsched in der deutschen
Sprache als berechtigt an; überhaupt rät er, fremden Wörtern, die man aus
Not brauchen muß, ein "einheimisches Ansehen" zu geben. Wie man aus
imwrs. Natur, aus tswxlum Tempel, aus xalg-tiuni Palast gemacht habe, so
solle man nicht "Secretaire," sondern "Sekretär" schreiben. Aber in einer An¬
merkung fügt er auch hier noch einmal hinzu: "Ich rate aber, nicht mit Fleiß
und ohne Not solche Fremdlinge ins Deutsche aufzunehmen. Wenn man ein¬
heimische hat, so gehen diese allemal vor. Nur wenn sich gewisse ausländische
Sachen finden, die sich nicht gleich umlaufen lassen wollen, so muß man es
macheu, wie der türkische Kaiser es mit fremden Gesandten macht, wenn sie
öffentlich vor ihm erscheinen. Wollen sie nicht Türken werden, so müssen sie
doch türkische Kaftane anziehen, das heißt: die fremden Wörter müssen deutsche
Gestalten annehmen."

Wie Gottsched für militärische und musikalische Ausdrücke deutsche Wörter
vorschlägt, so bedient er sich selbst in den von ihm angebauten Wissenschaften
meist deutscher Bezeichnungen. Er nennt sich Professor der Weltweisheit, ver¬
faßt ein Werk unter dem Titel: "Erste Gründe der gesamten Weltweisheit" und
schreibt nicht eine Rhetorik und eine Poetik, sondern eine "Redekunst" und eine
"kritische Dichtkunst." Wie weit stehen die Schulen unsrer Zeit an vater¬
ländischen Sinne hinter Gottsched zurück, wenn man da statt der Lehre von
den Arten und Formen der Dichtkunst "Poetik" vorträgt! Gottsched spricht von
Erdkunde, während in unsern Schulen noch "Geographie" gelehrt wird, und in
seiner "Sprachkunst" bedient er sich "deutscher Kunstwörter," indem er, wie er
in der Vorrede sagt, teils von alten Sprachlehrern "die besten, bequemsten und
der gemeinen Art zu reden gemäßesten" entlehnt, teils "sich erkühnet, etliche noch
etwas besser einzurichten." Er ist aber ausdrücklich bereit, "Erinnerungen des¬
wegen anzunehmen" und "zu bessern, wenn er eines bessern überführet und be¬
lehret würde." So giebt es denn zum Beispiel in seiner Sprachkunst nicht drei
Grade der Komparation, sondern drei Vergleichungsstaffeln, keine Konjugationen,
sondern Abwandlungen der Zeitwörter, keine Kolon und Semikolon, sondern
Doppelpunkte und Strichpunkte.


Gottsched und die deutsche Sprache.

berlins nennen, weil sie in Berlin erfunden worden, ein gewisses Kartenspiel
aber lansHuenöt von Landsknecht heißen, welches die deutschen Soldaten er¬
funden haben, die man vormals so genannt hat. Wo aber im Deutschen gute
Wörter vorhanden sind, da ist es lächerlich, sich der fremden zu bedienen, wie
diejenigen, die unaufhörlich von Porte-Chaisen, Antichambren, Garderoben, Alleen
und Promenaden reden, gerade als ob wir keine Sänften, Vorzimmer, Kleider¬
kammern und Spaziergänge hätten. Die Glieder der Fruchtbringenden Gesell¬
schaft wurden auch nicht sowohl dadurch lächerlich, weil sie alles deutsch geben
wollten, als weil sie es bisweilen aus eine seltsame Art thaten, die der deutschen
Sprache nicht gemäß war."

Was wir jetzt Lehnwörter nennen, erkennt auch Gottsched in der deutschen
Sprache als berechtigt an; überhaupt rät er, fremden Wörtern, die man aus
Not brauchen muß, ein „einheimisches Ansehen" zu geben. Wie man aus
imwrs. Natur, aus tswxlum Tempel, aus xalg-tiuni Palast gemacht habe, so
solle man nicht „Secretaire," sondern „Sekretär" schreiben. Aber in einer An¬
merkung fügt er auch hier noch einmal hinzu: „Ich rate aber, nicht mit Fleiß
und ohne Not solche Fremdlinge ins Deutsche aufzunehmen. Wenn man ein¬
heimische hat, so gehen diese allemal vor. Nur wenn sich gewisse ausländische
Sachen finden, die sich nicht gleich umlaufen lassen wollen, so muß man es
macheu, wie der türkische Kaiser es mit fremden Gesandten macht, wenn sie
öffentlich vor ihm erscheinen. Wollen sie nicht Türken werden, so müssen sie
doch türkische Kaftane anziehen, das heißt: die fremden Wörter müssen deutsche
Gestalten annehmen."

Wie Gottsched für militärische und musikalische Ausdrücke deutsche Wörter
vorschlägt, so bedient er sich selbst in den von ihm angebauten Wissenschaften
meist deutscher Bezeichnungen. Er nennt sich Professor der Weltweisheit, ver¬
faßt ein Werk unter dem Titel: „Erste Gründe der gesamten Weltweisheit" und
schreibt nicht eine Rhetorik und eine Poetik, sondern eine „Redekunst" und eine
„kritische Dichtkunst." Wie weit stehen die Schulen unsrer Zeit an vater¬
ländischen Sinne hinter Gottsched zurück, wenn man da statt der Lehre von
den Arten und Formen der Dichtkunst „Poetik" vorträgt! Gottsched spricht von
Erdkunde, während in unsern Schulen noch „Geographie" gelehrt wird, und in
seiner „Sprachkunst" bedient er sich „deutscher Kunstwörter," indem er, wie er
in der Vorrede sagt, teils von alten Sprachlehrern „die besten, bequemsten und
der gemeinen Art zu reden gemäßesten" entlehnt, teils „sich erkühnet, etliche noch
etwas besser einzurichten." Er ist aber ausdrücklich bereit, „Erinnerungen des¬
wegen anzunehmen" und „zu bessern, wenn er eines bessern überführet und be¬
lehret würde." So giebt es denn zum Beispiel in seiner Sprachkunst nicht drei
Grade der Komparation, sondern drei Vergleichungsstaffeln, keine Konjugationen,
sondern Abwandlungen der Zeitwörter, keine Kolon und Semikolon, sondern
Doppelpunkte und Strichpunkte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/411>, abgerufen am 28.09.2024.