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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der deutsche Bund.

Seine Wirksamkeit, soweit von einer solchen überhaupt die Rede sein kann,
äußerte sich wieder in altgewohnter Weise. Mir die Prüfung oder Beurteilung
von Verfassungsfragen wurde eine "Bundeszentralkommisston" eingesetzt, der so¬
genannte Reaktionsausschuß, und diese Behörde rechtfertigte das vom Bunde
in sie gesetzte Vertrauen vollständig. In Hessen-Kassel, Hessen-Homburg, Lippe-
Detmold stieß sie die beschworenen Verfassungen um; Hassenpflug und Hannibal
Fischer waren Männer nach ihrem Herzen. In Württemberg, Hannover,
Mecklenburg begünstigte sie die bunteste Reaktion. Durch das Bundesgesetz
vom 6. Juli 1854 wurde für die sämtlichen deutschen Bundesstaaten eine gemein¬
same Norm für die Preßverhältuisse aufgestellt, und die alten Preßqnälereieu
begannen von neuem. Im übrigen lastete auf dem politischen Leben der deutschen
Nation derselbe dumpfe Druck, über unserm Baterlande dieselbe dumpfe Schwüle,
welche für die Zeit vor 1848 kennzeichnend gewesen war.

Als der orientalische oder Krimkrieg tobte, suchte Österreich für seine
Sonderzwecke den deutschen Bund und auch Preußen in den Krieg hineinzu¬
ziehen. Die kluge und feste Politik Preußens, auf die bereits der damalige
Bundestagsgesandte Otto von Vismarck einzuwirken anfing, verhinderte dies.
Bei dem blutigen Kampfe um die Lombardei war Preußen bereit, Osterreich
Bundeshilfe zu leisten, und die dichten Heersäulen der Preußen zogen zum
Rheine, um Österreich, das zwar bei Magenta und Solferino geschlagen, aber
noch keineswegs niedergeworfen war, durch einen Einmarsch in Frankreich Luft
zu schaffen. Aber der Kaiser Franz Josef schloß lieber den übereilten Frieden
zu Villcifranea, als daß er preußische Hilfe angenommen hätte. Was bei diesem
Friedensschlüsse, abgesehen von der überlegenen Schlauheit und Dialektik des
Kaisers Napoleon, den Ausschlag gegeben hatte, das war der unüberwindliche
Haß, das unbesiegbare Mißtrauen gegen Preußen. ?roxrium est- inMmi
liuinMi oäissö auen lÄkssris, sagt ein altes lateinisches Wort, und Österreich
hatte Preußen in dem letzten Jahrzehnt zu viel Böses zugefügt, um eine andre
Empfindung hegen zu können. Napoleon verstand es geschickt, das Mißtrauen
des österreichischen Kaisers zu benutzen und in ihm den Argwohn wachzurufen,
daß Preußen diese Gelegenheit nur benutzen wolle, um neben der militärischen
auch die politische Leitung Deutschlands an sich zu reißen. Das kostete Öster¬
reich die Lombardei.

In allen innern Fragen pflegte sich Preußen entweder gleich den öster¬
reichischen Absichten zu fügen, oder es wurde am Bunde überstimmt, "majvrisirt";
eine willfährige Mehrheit fand die kaiserliche Negierung immer, und dann gab
Preußen nach. Man darf sich daher nicht wundern, wenn Österreich den Ver¬
such machte, Preußen vollends zu einem Staate zweiten Ranges herabzudrücken.
Dazu sollte der sogenannte Bundesreformplan vom Jahre 1863 dienen. Dieser
Plan war durch geheime Verhandlungen mit den Mittelstaaten festgestellt worden,
und Preußen sollte damit völlig überrascht und vereinzelt werden. Erst am


Der deutsche Bund.

Seine Wirksamkeit, soweit von einer solchen überhaupt die Rede sein kann,
äußerte sich wieder in altgewohnter Weise. Mir die Prüfung oder Beurteilung
von Verfassungsfragen wurde eine „Bundeszentralkommisston" eingesetzt, der so¬
genannte Reaktionsausschuß, und diese Behörde rechtfertigte das vom Bunde
in sie gesetzte Vertrauen vollständig. In Hessen-Kassel, Hessen-Homburg, Lippe-
Detmold stieß sie die beschworenen Verfassungen um; Hassenpflug und Hannibal
Fischer waren Männer nach ihrem Herzen. In Württemberg, Hannover,
Mecklenburg begünstigte sie die bunteste Reaktion. Durch das Bundesgesetz
vom 6. Juli 1854 wurde für die sämtlichen deutschen Bundesstaaten eine gemein¬
same Norm für die Preßverhältuisse aufgestellt, und die alten Preßqnälereieu
begannen von neuem. Im übrigen lastete auf dem politischen Leben der deutschen
Nation derselbe dumpfe Druck, über unserm Baterlande dieselbe dumpfe Schwüle,
welche für die Zeit vor 1848 kennzeichnend gewesen war.

Als der orientalische oder Krimkrieg tobte, suchte Österreich für seine
Sonderzwecke den deutschen Bund und auch Preußen in den Krieg hineinzu¬
ziehen. Die kluge und feste Politik Preußens, auf die bereits der damalige
Bundestagsgesandte Otto von Vismarck einzuwirken anfing, verhinderte dies.
Bei dem blutigen Kampfe um die Lombardei war Preußen bereit, Osterreich
Bundeshilfe zu leisten, und die dichten Heersäulen der Preußen zogen zum
Rheine, um Österreich, das zwar bei Magenta und Solferino geschlagen, aber
noch keineswegs niedergeworfen war, durch einen Einmarsch in Frankreich Luft
zu schaffen. Aber der Kaiser Franz Josef schloß lieber den übereilten Frieden
zu Villcifranea, als daß er preußische Hilfe angenommen hätte. Was bei diesem
Friedensschlüsse, abgesehen von der überlegenen Schlauheit und Dialektik des
Kaisers Napoleon, den Ausschlag gegeben hatte, das war der unüberwindliche
Haß, das unbesiegbare Mißtrauen gegen Preußen. ?roxrium est- inMmi
liuinMi oäissö auen lÄkssris, sagt ein altes lateinisches Wort, und Österreich
hatte Preußen in dem letzten Jahrzehnt zu viel Böses zugefügt, um eine andre
Empfindung hegen zu können. Napoleon verstand es geschickt, das Mißtrauen
des österreichischen Kaisers zu benutzen und in ihm den Argwohn wachzurufen,
daß Preußen diese Gelegenheit nur benutzen wolle, um neben der militärischen
auch die politische Leitung Deutschlands an sich zu reißen. Das kostete Öster¬
reich die Lombardei.

In allen innern Fragen pflegte sich Preußen entweder gleich den öster¬
reichischen Absichten zu fügen, oder es wurde am Bunde überstimmt, „majvrisirt";
eine willfährige Mehrheit fand die kaiserliche Negierung immer, und dann gab
Preußen nach. Man darf sich daher nicht wundern, wenn Österreich den Ver¬
such machte, Preußen vollends zu einem Staate zweiten Ranges herabzudrücken.
Dazu sollte der sogenannte Bundesreformplan vom Jahre 1863 dienen. Dieser
Plan war durch geheime Verhandlungen mit den Mittelstaaten festgestellt worden,
und Preußen sollte damit völlig überrascht und vereinzelt werden. Erst am


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[0404] Der deutsche Bund. Seine Wirksamkeit, soweit von einer solchen überhaupt die Rede sein kann, äußerte sich wieder in altgewohnter Weise. Mir die Prüfung oder Beurteilung von Verfassungsfragen wurde eine „Bundeszentralkommisston" eingesetzt, der so¬ genannte Reaktionsausschuß, und diese Behörde rechtfertigte das vom Bunde in sie gesetzte Vertrauen vollständig. In Hessen-Kassel, Hessen-Homburg, Lippe- Detmold stieß sie die beschworenen Verfassungen um; Hassenpflug und Hannibal Fischer waren Männer nach ihrem Herzen. In Württemberg, Hannover, Mecklenburg begünstigte sie die bunteste Reaktion. Durch das Bundesgesetz vom 6. Juli 1854 wurde für die sämtlichen deutschen Bundesstaaten eine gemein¬ same Norm für die Preßverhältuisse aufgestellt, und die alten Preßqnälereieu begannen von neuem. Im übrigen lastete auf dem politischen Leben der deutschen Nation derselbe dumpfe Druck, über unserm Baterlande dieselbe dumpfe Schwüle, welche für die Zeit vor 1848 kennzeichnend gewesen war. Als der orientalische oder Krimkrieg tobte, suchte Österreich für seine Sonderzwecke den deutschen Bund und auch Preußen in den Krieg hineinzu¬ ziehen. Die kluge und feste Politik Preußens, auf die bereits der damalige Bundestagsgesandte Otto von Vismarck einzuwirken anfing, verhinderte dies. Bei dem blutigen Kampfe um die Lombardei war Preußen bereit, Osterreich Bundeshilfe zu leisten, und die dichten Heersäulen der Preußen zogen zum Rheine, um Österreich, das zwar bei Magenta und Solferino geschlagen, aber noch keineswegs niedergeworfen war, durch einen Einmarsch in Frankreich Luft zu schaffen. Aber der Kaiser Franz Josef schloß lieber den übereilten Frieden zu Villcifranea, als daß er preußische Hilfe angenommen hätte. Was bei diesem Friedensschlüsse, abgesehen von der überlegenen Schlauheit und Dialektik des Kaisers Napoleon, den Ausschlag gegeben hatte, das war der unüberwindliche Haß, das unbesiegbare Mißtrauen gegen Preußen. ?roxrium est- inMmi liuinMi oäissö auen lÄkssris, sagt ein altes lateinisches Wort, und Österreich hatte Preußen in dem letzten Jahrzehnt zu viel Böses zugefügt, um eine andre Empfindung hegen zu können. Napoleon verstand es geschickt, das Mißtrauen des österreichischen Kaisers zu benutzen und in ihm den Argwohn wachzurufen, daß Preußen diese Gelegenheit nur benutzen wolle, um neben der militärischen auch die politische Leitung Deutschlands an sich zu reißen. Das kostete Öster¬ reich die Lombardei. In allen innern Fragen pflegte sich Preußen entweder gleich den öster¬ reichischen Absichten zu fügen, oder es wurde am Bunde überstimmt, „majvrisirt"; eine willfährige Mehrheit fand die kaiserliche Negierung immer, und dann gab Preußen nach. Man darf sich daher nicht wundern, wenn Österreich den Ver¬ such machte, Preußen vollends zu einem Staate zweiten Ranges herabzudrücken. Dazu sollte der sogenannte Bundesreformplan vom Jahre 1863 dienen. Dieser Plan war durch geheime Verhandlungen mit den Mittelstaaten festgestellt worden, und Preußen sollte damit völlig überrascht und vereinzelt werden. Erst am

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/404>, abgerufen am 27.06.2024.