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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der deutsche Bund.

Antwort bestand zunächst darin, daß der Fürst von Thurn und Taxis weiter
vorrückte. Nun wurde auch in Berlin, namentlich auf das Drängen des Prinzen
von Preußen, eine allgemeine Mobilmachung beschlossen, und das ganze Land
hallte wieder vom Lärme der Waffen. Manteuffel erklärte zwar, daß damit
uur die Volksstimmung beruhigt werden sollte, und that die bekannte Äußerung,
daß "der Starke mutig weicht."^) In diesem Sinne war der General Groben
instruirt worden. Förmlich betäubend wirkte in Preußen, im Volke wie im
Heere, die Nachricht, daß bei Bronnzell, nachdem man einige Schüsse gewechselt
hatte, durch die ein preußischer Trompeterschimmel verwundet worden war, die
Preußen sich ohne Widerstand zurückgezogen hatten, "aus strategischen Rück¬
sichten," wie es hieß, um die "Etappenstraße" bei Hersfeld zu besetzen (8. November
1850). Das ganze Zusammentreffen wurde für ein "Mißverständnis" erklärt.

Wie war das möglich? fragte man sich allgemein, und fragt man sich wohl
noch jetzt. Ein solcher Schlag war der preußischen Waffenehre noch nie zu¬
gefügt worden. Um das zu erklären, müssen wir unsre Blicke auf einen andern,
weit entfernten Schauplatz wenden, wo die Fäden zu dem diplomatischen Ränke¬
spiel geknüpft wurden, welches diese unerhörte Demütigung des tapfern, un¬
besiegten Heeres herbeiführte.

Seit dem 16. Oktober weilte Kaiser Nikolaus in Warschau. Auf seine
Einladung besuchte ihn dort der Kaiser Franz Josef, begleitet von seinem Mi¬
nister von Schwarzenberg. Auch Friedrich Wilhelm IV. hatte die Entscheidung
seines Schwagers angerufen und schickte zu dessen Begrüßung seinen Bruder,
den Prinzen Karl, und den Ministerpräsidenten Graf Brandenburg nach Warschau.
Ehe der Selbstherrscher aller Reußen nicht gesprochen hatte, konnte nichts ge¬
schehen, und dieser zögerte nicht, seine Willensmeinung mit gewohnter Kürze
und Klarheit auszudrücken. Wie ein römischer Imperator einen Statthalter
empfing, der sich sein Mißfallen zugezogen hatte, und der nach Rom entboten
war g.6 auäisnäunr vsrdnw, tüasWris, so empfing Kaiser Nikolaus den preu¬
ßischen Minister. Er bezeichnete die preußischen Unionsbestrebungen als Lieb¬
äugeln mit der Revolution, warf Preußen vor, von den altehrwllrdigen Über¬
lieferungen der heiligen Allianz abgewichen zu sein, und verlangte unbedingte
Nachgiebigkeit gegen die Forderungen Österreichs. Nicht einmal etwas erwiedern
durfte Graf Brandenburg dem Schwager seines Königs. Sein Hohenzollernblut
stockte, sein treues preußisches Herz brach ob dieser Schmach. Erschüttert und
geknickt kehrte er nach Berlin zurück. In wenigen Tagen wurde der tapfere und
starke Murr von einem hitzigen Fieber dahingerafft (6. November 1850). Die
letzten Worte, die man von ihm vernahm, waren: "Meinen Helm, mein
Schwert____Die ganze Armee vorrücken----Es ist zu spät."



") In dieser Form, die am verbreiietsten ist, ist die Äußerung allerdings nicht gefallen;
auch nicht in der: "Der Starke weicht einen Schritt zurück," Wörtlich hiesi es: "Der Starke
tritt wohl einen Schritt zurück."
Der deutsche Bund.

Antwort bestand zunächst darin, daß der Fürst von Thurn und Taxis weiter
vorrückte. Nun wurde auch in Berlin, namentlich auf das Drängen des Prinzen
von Preußen, eine allgemeine Mobilmachung beschlossen, und das ganze Land
hallte wieder vom Lärme der Waffen. Manteuffel erklärte zwar, daß damit
uur die Volksstimmung beruhigt werden sollte, und that die bekannte Äußerung,
daß „der Starke mutig weicht."^) In diesem Sinne war der General Groben
instruirt worden. Förmlich betäubend wirkte in Preußen, im Volke wie im
Heere, die Nachricht, daß bei Bronnzell, nachdem man einige Schüsse gewechselt
hatte, durch die ein preußischer Trompeterschimmel verwundet worden war, die
Preußen sich ohne Widerstand zurückgezogen hatten, „aus strategischen Rück¬
sichten," wie es hieß, um die „Etappenstraße" bei Hersfeld zu besetzen (8. November
1850). Das ganze Zusammentreffen wurde für ein „Mißverständnis" erklärt.

Wie war das möglich? fragte man sich allgemein, und fragt man sich wohl
noch jetzt. Ein solcher Schlag war der preußischen Waffenehre noch nie zu¬
gefügt worden. Um das zu erklären, müssen wir unsre Blicke auf einen andern,
weit entfernten Schauplatz wenden, wo die Fäden zu dem diplomatischen Ränke¬
spiel geknüpft wurden, welches diese unerhörte Demütigung des tapfern, un¬
besiegten Heeres herbeiführte.

Seit dem 16. Oktober weilte Kaiser Nikolaus in Warschau. Auf seine
Einladung besuchte ihn dort der Kaiser Franz Josef, begleitet von seinem Mi¬
nister von Schwarzenberg. Auch Friedrich Wilhelm IV. hatte die Entscheidung
seines Schwagers angerufen und schickte zu dessen Begrüßung seinen Bruder,
den Prinzen Karl, und den Ministerpräsidenten Graf Brandenburg nach Warschau.
Ehe der Selbstherrscher aller Reußen nicht gesprochen hatte, konnte nichts ge¬
schehen, und dieser zögerte nicht, seine Willensmeinung mit gewohnter Kürze
und Klarheit auszudrücken. Wie ein römischer Imperator einen Statthalter
empfing, der sich sein Mißfallen zugezogen hatte, und der nach Rom entboten
war g.6 auäisnäunr vsrdnw, tüasWris, so empfing Kaiser Nikolaus den preu¬
ßischen Minister. Er bezeichnete die preußischen Unionsbestrebungen als Lieb¬
äugeln mit der Revolution, warf Preußen vor, von den altehrwllrdigen Über¬
lieferungen der heiligen Allianz abgewichen zu sein, und verlangte unbedingte
Nachgiebigkeit gegen die Forderungen Österreichs. Nicht einmal etwas erwiedern
durfte Graf Brandenburg dem Schwager seines Königs. Sein Hohenzollernblut
stockte, sein treues preußisches Herz brach ob dieser Schmach. Erschüttert und
geknickt kehrte er nach Berlin zurück. In wenigen Tagen wurde der tapfere und
starke Murr von einem hitzigen Fieber dahingerafft (6. November 1850). Die
letzten Worte, die man von ihm vernahm, waren: „Meinen Helm, mein
Schwert____Die ganze Armee vorrücken----Es ist zu spät."



») In dieser Form, die am verbreiietsten ist, ist die Äußerung allerdings nicht gefallen;
auch nicht in der: „Der Starke weicht einen Schritt zurück," Wörtlich hiesi es: „Der Starke
tritt wohl einen Schritt zurück."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/402>, abgerufen am 27.06.2024.