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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der deutsche Bund.

mehr zweifelhaft sei". Außerdem gab es aber nun noch zwei brennende Fragen,
welche den Widerstreit zwischen den beiden Vormächten verschärften. Das waren
die Schleswig-holsteinische Angelegenheit und der kurhessische Vcrfassnngsstreit. In
beiden hatte der österreichische Bundestag bereits vorweg seine Entscheidung ge¬
troffen. Ein dänischer Gesandter war, wie schon bemerkt, zugelassen worden, und
der Bundestag hatte versprochen, "zur Unterwerfung der unbotmäßigen Herzog¬
tümer unter die rechtmäßige öd, h. die dänisches Regierung" bewaffnete Hilfe zu
leisten. Ebenso war dem Kurfürsten von Hessen Bundeshilfe zugesagt worden, um
den Widerstand seines Volkes gegen die ungesetzlichen Übergriffe des Hassenpflug-
schen Regiments zu brechen. Gab Preußen in der ersten Frage nach, so mußte
es in den beiden andern dasselbe thun, so schwer auch seine Interessen und sein
Ansehen, ja seine Ehre dadurch geschädigt wurden.

Aber Preußen schien dieses mal feststehen zu wollen. Der König selbst
sprach sich sehr entschieden in diesem Sinne aus. Radowitz wurde Minister des
Äußern (27. September), und zwei preußische Heere wurden zusammengezogen,
eins in Thüringen, eins in Westfalen.

Doch auch Österreich war nicht müßig. Am 11. und 12. Oktober traf
der Kaiser von Österreich mit den Königen von Baiern und von Württemberg
in Vregenz am Bodensee zusammen; alle drei waren von ihren hervorragendsten
Staatsmännern und Generalen begleitet. Bei dem kaiserlichen Festmahle schloß
der König von Württemberg seinen Trinkspruch mit den Worten: "Ein alter
Soldat macht nicht viele Worte, aber er folgt dem Rufe seines Kaisers, wohin
es auch sei!" Der Kaiser erwiederte lcichelud: "Wir sind stolz darauf, mit so
wackern Kameraden vor den Feind zu gehen!" Wer der "Feind" war, brauchte
nicht erst ausgesprochen zu werdeu. Mau beschloß, ein Heer von 200 000 Mann
aufzustellen und gemeinsam mit den Waffen in der Hand gegen die Preußen
in Kurhessen vorzugehen. Auch in Böhmen und Mähren wurden österreichische
Truppen zusammengezogen. Am 25. Oktober wurde vom Bundestage die Exe¬
kution in Kurhessen beschlossen. Am 1. November überschritt ein österreichisch-
bairisches Heer die Grenze dieses Landes; am folgenden Tage rückte ein preu¬
ßisches unter dem Grafen von der Gröden von Thüringen aus in Fulda ein,
ein andres von Westfalen ans in Kassel. In der Nähe von Fulda standen die
beiderseitigen Vorposten fast auf Gewehrschußweite einander gegenüber. Der
Ausbruch eines gewaltigen Krieges schien unvermeidlich. Da fand am 2. November
ein großer Ministerrat in Berlin statt; Radowitz, unterstützt von dem Prinzen von
Preußen, verlangte Mobilmachung der ganzen Armee; der Minister des Innern,
von Manteuffel, widersprach, und der König stimmte ihm bei. Radowitz nahm seine
Entlassung, und das "Ministerium der rettenden That," Brandenburg-Manteuffel,
übernahm die Leitung der Geschäfte. In einer Note vom 3. November erklärte
sich Preußen bereit, den Bnndcstagsbeschlüssen bezüglich Schleswigs und Kur-
Hessens beizutreten, verlangte aber von Österreich Abrüstung. Die österreichische


Grmzlwtm I, 1888. SO
Der deutsche Bund.

mehr zweifelhaft sei». Außerdem gab es aber nun noch zwei brennende Fragen,
welche den Widerstreit zwischen den beiden Vormächten verschärften. Das waren
die Schleswig-holsteinische Angelegenheit und der kurhessische Vcrfassnngsstreit. In
beiden hatte der österreichische Bundestag bereits vorweg seine Entscheidung ge¬
troffen. Ein dänischer Gesandter war, wie schon bemerkt, zugelassen worden, und
der Bundestag hatte versprochen, „zur Unterwerfung der unbotmäßigen Herzog¬
tümer unter die rechtmäßige öd, h. die dänisches Regierung" bewaffnete Hilfe zu
leisten. Ebenso war dem Kurfürsten von Hessen Bundeshilfe zugesagt worden, um
den Widerstand seines Volkes gegen die ungesetzlichen Übergriffe des Hassenpflug-
schen Regiments zu brechen. Gab Preußen in der ersten Frage nach, so mußte
es in den beiden andern dasselbe thun, so schwer auch seine Interessen und sein
Ansehen, ja seine Ehre dadurch geschädigt wurden.

Aber Preußen schien dieses mal feststehen zu wollen. Der König selbst
sprach sich sehr entschieden in diesem Sinne aus. Radowitz wurde Minister des
Äußern (27. September), und zwei preußische Heere wurden zusammengezogen,
eins in Thüringen, eins in Westfalen.

Doch auch Österreich war nicht müßig. Am 11. und 12. Oktober traf
der Kaiser von Österreich mit den Königen von Baiern und von Württemberg
in Vregenz am Bodensee zusammen; alle drei waren von ihren hervorragendsten
Staatsmännern und Generalen begleitet. Bei dem kaiserlichen Festmahle schloß
der König von Württemberg seinen Trinkspruch mit den Worten: „Ein alter
Soldat macht nicht viele Worte, aber er folgt dem Rufe seines Kaisers, wohin
es auch sei!" Der Kaiser erwiederte lcichelud: „Wir sind stolz darauf, mit so
wackern Kameraden vor den Feind zu gehen!" Wer der „Feind" war, brauchte
nicht erst ausgesprochen zu werdeu. Mau beschloß, ein Heer von 200 000 Mann
aufzustellen und gemeinsam mit den Waffen in der Hand gegen die Preußen
in Kurhessen vorzugehen. Auch in Böhmen und Mähren wurden österreichische
Truppen zusammengezogen. Am 25. Oktober wurde vom Bundestage die Exe¬
kution in Kurhessen beschlossen. Am 1. November überschritt ein österreichisch-
bairisches Heer die Grenze dieses Landes; am folgenden Tage rückte ein preu¬
ßisches unter dem Grafen von der Gröden von Thüringen aus in Fulda ein,
ein andres von Westfalen ans in Kassel. In der Nähe von Fulda standen die
beiderseitigen Vorposten fast auf Gewehrschußweite einander gegenüber. Der
Ausbruch eines gewaltigen Krieges schien unvermeidlich. Da fand am 2. November
ein großer Ministerrat in Berlin statt; Radowitz, unterstützt von dem Prinzen von
Preußen, verlangte Mobilmachung der ganzen Armee; der Minister des Innern,
von Manteuffel, widersprach, und der König stimmte ihm bei. Radowitz nahm seine
Entlassung, und das „Ministerium der rettenden That," Brandenburg-Manteuffel,
übernahm die Leitung der Geschäfte. In einer Note vom 3. November erklärte
sich Preußen bereit, den Bnndcstagsbeschlüssen bezüglich Schleswigs und Kur-
Hessens beizutreten, verlangte aber von Österreich Abrüstung. Die österreichische


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[0401] Der deutsche Bund. mehr zweifelhaft sei». Außerdem gab es aber nun noch zwei brennende Fragen, welche den Widerstreit zwischen den beiden Vormächten verschärften. Das waren die Schleswig-holsteinische Angelegenheit und der kurhessische Vcrfassnngsstreit. In beiden hatte der österreichische Bundestag bereits vorweg seine Entscheidung ge¬ troffen. Ein dänischer Gesandter war, wie schon bemerkt, zugelassen worden, und der Bundestag hatte versprochen, „zur Unterwerfung der unbotmäßigen Herzog¬ tümer unter die rechtmäßige öd, h. die dänisches Regierung" bewaffnete Hilfe zu leisten. Ebenso war dem Kurfürsten von Hessen Bundeshilfe zugesagt worden, um den Widerstand seines Volkes gegen die ungesetzlichen Übergriffe des Hassenpflug- schen Regiments zu brechen. Gab Preußen in der ersten Frage nach, so mußte es in den beiden andern dasselbe thun, so schwer auch seine Interessen und sein Ansehen, ja seine Ehre dadurch geschädigt wurden. Aber Preußen schien dieses mal feststehen zu wollen. Der König selbst sprach sich sehr entschieden in diesem Sinne aus. Radowitz wurde Minister des Äußern (27. September), und zwei preußische Heere wurden zusammengezogen, eins in Thüringen, eins in Westfalen. Doch auch Österreich war nicht müßig. Am 11. und 12. Oktober traf der Kaiser von Österreich mit den Königen von Baiern und von Württemberg in Vregenz am Bodensee zusammen; alle drei waren von ihren hervorragendsten Staatsmännern und Generalen begleitet. Bei dem kaiserlichen Festmahle schloß der König von Württemberg seinen Trinkspruch mit den Worten: „Ein alter Soldat macht nicht viele Worte, aber er folgt dem Rufe seines Kaisers, wohin es auch sei!" Der Kaiser erwiederte lcichelud: „Wir sind stolz darauf, mit so wackern Kameraden vor den Feind zu gehen!" Wer der „Feind" war, brauchte nicht erst ausgesprochen zu werdeu. Mau beschloß, ein Heer von 200 000 Mann aufzustellen und gemeinsam mit den Waffen in der Hand gegen die Preußen in Kurhessen vorzugehen. Auch in Böhmen und Mähren wurden österreichische Truppen zusammengezogen. Am 25. Oktober wurde vom Bundestage die Exe¬ kution in Kurhessen beschlossen. Am 1. November überschritt ein österreichisch- bairisches Heer die Grenze dieses Landes; am folgenden Tage rückte ein preu¬ ßisches unter dem Grafen von der Gröden von Thüringen aus in Fulda ein, ein andres von Westfalen ans in Kassel. In der Nähe von Fulda standen die beiderseitigen Vorposten fast auf Gewehrschußweite einander gegenüber. Der Ausbruch eines gewaltigen Krieges schien unvermeidlich. Da fand am 2. November ein großer Ministerrat in Berlin statt; Radowitz, unterstützt von dem Prinzen von Preußen, verlangte Mobilmachung der ganzen Armee; der Minister des Innern, von Manteuffel, widersprach, und der König stimmte ihm bei. Radowitz nahm seine Entlassung, und das „Ministerium der rettenden That," Brandenburg-Manteuffel, übernahm die Leitung der Geschäfte. In einer Note vom 3. November erklärte sich Preußen bereit, den Bnndcstagsbeschlüssen bezüglich Schleswigs und Kur- Hessens beizutreten, verlangte aber von Österreich Abrüstung. Die österreichische Grmzlwtm I, 1888. SO

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/401>, abgerufen am 28.09.2024.