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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der deutsche Bund.

Verkehr mit Württemberg für einige Zeit abbrach. Auch der Kurfürst von
Hessen machte alle möglichen Schwierigkeiten.

Trotzdem hielt Preußen an der Vereinigung fest, und am 20. März 1850
wurde das neue Neichsparlameut, bestehend aus einem Volks- und einem Staaten¬
hanse, gewöhnlich genannt das Unionsparlament, von seinen großdeutschen und
demokratischen Gegnern auch wohl spottweise als "Festungsparlameut" be¬
zeichnet, durch eine glänzende Rede von Radowitz eröffnet. Die Verhandlungen
nahmen auch einen so guten Fortgang, daß bereits am 27. April 1850 der
Verfassungsentwurf angenommen wurde, und nur noch die Genehmigung der
Bundesregierungen fehlte. Preußen schien einen großen Erfolg errungen zu
haben. Aber das verhängnisvolle "Zu spät," das in der Negierung Friedrich
Wilhelms IV. so oft eine traurige Rolle spielte, machte sich hier am schlimmsten
geltend.

Am 13. August 1849 hatte Arthur Görgey, dem man wohl mit Unrecht,
Verrat schuldgab, vor dem russischen General Rüdiger bei Vilagos die Waffe"
gestreckt. Die letzte ungarische Feldarmee war damit verschwunden, und mit
den übrigen einzelnen Scharen hatte man leichtes Spiel. In Komorn hielt sich
Klapka noch einen Monat. Mit der Übergabe dieser Festung endete der Krieg,
und in kurzer Zeit wurde das ganze Land "beruhigt," unter reichlicher Umwen¬
dung der altbewährten und gründlichen Mittel "Pulver und Blei" und "Galgen."

Nun war für Österreich der Zeitpunkt gekommen, die Maske vollends ab¬
zuwerfen, und Fürst Felix von Schwarzenberg, jener ebenso schlaue wie thatkräf¬
tige und rücksichtslose Leiter der österreichischen Politik, sprach fast mit zynischer
Offenheit jenes berüchtigte Wort: II lÄut avilir ig. ?ruW<z, ot, axrvs 1a äömolir.

Einen Tag zuvor, ehe die Unionsverfassuug in Erfurt angenommen worden
war, 26. April 1850, erließ die österreichische Regierung ein Rundschreiben, um
zu einer außerordentlichen Plenarversammlung des Bundes in Frankfurt am
10. Mai aufzufordern und die von Preußen und Österreich eingesetzte proviso¬
rische Zentralgewalt, die sogenannte Vundeskommission, durch ein endgiltiges
Buudesorgan zu ersetzen. Einige Regierungen leisteten Folge; Preußen ant¬
wortete ablehnend und berief einen Fürstenkongreß auf den 8. Mai nach Berlin,
bei dem die Einigkeit freilich sehr fehlte. Darauf erließen die von dem neu
wiederhergestellten Bunde vertretenen Regierungen, außer Österreich die vier
Königreiche, die beiden Hessen, die sich jetzt von der Union losgesagt hatten,
Dänemark für Holstein und einige Kleinstaaten, eine gemeinsame Aufforderung,
den alten Bundestag zum 1. September 1850 wieder zu eröffnen. Preußen
lehnte unterm 25. August diese Aufforderung abermals ab, und seit dem
1. September gab es zwei Bundesregierungen in Deutschland, das Fürsten¬
kollegium in Berlin und den österreichischen Bundestag in Frankfurt a. M.

Daß der Streit um die Führerschaft in Deutschland sich jetzt zu eiuer bloßen
Machtfrage zwischen Österreich und Preußen zugespitzt hatte, kounte da niemand


Der deutsche Bund.

Verkehr mit Württemberg für einige Zeit abbrach. Auch der Kurfürst von
Hessen machte alle möglichen Schwierigkeiten.

Trotzdem hielt Preußen an der Vereinigung fest, und am 20. März 1850
wurde das neue Neichsparlameut, bestehend aus einem Volks- und einem Staaten¬
hanse, gewöhnlich genannt das Unionsparlament, von seinen großdeutschen und
demokratischen Gegnern auch wohl spottweise als „Festungsparlameut" be¬
zeichnet, durch eine glänzende Rede von Radowitz eröffnet. Die Verhandlungen
nahmen auch einen so guten Fortgang, daß bereits am 27. April 1850 der
Verfassungsentwurf angenommen wurde, und nur noch die Genehmigung der
Bundesregierungen fehlte. Preußen schien einen großen Erfolg errungen zu
haben. Aber das verhängnisvolle „Zu spät," das in der Negierung Friedrich
Wilhelms IV. so oft eine traurige Rolle spielte, machte sich hier am schlimmsten
geltend.

Am 13. August 1849 hatte Arthur Görgey, dem man wohl mit Unrecht,
Verrat schuldgab, vor dem russischen General Rüdiger bei Vilagos die Waffe»
gestreckt. Die letzte ungarische Feldarmee war damit verschwunden, und mit
den übrigen einzelnen Scharen hatte man leichtes Spiel. In Komorn hielt sich
Klapka noch einen Monat. Mit der Übergabe dieser Festung endete der Krieg,
und in kurzer Zeit wurde das ganze Land „beruhigt," unter reichlicher Umwen¬
dung der altbewährten und gründlichen Mittel „Pulver und Blei" und „Galgen."

Nun war für Österreich der Zeitpunkt gekommen, die Maske vollends ab¬
zuwerfen, und Fürst Felix von Schwarzenberg, jener ebenso schlaue wie thatkräf¬
tige und rücksichtslose Leiter der österreichischen Politik, sprach fast mit zynischer
Offenheit jenes berüchtigte Wort: II lÄut avilir ig. ?ruW<z, ot, axrvs 1a äömolir.

Einen Tag zuvor, ehe die Unionsverfassuug in Erfurt angenommen worden
war, 26. April 1850, erließ die österreichische Regierung ein Rundschreiben, um
zu einer außerordentlichen Plenarversammlung des Bundes in Frankfurt am
10. Mai aufzufordern und die von Preußen und Österreich eingesetzte proviso¬
rische Zentralgewalt, die sogenannte Vundeskommission, durch ein endgiltiges
Buudesorgan zu ersetzen. Einige Regierungen leisteten Folge; Preußen ant¬
wortete ablehnend und berief einen Fürstenkongreß auf den 8. Mai nach Berlin,
bei dem die Einigkeit freilich sehr fehlte. Darauf erließen die von dem neu
wiederhergestellten Bunde vertretenen Regierungen, außer Österreich die vier
Königreiche, die beiden Hessen, die sich jetzt von der Union losgesagt hatten,
Dänemark für Holstein und einige Kleinstaaten, eine gemeinsame Aufforderung,
den alten Bundestag zum 1. September 1850 wieder zu eröffnen. Preußen
lehnte unterm 25. August diese Aufforderung abermals ab, und seit dem
1. September gab es zwei Bundesregierungen in Deutschland, das Fürsten¬
kollegium in Berlin und den österreichischen Bundestag in Frankfurt a. M.

Daß der Streit um die Führerschaft in Deutschland sich jetzt zu eiuer bloßen
Machtfrage zwischen Österreich und Preußen zugespitzt hatte, kounte da niemand


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/400>, abgerufen am 21.06.2024.