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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der deutsche Bund.

Die preußische Regierung ließ sich jedoch durch die Beschlüsse vom 10. Mai
nicht beirren, sondern berief am 14. Mai die preußischen Abgeordneten von
Frankfurt ab. Einige verwahrten sich zwar anfänglich dagegen, weil sie ihr
Mandat nicht von der Negierung, sondern vom Volke hätten; aber schon am
21. Mai erklärten 65 Mitglieder der erbkaiserlichcn oder kleindeutschen Partei,
darunter die hervorragendsten Männer der ganzen Versammlung, Gagern, Dahl-
mann, Simson, Arndt, Beseler u. s. w., ihren Austritt und begründeten ihn in
höchst würdiger Weise. Zahlreiche andere Mitglieder folgten in den nächsten
Tagen ihrem Beispiel und verließen Frankfurt, teils mit ausdrücklicher Austritts¬
erklärung, teils ohne eine solche.

Trotzdem löste sich die Versammlung nicht auf, wollte auch von einer
Vertagung nichts hören. Schon früher hatte man die Zahl der zur Beschlu߬
fähigkeit erforderlichen Stimmen auf 200 herabgesetzt, jetzt wurde sie auf 100
beschränkt. Viel mehr Mitglieder waren auch nicht mehr vorhanden. Diese
beschlossen am 30. Mai, nach Stuttgart überzusiedeln. Am 6. Juni wurde im
Saale der Stuttgarter Abgeordnetenkammer die erste Sitzung abgehalten. Dieses
"Rumpfparlament," das immer mehr zusammenschmolz, nannte sich zwar immer
noch "konstituirende deutsche Nationalversammlung," sagte sich aber zugleich
förmlich von der bisherigen Zentralgewalt los. Es wählte eine eigne "Neichs-
regentschaft" aus seiner Mitte; an ihrer Spitze stand der Zigarrenfabrikant
Franz Raveaux aus Köln, spottweise "Kaiser Zigarros I." genannt. Ihre erste
Regierungshandlung bestand darin, daß sie die Aufstände in der Pfalz und in
Baden als unter ihrem Schutze stehend erklärte (8. Juni 1849). Als sie aber
auch Württemberg durch die sogenannte Organisation der Volkswehr auf¬
zuwiegeln strebte, wurde der Unfug dem Ministerpräsidenten dieses Landes,
Römer, der selbst noch einigen Sitzungen in Stuttgart beigewohnt hatte, denn
doch zu arg. Am 17. Juni forderte er die Neichsregentschaft auf, ihren Sitz
außerhalb Württembergs zu verlegen, und erklärte, daß er das Tagen des
Parlaments nicht mehr dulden werde. Am 18. fanden die Abgeordneten das
Sitzungshaus geschlossen und wurden mit Gewalt zurückgewiesen. Der Reichs¬
regent ging nach Karlsruhe, um die Leitung des badischen Aufstandes zu über¬
nehmen. Auch andre Mitglieder nahmen an dem offnen Aufruhr teil und en¬
deten zum Teil auf den Barrikaden, andre starben als heimatlose Flüchtlinge in
fremden Landen, noch andre erschienen als Angeklagte vor den Gerichten und
beschlossen ihre politische Rolle in den Gefängnissen. So kläglich und erbärmlich
endete eine Versammlung, deren Zusammentritt man mit den überschwänglichsten
Hoffnungen und Erwartungen begrüßt hatte. Nichts war erfüllt, nichts war
erreicht, nichts war geschaffen worden.

Die aus dem Volke hervorgegangene Bewegung hatte die deutsche Frage
nicht zu lösen verstanden. Jetzt nahmen sie die Regierungen in die Hand, und
in kurzer Zeit zeigte sich deutlich, daß sich alles schließlich auf eine Machtfrage


Der deutsche Bund.

Die preußische Regierung ließ sich jedoch durch die Beschlüsse vom 10. Mai
nicht beirren, sondern berief am 14. Mai die preußischen Abgeordneten von
Frankfurt ab. Einige verwahrten sich zwar anfänglich dagegen, weil sie ihr
Mandat nicht von der Negierung, sondern vom Volke hätten; aber schon am
21. Mai erklärten 65 Mitglieder der erbkaiserlichcn oder kleindeutschen Partei,
darunter die hervorragendsten Männer der ganzen Versammlung, Gagern, Dahl-
mann, Simson, Arndt, Beseler u. s. w., ihren Austritt und begründeten ihn in
höchst würdiger Weise. Zahlreiche andere Mitglieder folgten in den nächsten
Tagen ihrem Beispiel und verließen Frankfurt, teils mit ausdrücklicher Austritts¬
erklärung, teils ohne eine solche.

Trotzdem löste sich die Versammlung nicht auf, wollte auch von einer
Vertagung nichts hören. Schon früher hatte man die Zahl der zur Beschlu߬
fähigkeit erforderlichen Stimmen auf 200 herabgesetzt, jetzt wurde sie auf 100
beschränkt. Viel mehr Mitglieder waren auch nicht mehr vorhanden. Diese
beschlossen am 30. Mai, nach Stuttgart überzusiedeln. Am 6. Juni wurde im
Saale der Stuttgarter Abgeordnetenkammer die erste Sitzung abgehalten. Dieses
„Rumpfparlament," das immer mehr zusammenschmolz, nannte sich zwar immer
noch „konstituirende deutsche Nationalversammlung," sagte sich aber zugleich
förmlich von der bisherigen Zentralgewalt los. Es wählte eine eigne „Neichs-
regentschaft" aus seiner Mitte; an ihrer Spitze stand der Zigarrenfabrikant
Franz Raveaux aus Köln, spottweise „Kaiser Zigarros I." genannt. Ihre erste
Regierungshandlung bestand darin, daß sie die Aufstände in der Pfalz und in
Baden als unter ihrem Schutze stehend erklärte (8. Juni 1849). Als sie aber
auch Württemberg durch die sogenannte Organisation der Volkswehr auf¬
zuwiegeln strebte, wurde der Unfug dem Ministerpräsidenten dieses Landes,
Römer, der selbst noch einigen Sitzungen in Stuttgart beigewohnt hatte, denn
doch zu arg. Am 17. Juni forderte er die Neichsregentschaft auf, ihren Sitz
außerhalb Württembergs zu verlegen, und erklärte, daß er das Tagen des
Parlaments nicht mehr dulden werde. Am 18. fanden die Abgeordneten das
Sitzungshaus geschlossen und wurden mit Gewalt zurückgewiesen. Der Reichs¬
regent ging nach Karlsruhe, um die Leitung des badischen Aufstandes zu über¬
nehmen. Auch andre Mitglieder nahmen an dem offnen Aufruhr teil und en¬
deten zum Teil auf den Barrikaden, andre starben als heimatlose Flüchtlinge in
fremden Landen, noch andre erschienen als Angeklagte vor den Gerichten und
beschlossen ihre politische Rolle in den Gefängnissen. So kläglich und erbärmlich
endete eine Versammlung, deren Zusammentritt man mit den überschwänglichsten
Hoffnungen und Erwartungen begrüßt hatte. Nichts war erfüllt, nichts war
erreicht, nichts war geschaffen worden.

Die aus dem Volke hervorgegangene Bewegung hatte die deutsche Frage
nicht zu lösen verstanden. Jetzt nahmen sie die Regierungen in die Hand, und
in kurzer Zeit zeigte sich deutlich, daß sich alles schließlich auf eine Machtfrage


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[0398] Der deutsche Bund. Die preußische Regierung ließ sich jedoch durch die Beschlüsse vom 10. Mai nicht beirren, sondern berief am 14. Mai die preußischen Abgeordneten von Frankfurt ab. Einige verwahrten sich zwar anfänglich dagegen, weil sie ihr Mandat nicht von der Negierung, sondern vom Volke hätten; aber schon am 21. Mai erklärten 65 Mitglieder der erbkaiserlichcn oder kleindeutschen Partei, darunter die hervorragendsten Männer der ganzen Versammlung, Gagern, Dahl- mann, Simson, Arndt, Beseler u. s. w., ihren Austritt und begründeten ihn in höchst würdiger Weise. Zahlreiche andere Mitglieder folgten in den nächsten Tagen ihrem Beispiel und verließen Frankfurt, teils mit ausdrücklicher Austritts¬ erklärung, teils ohne eine solche. Trotzdem löste sich die Versammlung nicht auf, wollte auch von einer Vertagung nichts hören. Schon früher hatte man die Zahl der zur Beschlu߬ fähigkeit erforderlichen Stimmen auf 200 herabgesetzt, jetzt wurde sie auf 100 beschränkt. Viel mehr Mitglieder waren auch nicht mehr vorhanden. Diese beschlossen am 30. Mai, nach Stuttgart überzusiedeln. Am 6. Juni wurde im Saale der Stuttgarter Abgeordnetenkammer die erste Sitzung abgehalten. Dieses „Rumpfparlament," das immer mehr zusammenschmolz, nannte sich zwar immer noch „konstituirende deutsche Nationalversammlung," sagte sich aber zugleich förmlich von der bisherigen Zentralgewalt los. Es wählte eine eigne „Neichs- regentschaft" aus seiner Mitte; an ihrer Spitze stand der Zigarrenfabrikant Franz Raveaux aus Köln, spottweise „Kaiser Zigarros I." genannt. Ihre erste Regierungshandlung bestand darin, daß sie die Aufstände in der Pfalz und in Baden als unter ihrem Schutze stehend erklärte (8. Juni 1849). Als sie aber auch Württemberg durch die sogenannte Organisation der Volkswehr auf¬ zuwiegeln strebte, wurde der Unfug dem Ministerpräsidenten dieses Landes, Römer, der selbst noch einigen Sitzungen in Stuttgart beigewohnt hatte, denn doch zu arg. Am 17. Juni forderte er die Neichsregentschaft auf, ihren Sitz außerhalb Württembergs zu verlegen, und erklärte, daß er das Tagen des Parlaments nicht mehr dulden werde. Am 18. fanden die Abgeordneten das Sitzungshaus geschlossen und wurden mit Gewalt zurückgewiesen. Der Reichs¬ regent ging nach Karlsruhe, um die Leitung des badischen Aufstandes zu über¬ nehmen. Auch andre Mitglieder nahmen an dem offnen Aufruhr teil und en¬ deten zum Teil auf den Barrikaden, andre starben als heimatlose Flüchtlinge in fremden Landen, noch andre erschienen als Angeklagte vor den Gerichten und beschlossen ihre politische Rolle in den Gefängnissen. So kläglich und erbärmlich endete eine Versammlung, deren Zusammentritt man mit den überschwänglichsten Hoffnungen und Erwartungen begrüßt hatte. Nichts war erfüllt, nichts war erreicht, nichts war geschaffen worden. Die aus dem Volke hervorgegangene Bewegung hatte die deutsche Frage nicht zu lösen verstanden. Jetzt nahmen sie die Regierungen in die Hand, und in kurzer Zeit zeigte sich deutlich, daß sich alles schließlich auf eine Machtfrage

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/398>, abgerufen am 21.06.2024.