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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der deutsche Bund.

Diese Verhandlungen und diese Beschlüsse in Frankfurt hatten zunächst
eine Reihe von blutigen Aufständen nud Kämpfen zur Folge. Gerade die aus¬
gesprochensten Demokraten, die hitzigsten Demagogen waren jetzt die Vorkämpfer
der Verfassung, die sie vorher nicht scharf genug hatten bekämpfen können. Sogar
in mehreren preußischen Städten, so in Düsseldorf, Elberfeld, Iserlohn, Breslau,
brachen Aufstände aus, die jedoch rasch und thatkräftig niedergeschlagen wurden.
Folgenreicher war der Aufstand in Sachsen. Dort begeisterte sich der Russe
Michael Bakunin "sür die deutsche Reichsverfassung" und führte Scharen von
armen Webern aus dem Erzgebirge und von Bergleuten aus Freiberg nach
Dresden. Der König von Sachsen mit seiner Familie flüchtete auf den Königstein,
eine provisorische Regierung wurde eingesetzt, Barrikaden wurden gebaut, und
Tage lang tobte blutiger Straßenkampf, der erst unterdrückt wurde, als das
preußische Gardegrenadierregiment Kaiser Alexander eingerückt war und die
Hauptbarrikaden am PostPlatze und am Altmarkte gestürmt hatte. Noch ge¬
waltiger waren die Erhebungen in der Pfalz und in Baden, wo das treu¬
lose und eidbrüchige Militär einen festen Kern für die Volksbewaffnung abgab.
In der Pfalz stand zunächst ein Westpreuße polnischer Abkunft, der früher in
seiner Heimat Schneider geheißen und sich jetzt in "General Sznahda" ver¬
wandelt hatte, an der Spitze. Die Oberleitung in Baden übernahm der Pole
Mieroslawski, der vorher in der Provinz Posen das Haupt des polnischen
Aufstandes gewesen war. Diese Bewegung, die einen ausgesprochen repu¬
blikanischen Charakter hatte, wurde erst nach einem glänzenden, aber blutigen
Feldzuge unter der Führung des "Prinzen von Preußen" niedergeschlagen.

Sobald die erste Kunde von dem Vorgehen der Preußen in Dresden nach
Frankfurt gelangt war, entstand eine heftige Gährung in der Paulskirche.
Tobende Auftritte fanden statt. Am 10. Mai wurde auf Antrag von Reden
folgender Beschluß gesaßt: "1. Dem schweren Bruche des Reichsfriedens, welchen
die preußische Regierung durch unbefugtes Einschreiten im Königreich Sachsen
sich hat zu Schulden kommen lassen, ist durch alle Mittel entgegenzutreten.
2. Unter Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit sind diejenigen
Bestrebungen des Volkes und seiner Vertreter, welche zur Durchführung der
endgiltig beschlossenen Reichsverfassung geschehen, gegen jeden Zwang und jede
Unterdrückung in Schutz zu nehmen. Die provisorische Zentralgewalt ist zur
Ausführung dieser Beschlüsse aufzufordern." Die "Zentralgewalt" war nämlich
immer noch vorhanden; der Reichsverweser hatte immer noch standhaft auf
seinem undankbaren Posten ausgehalten. Man sprach sogar damals davon,
ihm selbst vorläufig die Würde des Neichsoberhauptes zu übertragen. Aber
das neue Reichsministerium, das er in jener Zeit berief: Gräwell, Detmold,
Jochmus, und das man als eine Beleidigung für die Nationalvertretung er¬
klärte, bewies, daß mit ihm nichts anzufangen war. Seine Würde legte er
aber, um das gleich hier zu erwähnen, erst am 20. Dezember 1849 nieder.


Der deutsche Bund.

Diese Verhandlungen und diese Beschlüsse in Frankfurt hatten zunächst
eine Reihe von blutigen Aufständen nud Kämpfen zur Folge. Gerade die aus¬
gesprochensten Demokraten, die hitzigsten Demagogen waren jetzt die Vorkämpfer
der Verfassung, die sie vorher nicht scharf genug hatten bekämpfen können. Sogar
in mehreren preußischen Städten, so in Düsseldorf, Elberfeld, Iserlohn, Breslau,
brachen Aufstände aus, die jedoch rasch und thatkräftig niedergeschlagen wurden.
Folgenreicher war der Aufstand in Sachsen. Dort begeisterte sich der Russe
Michael Bakunin „sür die deutsche Reichsverfassung" und führte Scharen von
armen Webern aus dem Erzgebirge und von Bergleuten aus Freiberg nach
Dresden. Der König von Sachsen mit seiner Familie flüchtete auf den Königstein,
eine provisorische Regierung wurde eingesetzt, Barrikaden wurden gebaut, und
Tage lang tobte blutiger Straßenkampf, der erst unterdrückt wurde, als das
preußische Gardegrenadierregiment Kaiser Alexander eingerückt war und die
Hauptbarrikaden am PostPlatze und am Altmarkte gestürmt hatte. Noch ge¬
waltiger waren die Erhebungen in der Pfalz und in Baden, wo das treu¬
lose und eidbrüchige Militär einen festen Kern für die Volksbewaffnung abgab.
In der Pfalz stand zunächst ein Westpreuße polnischer Abkunft, der früher in
seiner Heimat Schneider geheißen und sich jetzt in „General Sznahda" ver¬
wandelt hatte, an der Spitze. Die Oberleitung in Baden übernahm der Pole
Mieroslawski, der vorher in der Provinz Posen das Haupt des polnischen
Aufstandes gewesen war. Diese Bewegung, die einen ausgesprochen repu¬
blikanischen Charakter hatte, wurde erst nach einem glänzenden, aber blutigen
Feldzuge unter der Führung des „Prinzen von Preußen" niedergeschlagen.

Sobald die erste Kunde von dem Vorgehen der Preußen in Dresden nach
Frankfurt gelangt war, entstand eine heftige Gährung in der Paulskirche.
Tobende Auftritte fanden statt. Am 10. Mai wurde auf Antrag von Reden
folgender Beschluß gesaßt: „1. Dem schweren Bruche des Reichsfriedens, welchen
die preußische Regierung durch unbefugtes Einschreiten im Königreich Sachsen
sich hat zu Schulden kommen lassen, ist durch alle Mittel entgegenzutreten.
2. Unter Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit sind diejenigen
Bestrebungen des Volkes und seiner Vertreter, welche zur Durchführung der
endgiltig beschlossenen Reichsverfassung geschehen, gegen jeden Zwang und jede
Unterdrückung in Schutz zu nehmen. Die provisorische Zentralgewalt ist zur
Ausführung dieser Beschlüsse aufzufordern." Die „Zentralgewalt" war nämlich
immer noch vorhanden; der Reichsverweser hatte immer noch standhaft auf
seinem undankbaren Posten ausgehalten. Man sprach sogar damals davon,
ihm selbst vorläufig die Würde des Neichsoberhauptes zu übertragen. Aber
das neue Reichsministerium, das er in jener Zeit berief: Gräwell, Detmold,
Jochmus, und das man als eine Beleidigung für die Nationalvertretung er¬
klärte, bewies, daß mit ihm nichts anzufangen war. Seine Würde legte er
aber, um das gleich hier zu erwähnen, erst am 20. Dezember 1849 nieder.


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[0397] Der deutsche Bund. Diese Verhandlungen und diese Beschlüsse in Frankfurt hatten zunächst eine Reihe von blutigen Aufständen nud Kämpfen zur Folge. Gerade die aus¬ gesprochensten Demokraten, die hitzigsten Demagogen waren jetzt die Vorkämpfer der Verfassung, die sie vorher nicht scharf genug hatten bekämpfen können. Sogar in mehreren preußischen Städten, so in Düsseldorf, Elberfeld, Iserlohn, Breslau, brachen Aufstände aus, die jedoch rasch und thatkräftig niedergeschlagen wurden. Folgenreicher war der Aufstand in Sachsen. Dort begeisterte sich der Russe Michael Bakunin „sür die deutsche Reichsverfassung" und führte Scharen von armen Webern aus dem Erzgebirge und von Bergleuten aus Freiberg nach Dresden. Der König von Sachsen mit seiner Familie flüchtete auf den Königstein, eine provisorische Regierung wurde eingesetzt, Barrikaden wurden gebaut, und Tage lang tobte blutiger Straßenkampf, der erst unterdrückt wurde, als das preußische Gardegrenadierregiment Kaiser Alexander eingerückt war und die Hauptbarrikaden am PostPlatze und am Altmarkte gestürmt hatte. Noch ge¬ waltiger waren die Erhebungen in der Pfalz und in Baden, wo das treu¬ lose und eidbrüchige Militär einen festen Kern für die Volksbewaffnung abgab. In der Pfalz stand zunächst ein Westpreuße polnischer Abkunft, der früher in seiner Heimat Schneider geheißen und sich jetzt in „General Sznahda" ver¬ wandelt hatte, an der Spitze. Die Oberleitung in Baden übernahm der Pole Mieroslawski, der vorher in der Provinz Posen das Haupt des polnischen Aufstandes gewesen war. Diese Bewegung, die einen ausgesprochen repu¬ blikanischen Charakter hatte, wurde erst nach einem glänzenden, aber blutigen Feldzuge unter der Führung des „Prinzen von Preußen" niedergeschlagen. Sobald die erste Kunde von dem Vorgehen der Preußen in Dresden nach Frankfurt gelangt war, entstand eine heftige Gährung in der Paulskirche. Tobende Auftritte fanden statt. Am 10. Mai wurde auf Antrag von Reden folgender Beschluß gesaßt: „1. Dem schweren Bruche des Reichsfriedens, welchen die preußische Regierung durch unbefugtes Einschreiten im Königreich Sachsen sich hat zu Schulden kommen lassen, ist durch alle Mittel entgegenzutreten. 2. Unter Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit sind diejenigen Bestrebungen des Volkes und seiner Vertreter, welche zur Durchführung der endgiltig beschlossenen Reichsverfassung geschehen, gegen jeden Zwang und jede Unterdrückung in Schutz zu nehmen. Die provisorische Zentralgewalt ist zur Ausführung dieser Beschlüsse aufzufordern." Die „Zentralgewalt" war nämlich immer noch vorhanden; der Reichsverweser hatte immer noch standhaft auf seinem undankbaren Posten ausgehalten. Man sprach sogar damals davon, ihm selbst vorläufig die Würde des Neichsoberhauptes zu übertragen. Aber das neue Reichsministerium, das er in jener Zeit berief: Gräwell, Detmold, Jochmus, und das man als eine Beleidigung für die Nationalvertretung er¬ klärte, bewies, daß mit ihm nichts anzufangen war. Seine Würde legte er aber, um das gleich hier zu erwähnen, erst am 20. Dezember 1849 nieder.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/397>, abgerufen am 21.06.2024.