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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der deutsche Bund.

Preußen gewesen, wenn es nur frischen Mutes seine Adler fliegen und den
Sonnenrand greifen und halten läßt," blieb der Entschluß des Königs uner-
schüttert, und die Ablehnung der Kaiserkrone wurde endgiltig. Die ganze Be¬
wegung war ins Stocken geraten, und jetzt griff auch Österreich zum ersten male
in die Sache ein.

Österreich fing nämlich jetzt an, der Schwierigkeiten, die es dem Rande
des Unterganges nahe gebracht hatten, Herr zu werden. Der greise Löwe Ra-
detzky hatte in der Lombardei die Garden und die Aufständischen blutig aufs
Haupt geschlagen. Haman, die "Hyäne von Brescia," hatte seine blutigen Straf¬
gerichte abgehalten und hatte mehrfach vornehme Damen, die sich an politischen
Umtrieben beteiligt hatten, auf offnem Markte aufpeitschen lassen. Fürst Windisch-
grätz und der Barus Jellatschitsch hatten in Wien die "Ordnung" wieder hergestellt,
und wer von den Führern der Empörer ergriffen wurde, war "mit Pulver und
Blei behandelt" oder dazu "begnadigt" worden. Der Krieg in Ungarn tobte
allerdings noch fort; doch schon waren Abmachungen mit Rußland getroffen,
um auch diesem Kampfe ein Ende zu machen, und ein Teil des Landes war
bereits durch die bekannten Schnellgalgen "beruhigt" worden. Österreich fühlte
sich stark genug, aus seiner scheinbaren Unthätigkeit und Gleichgültigkeit heraus¬
zutreten und handelnd in die deutsche Frage einzugreifen.

Die österreichische Regierung hatte am 5. April 1849 ein Abberufungs¬
schreiben an die Abgeordneten aus ihren Ländern ergehen lassen und darin
wörtlich erklärt, "die Nationalversammlung habe durch die Verkündigung der
Reichsverfassung den Boden des Rechtes verlassen; nie werde Österreich seine
Gesetzgebung einer fremden, nie der Kaiser von Österreich sich einem fremden
Fürsten unterordnen." Die meisten österreichischen Abgeordneten leisteten der
Aufforderung Folge und schieden aus (18. April 1849).

Schon vor dem Ausscheiden der Österreicher, am 11. April, hatte die
Nationalversammlung, in der immer mehr die Linke das Übergewicht gewann,
den feierlichen Beschluß gefaßt, an der Reichsverfassung festzuhalten. Nachdem
dann in der preußischen Abgeordnetenkammer der Ministerpräsident Graf Branden¬
burg bestimmt erklärt hatte, daß Preußen die Reichsverfassung nicht anerkennen
würde, und seine Rede mit dem berühmten: "Niemals, niemals, niemals!" ge¬
schlossen hatte, war der Bruch zwischen Frankfurt und Berlin unvermeidlich
geworden. Am 4. Mai beschloß die Nationalversammlung, auf Betreiben
der Linken und auf Antrag von Wydenbrugk, noch einmal alle Regierunge",
die gesetzgebenden Körper, die Gemeinden der Einzelstaaten, das gesamte deutsche
Volk aufzufordern, die Reichsverfassung zur Anerkennung und Geltung zu
bringen. Sollte Preußen sich fernerhin dessen weigern, so sollte die "Reichs¬
regentschaft" auf den mächtigsten Fürsten übergehen, der die Verfassung an¬
erkannt hätte. Das war damals der König von Württemberg, der vor kurzem
sich zu diesem Schritte bequemt hatte, allerdings mehr gezwungen als freiwillig.


Der deutsche Bund.

Preußen gewesen, wenn es nur frischen Mutes seine Adler fliegen und den
Sonnenrand greifen und halten läßt," blieb der Entschluß des Königs uner-
schüttert, und die Ablehnung der Kaiserkrone wurde endgiltig. Die ganze Be¬
wegung war ins Stocken geraten, und jetzt griff auch Österreich zum ersten male
in die Sache ein.

Österreich fing nämlich jetzt an, der Schwierigkeiten, die es dem Rande
des Unterganges nahe gebracht hatten, Herr zu werden. Der greise Löwe Ra-
detzky hatte in der Lombardei die Garden und die Aufständischen blutig aufs
Haupt geschlagen. Haman, die „Hyäne von Brescia," hatte seine blutigen Straf¬
gerichte abgehalten und hatte mehrfach vornehme Damen, die sich an politischen
Umtrieben beteiligt hatten, auf offnem Markte aufpeitschen lassen. Fürst Windisch-
grätz und der Barus Jellatschitsch hatten in Wien die „Ordnung" wieder hergestellt,
und wer von den Führern der Empörer ergriffen wurde, war „mit Pulver und
Blei behandelt" oder dazu „begnadigt" worden. Der Krieg in Ungarn tobte
allerdings noch fort; doch schon waren Abmachungen mit Rußland getroffen,
um auch diesem Kampfe ein Ende zu machen, und ein Teil des Landes war
bereits durch die bekannten Schnellgalgen „beruhigt" worden. Österreich fühlte
sich stark genug, aus seiner scheinbaren Unthätigkeit und Gleichgültigkeit heraus¬
zutreten und handelnd in die deutsche Frage einzugreifen.

Die österreichische Regierung hatte am 5. April 1849 ein Abberufungs¬
schreiben an die Abgeordneten aus ihren Ländern ergehen lassen und darin
wörtlich erklärt, „die Nationalversammlung habe durch die Verkündigung der
Reichsverfassung den Boden des Rechtes verlassen; nie werde Österreich seine
Gesetzgebung einer fremden, nie der Kaiser von Österreich sich einem fremden
Fürsten unterordnen." Die meisten österreichischen Abgeordneten leisteten der
Aufforderung Folge und schieden aus (18. April 1849).

Schon vor dem Ausscheiden der Österreicher, am 11. April, hatte die
Nationalversammlung, in der immer mehr die Linke das Übergewicht gewann,
den feierlichen Beschluß gefaßt, an der Reichsverfassung festzuhalten. Nachdem
dann in der preußischen Abgeordnetenkammer der Ministerpräsident Graf Branden¬
burg bestimmt erklärt hatte, daß Preußen die Reichsverfassung nicht anerkennen
würde, und seine Rede mit dem berühmten: „Niemals, niemals, niemals!" ge¬
schlossen hatte, war der Bruch zwischen Frankfurt und Berlin unvermeidlich
geworden. Am 4. Mai beschloß die Nationalversammlung, auf Betreiben
der Linken und auf Antrag von Wydenbrugk, noch einmal alle Regierunge»,
die gesetzgebenden Körper, die Gemeinden der Einzelstaaten, das gesamte deutsche
Volk aufzufordern, die Reichsverfassung zur Anerkennung und Geltung zu
bringen. Sollte Preußen sich fernerhin dessen weigern, so sollte die „Reichs¬
regentschaft" auf den mächtigsten Fürsten übergehen, der die Verfassung an¬
erkannt hätte. Das war damals der König von Württemberg, der vor kurzem
sich zu diesem Schritte bequemt hatte, allerdings mehr gezwungen als freiwillig.


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[0396] Der deutsche Bund. Preußen gewesen, wenn es nur frischen Mutes seine Adler fliegen und den Sonnenrand greifen und halten läßt," blieb der Entschluß des Königs uner- schüttert, und die Ablehnung der Kaiserkrone wurde endgiltig. Die ganze Be¬ wegung war ins Stocken geraten, und jetzt griff auch Österreich zum ersten male in die Sache ein. Österreich fing nämlich jetzt an, der Schwierigkeiten, die es dem Rande des Unterganges nahe gebracht hatten, Herr zu werden. Der greise Löwe Ra- detzky hatte in der Lombardei die Garden und die Aufständischen blutig aufs Haupt geschlagen. Haman, die „Hyäne von Brescia," hatte seine blutigen Straf¬ gerichte abgehalten und hatte mehrfach vornehme Damen, die sich an politischen Umtrieben beteiligt hatten, auf offnem Markte aufpeitschen lassen. Fürst Windisch- grätz und der Barus Jellatschitsch hatten in Wien die „Ordnung" wieder hergestellt, und wer von den Führern der Empörer ergriffen wurde, war „mit Pulver und Blei behandelt" oder dazu „begnadigt" worden. Der Krieg in Ungarn tobte allerdings noch fort; doch schon waren Abmachungen mit Rußland getroffen, um auch diesem Kampfe ein Ende zu machen, und ein Teil des Landes war bereits durch die bekannten Schnellgalgen „beruhigt" worden. Österreich fühlte sich stark genug, aus seiner scheinbaren Unthätigkeit und Gleichgültigkeit heraus¬ zutreten und handelnd in die deutsche Frage einzugreifen. Die österreichische Regierung hatte am 5. April 1849 ein Abberufungs¬ schreiben an die Abgeordneten aus ihren Ländern ergehen lassen und darin wörtlich erklärt, „die Nationalversammlung habe durch die Verkündigung der Reichsverfassung den Boden des Rechtes verlassen; nie werde Österreich seine Gesetzgebung einer fremden, nie der Kaiser von Österreich sich einem fremden Fürsten unterordnen." Die meisten österreichischen Abgeordneten leisteten der Aufforderung Folge und schieden aus (18. April 1849). Schon vor dem Ausscheiden der Österreicher, am 11. April, hatte die Nationalversammlung, in der immer mehr die Linke das Übergewicht gewann, den feierlichen Beschluß gefaßt, an der Reichsverfassung festzuhalten. Nachdem dann in der preußischen Abgeordnetenkammer der Ministerpräsident Graf Branden¬ burg bestimmt erklärt hatte, daß Preußen die Reichsverfassung nicht anerkennen würde, und seine Rede mit dem berühmten: „Niemals, niemals, niemals!" ge¬ schlossen hatte, war der Bruch zwischen Frankfurt und Berlin unvermeidlich geworden. Am 4. Mai beschloß die Nationalversammlung, auf Betreiben der Linken und auf Antrag von Wydenbrugk, noch einmal alle Regierunge», die gesetzgebenden Körper, die Gemeinden der Einzelstaaten, das gesamte deutsche Volk aufzufordern, die Reichsverfassung zur Anerkennung und Geltung zu bringen. Sollte Preußen sich fernerhin dessen weigern, so sollte die „Reichs¬ regentschaft" auf den mächtigsten Fürsten übergehen, der die Verfassung an¬ erkannt hätte. Das war damals der König von Württemberg, der vor kurzem sich zu diesem Schritte bequemt hatte, allerdings mehr gezwungen als freiwillig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/396>, abgerufen am 21.06.2024.