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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der deutsche Bund.

besessen hätten. Endlich hatte man mit dem Auslande zu rechnen. Wenn
Frankreich, damals von Parteihader durchwühlt, auch für den Augenblick ge¬
schwiegen hätte, so hätte Rußland niemals eine Einigung und damit eine Kräf¬
tigung Deutschlands zugegeben. Wie energisch und bestimmt Kaiser Nikolaus
in dieser Beziehung seinem Willen Ausdruck gab, werden wir gleich hören.

Diese wenigen, nüchternen Erwägungen, die man doch sicherlich damals
auch in Berlin angestellt hat, rechtfertigen die Ablehnung der von der Frank¬
furter Versammlung gebotenen Kaiserkrone hinlänglich. Umso unbegreiflicher
ist es, wie man in preußischen Regierungskreisen ernstlich hat glauben können,
daß man dasselbe, was man eben als Geschenk der Nationalversammlung zurück¬
gewiesen und verschmäht hatte, auf einem andern Wege erreichen könnte. Fast
unmittelbar nach Ablehnung der Kaiserkrone durch Friedrich Wilhelm IV. be¬
gannen die sogenannten preußischen Unionsbestrebungen, hauptsächlich auf An¬
trieb und unter Leitung von Rcidowitz. Im Mai des Jahres 1849 war das
sogenannte Dreikönigsbündnis abgeschlossen worden, mit Sachsen und Hannover;
Baiern hatte die Verhandlungen abgebrochen, und Württemberg hatte sich von
Anfang an zurückgehalten. Zwischen den drei Regierungen wurde ein Ver-
fassungsentwurf vereinbart, der sich in den meisten Punkten der Frankfurter
Reichsverfassung anschloß. Die meisten Mitglieder der Erbkaiserpartei sprachen
auf einer Versammlung in Gotha, die auf Veranlassung von Gngern, Dahl-
mann und Mathy berufen war, dem sogenannten Nachparlamente, sich für
diese Unionsvcrfassung aus. Bis zum Herbste dieses Jahres traten achtund-
zwanzig deutsche Bundesstcrateu der Union bei; außer den beiden süddeutschen
Königreichen fehlten nur Österreich, Hessen-Homburg, Liechtenstein und Luxem¬
burg. Preußen schrieb die Wahlen zum Unionsparlament aus, und um
20. März 1850 wurde dieses zu Erfurt durch eine schwungvolle Rede des
Preußischen Bevollmächtigten, Josef von Radowitz, eröffnet. Diese Bemühungen
Preußens, Deutschland mit Ausschluß von Österreich zu einigen, müßen we¬
nigstens insoweit besprochen werden, als es unumgänglich nötig ist, um die
Ereignisse zu verstehen, welche schließlich zu der einfachen Wiederherstellung des
Bundestages führten.

Sehen wir jedoch jetzt erst, was weiter in Frankfurt geschah, und wie
Osterreich, gestützt dnrch Rußland, in die deutsche Frage eingriff.

Die Kaiserdeputation der Nationalversammlung war nach kurzem Verweilen
in Berlin nach Frankfurt zurückgekehrt: "Wie Triumphaleren waren sie aus¬
gezogen, fast wie versprengte Flüchtlinge kehrten sie zurück," hat man gesagt.
Die Reichsverfassung war zwar von einer Reihe von Regierungen anerkannt
worden; doch hielten sich die Königreiche zurück. Abänderungsverhandlungen
führten zu keinem Ziele, ebensowenig weitere Besprechungen mit dem Könige von
Preußen. Obgleich Beckerath, der mit ihm persönlich verhandelte, ihm die
Worte Arndts vorhielt: "Die Gefahr ist stets die sieglockende Sonne für


Der deutsche Bund.

besessen hätten. Endlich hatte man mit dem Auslande zu rechnen. Wenn
Frankreich, damals von Parteihader durchwühlt, auch für den Augenblick ge¬
schwiegen hätte, so hätte Rußland niemals eine Einigung und damit eine Kräf¬
tigung Deutschlands zugegeben. Wie energisch und bestimmt Kaiser Nikolaus
in dieser Beziehung seinem Willen Ausdruck gab, werden wir gleich hören.

Diese wenigen, nüchternen Erwägungen, die man doch sicherlich damals
auch in Berlin angestellt hat, rechtfertigen die Ablehnung der von der Frank¬
furter Versammlung gebotenen Kaiserkrone hinlänglich. Umso unbegreiflicher
ist es, wie man in preußischen Regierungskreisen ernstlich hat glauben können,
daß man dasselbe, was man eben als Geschenk der Nationalversammlung zurück¬
gewiesen und verschmäht hatte, auf einem andern Wege erreichen könnte. Fast
unmittelbar nach Ablehnung der Kaiserkrone durch Friedrich Wilhelm IV. be¬
gannen die sogenannten preußischen Unionsbestrebungen, hauptsächlich auf An¬
trieb und unter Leitung von Rcidowitz. Im Mai des Jahres 1849 war das
sogenannte Dreikönigsbündnis abgeschlossen worden, mit Sachsen und Hannover;
Baiern hatte die Verhandlungen abgebrochen, und Württemberg hatte sich von
Anfang an zurückgehalten. Zwischen den drei Regierungen wurde ein Ver-
fassungsentwurf vereinbart, der sich in den meisten Punkten der Frankfurter
Reichsverfassung anschloß. Die meisten Mitglieder der Erbkaiserpartei sprachen
auf einer Versammlung in Gotha, die auf Veranlassung von Gngern, Dahl-
mann und Mathy berufen war, dem sogenannten Nachparlamente, sich für
diese Unionsvcrfassung aus. Bis zum Herbste dieses Jahres traten achtund-
zwanzig deutsche Bundesstcrateu der Union bei; außer den beiden süddeutschen
Königreichen fehlten nur Österreich, Hessen-Homburg, Liechtenstein und Luxem¬
burg. Preußen schrieb die Wahlen zum Unionsparlament aus, und um
20. März 1850 wurde dieses zu Erfurt durch eine schwungvolle Rede des
Preußischen Bevollmächtigten, Josef von Radowitz, eröffnet. Diese Bemühungen
Preußens, Deutschland mit Ausschluß von Österreich zu einigen, müßen we¬
nigstens insoweit besprochen werden, als es unumgänglich nötig ist, um die
Ereignisse zu verstehen, welche schließlich zu der einfachen Wiederherstellung des
Bundestages führten.

Sehen wir jedoch jetzt erst, was weiter in Frankfurt geschah, und wie
Osterreich, gestützt dnrch Rußland, in die deutsche Frage eingriff.

Die Kaiserdeputation der Nationalversammlung war nach kurzem Verweilen
in Berlin nach Frankfurt zurückgekehrt: „Wie Triumphaleren waren sie aus¬
gezogen, fast wie versprengte Flüchtlinge kehrten sie zurück," hat man gesagt.
Die Reichsverfassung war zwar von einer Reihe von Regierungen anerkannt
worden; doch hielten sich die Königreiche zurück. Abänderungsverhandlungen
führten zu keinem Ziele, ebensowenig weitere Besprechungen mit dem Könige von
Preußen. Obgleich Beckerath, der mit ihm persönlich verhandelte, ihm die
Worte Arndts vorhielt: „Die Gefahr ist stets die sieglockende Sonne für


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[0395] Der deutsche Bund. besessen hätten. Endlich hatte man mit dem Auslande zu rechnen. Wenn Frankreich, damals von Parteihader durchwühlt, auch für den Augenblick ge¬ schwiegen hätte, so hätte Rußland niemals eine Einigung und damit eine Kräf¬ tigung Deutschlands zugegeben. Wie energisch und bestimmt Kaiser Nikolaus in dieser Beziehung seinem Willen Ausdruck gab, werden wir gleich hören. Diese wenigen, nüchternen Erwägungen, die man doch sicherlich damals auch in Berlin angestellt hat, rechtfertigen die Ablehnung der von der Frank¬ furter Versammlung gebotenen Kaiserkrone hinlänglich. Umso unbegreiflicher ist es, wie man in preußischen Regierungskreisen ernstlich hat glauben können, daß man dasselbe, was man eben als Geschenk der Nationalversammlung zurück¬ gewiesen und verschmäht hatte, auf einem andern Wege erreichen könnte. Fast unmittelbar nach Ablehnung der Kaiserkrone durch Friedrich Wilhelm IV. be¬ gannen die sogenannten preußischen Unionsbestrebungen, hauptsächlich auf An¬ trieb und unter Leitung von Rcidowitz. Im Mai des Jahres 1849 war das sogenannte Dreikönigsbündnis abgeschlossen worden, mit Sachsen und Hannover; Baiern hatte die Verhandlungen abgebrochen, und Württemberg hatte sich von Anfang an zurückgehalten. Zwischen den drei Regierungen wurde ein Ver- fassungsentwurf vereinbart, der sich in den meisten Punkten der Frankfurter Reichsverfassung anschloß. Die meisten Mitglieder der Erbkaiserpartei sprachen auf einer Versammlung in Gotha, die auf Veranlassung von Gngern, Dahl- mann und Mathy berufen war, dem sogenannten Nachparlamente, sich für diese Unionsvcrfassung aus. Bis zum Herbste dieses Jahres traten achtund- zwanzig deutsche Bundesstcrateu der Union bei; außer den beiden süddeutschen Königreichen fehlten nur Österreich, Hessen-Homburg, Liechtenstein und Luxem¬ burg. Preußen schrieb die Wahlen zum Unionsparlament aus, und um 20. März 1850 wurde dieses zu Erfurt durch eine schwungvolle Rede des Preußischen Bevollmächtigten, Josef von Radowitz, eröffnet. Diese Bemühungen Preußens, Deutschland mit Ausschluß von Österreich zu einigen, müßen we¬ nigstens insoweit besprochen werden, als es unumgänglich nötig ist, um die Ereignisse zu verstehen, welche schließlich zu der einfachen Wiederherstellung des Bundestages führten. Sehen wir jedoch jetzt erst, was weiter in Frankfurt geschah, und wie Osterreich, gestützt dnrch Rußland, in die deutsche Frage eingriff. Die Kaiserdeputation der Nationalversammlung war nach kurzem Verweilen in Berlin nach Frankfurt zurückgekehrt: „Wie Triumphaleren waren sie aus¬ gezogen, fast wie versprengte Flüchtlinge kehrten sie zurück," hat man gesagt. Die Reichsverfassung war zwar von einer Reihe von Regierungen anerkannt worden; doch hielten sich die Königreiche zurück. Abänderungsverhandlungen führten zu keinem Ziele, ebensowenig weitere Besprechungen mit dem Könige von Preußen. Obgleich Beckerath, der mit ihm persönlich verhandelte, ihm die Worte Arndts vorhielt: „Die Gefahr ist stets die sieglockende Sonne für

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/395>, abgerufen am 21.06.2024.