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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der deutsche Bund.

ganz die harten, unerbittlichen Macht- und Interessenfragen übersah, so kann
dieser Tadel nicht allzu hart sein.

Zunächst errang diese Partei scheinbar einen Erfolg, der noch einmal eine
Begeisterung hervorrief, die derjenigen ähnlich war, mit welcher der "Völker¬
frühling" von 1848 von den meisten Seiten begrüßt worden war. Am 27. März
1849 wurde endlich, nachdem eine Reichsverfassung mit Staatenhaus und Volks¬
haus zustande gebracht war, die Erblichkeit der Würde des Reichsoberhauptes,
der den Titel "Kaiser der Deutschen" führen sollte, angenommen, allerdings mit
der winzigen Mehrheit von nur vier Stimmen. Am 28. März wurde Friedrich
Wilhelm IV. zum Kaiser gewählt. Sofort wurde eine Deputation von dreißig
Mitgliedern, an deren Spitze der Präsident Simson stand, nach Berlin gesandt,
um dem Könige im Namen der deutschen Nationalversammlung die erbliche
Kaiserwürde anzubieten. Am 3. April 1849 empfing Friedrich Wilhelm diese
Deputation im Rittersaale des Schlosses zu Berlin und lehnte die angebotene
Krone ab, zwar nicht ganz entschieden und endgiltig, aber es war doch eine
Ablehnung. Damit war die ganze, so gewaltig erscheinende nationale Bewegung,
die etwa ein Jahr zuvor ihren Anfang genommen hatte und die damals einem
mächtigen Strome gleich alle Hindernisse mit Leichtigkeit schien hinwegspülen zu
wollen, im Sande verlaufen, und die deutsche Frage war verworrener und ver¬
fahrener denn je zuvor.

Es ist hier nicht der Ort, auf alle die sich am Hofe und um die Person
des Monarchen kreuzenden Einflüsse und Erwägungen näher einzugehen. Ebenso
wenig sollen hier die verschiednen Verhandlungen, Schreiben und Ansprachen
oder gar die staatsrechtliche Frage, ob das Parlament überhaupt befugt war,
eine Kaiserkrone zu vergeben, besprochen werden. Darin jedoch werden wohl
die meisten unbefangenen Beurteiler, welche die politischen Verhältnisse jener
Zeit kennen, und welche aus der Geschichte überhaupt etwas gelernt haben,
übereinstimmen, daß Friedrich Wilhelm IV. nicht anders handeln konnte, als
er gehandelt hat. Mit den republikanischen Elementen, die von einer monar¬
chischen Verfassung überhaupt nichts wissen wollten, wäre man wohl fertig ge¬
worden; das beweisen thatsächlich die Vorgänge in Baden und in der Pfalz.
Auch den Mittelstaaten wäre der Großmachtsdusel wohl etwas vergangen, wenn
einige Armeekorps einen sanften Druck auf sie geübt hätten. Aber zu einer
endgiltigen Auseinandersetzung mit Österreich war damals Preußen gar nicht
imstande. Denn friedlicher Natur wäre eine solche Auseinandersetzung niemals
gewesen, auch in der Zeit nicht, in welcher Österreich durch Aufstände und Kriege
völlig gelähmt schien. Der Entscheidungskampf wäre dann höchstens so lange
vertagt worden, bis der Kaiserstaat wieder zu Atem und zu Kräften gekommen
wäre. Zu einem solchen Kriege war damals das preußische Heer lange nicht
stark genug, auch wenn Männer an der Spitze gestanden hätten, welche die
politische und militärische Befähigung zur Durchführung eines solchen Werkes


Der deutsche Bund.

ganz die harten, unerbittlichen Macht- und Interessenfragen übersah, so kann
dieser Tadel nicht allzu hart sein.

Zunächst errang diese Partei scheinbar einen Erfolg, der noch einmal eine
Begeisterung hervorrief, die derjenigen ähnlich war, mit welcher der „Völker¬
frühling" von 1848 von den meisten Seiten begrüßt worden war. Am 27. März
1849 wurde endlich, nachdem eine Reichsverfassung mit Staatenhaus und Volks¬
haus zustande gebracht war, die Erblichkeit der Würde des Reichsoberhauptes,
der den Titel „Kaiser der Deutschen" führen sollte, angenommen, allerdings mit
der winzigen Mehrheit von nur vier Stimmen. Am 28. März wurde Friedrich
Wilhelm IV. zum Kaiser gewählt. Sofort wurde eine Deputation von dreißig
Mitgliedern, an deren Spitze der Präsident Simson stand, nach Berlin gesandt,
um dem Könige im Namen der deutschen Nationalversammlung die erbliche
Kaiserwürde anzubieten. Am 3. April 1849 empfing Friedrich Wilhelm diese
Deputation im Rittersaale des Schlosses zu Berlin und lehnte die angebotene
Krone ab, zwar nicht ganz entschieden und endgiltig, aber es war doch eine
Ablehnung. Damit war die ganze, so gewaltig erscheinende nationale Bewegung,
die etwa ein Jahr zuvor ihren Anfang genommen hatte und die damals einem
mächtigen Strome gleich alle Hindernisse mit Leichtigkeit schien hinwegspülen zu
wollen, im Sande verlaufen, und die deutsche Frage war verworrener und ver¬
fahrener denn je zuvor.

Es ist hier nicht der Ort, auf alle die sich am Hofe und um die Person
des Monarchen kreuzenden Einflüsse und Erwägungen näher einzugehen. Ebenso
wenig sollen hier die verschiednen Verhandlungen, Schreiben und Ansprachen
oder gar die staatsrechtliche Frage, ob das Parlament überhaupt befugt war,
eine Kaiserkrone zu vergeben, besprochen werden. Darin jedoch werden wohl
die meisten unbefangenen Beurteiler, welche die politischen Verhältnisse jener
Zeit kennen, und welche aus der Geschichte überhaupt etwas gelernt haben,
übereinstimmen, daß Friedrich Wilhelm IV. nicht anders handeln konnte, als
er gehandelt hat. Mit den republikanischen Elementen, die von einer monar¬
chischen Verfassung überhaupt nichts wissen wollten, wäre man wohl fertig ge¬
worden; das beweisen thatsächlich die Vorgänge in Baden und in der Pfalz.
Auch den Mittelstaaten wäre der Großmachtsdusel wohl etwas vergangen, wenn
einige Armeekorps einen sanften Druck auf sie geübt hätten. Aber zu einer
endgiltigen Auseinandersetzung mit Österreich war damals Preußen gar nicht
imstande. Denn friedlicher Natur wäre eine solche Auseinandersetzung niemals
gewesen, auch in der Zeit nicht, in welcher Österreich durch Aufstände und Kriege
völlig gelähmt schien. Der Entscheidungskampf wäre dann höchstens so lange
vertagt worden, bis der Kaiserstaat wieder zu Atem und zu Kräften gekommen
wäre. Zu einem solchen Kriege war damals das preußische Heer lange nicht
stark genug, auch wenn Männer an der Spitze gestanden hätten, welche die
politische und militärische Befähigung zur Durchführung eines solchen Werkes


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[0394] Der deutsche Bund. ganz die harten, unerbittlichen Macht- und Interessenfragen übersah, so kann dieser Tadel nicht allzu hart sein. Zunächst errang diese Partei scheinbar einen Erfolg, der noch einmal eine Begeisterung hervorrief, die derjenigen ähnlich war, mit welcher der „Völker¬ frühling" von 1848 von den meisten Seiten begrüßt worden war. Am 27. März 1849 wurde endlich, nachdem eine Reichsverfassung mit Staatenhaus und Volks¬ haus zustande gebracht war, die Erblichkeit der Würde des Reichsoberhauptes, der den Titel „Kaiser der Deutschen" führen sollte, angenommen, allerdings mit der winzigen Mehrheit von nur vier Stimmen. Am 28. März wurde Friedrich Wilhelm IV. zum Kaiser gewählt. Sofort wurde eine Deputation von dreißig Mitgliedern, an deren Spitze der Präsident Simson stand, nach Berlin gesandt, um dem Könige im Namen der deutschen Nationalversammlung die erbliche Kaiserwürde anzubieten. Am 3. April 1849 empfing Friedrich Wilhelm diese Deputation im Rittersaale des Schlosses zu Berlin und lehnte die angebotene Krone ab, zwar nicht ganz entschieden und endgiltig, aber es war doch eine Ablehnung. Damit war die ganze, so gewaltig erscheinende nationale Bewegung, die etwa ein Jahr zuvor ihren Anfang genommen hatte und die damals einem mächtigen Strome gleich alle Hindernisse mit Leichtigkeit schien hinwegspülen zu wollen, im Sande verlaufen, und die deutsche Frage war verworrener und ver¬ fahrener denn je zuvor. Es ist hier nicht der Ort, auf alle die sich am Hofe und um die Person des Monarchen kreuzenden Einflüsse und Erwägungen näher einzugehen. Ebenso wenig sollen hier die verschiednen Verhandlungen, Schreiben und Ansprachen oder gar die staatsrechtliche Frage, ob das Parlament überhaupt befugt war, eine Kaiserkrone zu vergeben, besprochen werden. Darin jedoch werden wohl die meisten unbefangenen Beurteiler, welche die politischen Verhältnisse jener Zeit kennen, und welche aus der Geschichte überhaupt etwas gelernt haben, übereinstimmen, daß Friedrich Wilhelm IV. nicht anders handeln konnte, als er gehandelt hat. Mit den republikanischen Elementen, die von einer monar¬ chischen Verfassung überhaupt nichts wissen wollten, wäre man wohl fertig ge¬ worden; das beweisen thatsächlich die Vorgänge in Baden und in der Pfalz. Auch den Mittelstaaten wäre der Großmachtsdusel wohl etwas vergangen, wenn einige Armeekorps einen sanften Druck auf sie geübt hätten. Aber zu einer endgiltigen Auseinandersetzung mit Österreich war damals Preußen gar nicht imstande. Denn friedlicher Natur wäre eine solche Auseinandersetzung niemals gewesen, auch in der Zeit nicht, in welcher Österreich durch Aufstände und Kriege völlig gelähmt schien. Der Entscheidungskampf wäre dann höchstens so lange vertagt worden, bis der Kaiserstaat wieder zu Atem und zu Kräften gekommen wäre. Zu einem solchen Kriege war damals das preußische Heer lange nicht stark genug, auch wenn Männer an der Spitze gestanden hätten, welche die politische und militärische Befähigung zur Durchführung eines solchen Werkes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/394>, abgerufen am 21.06.2024.