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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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reicher, soweit sie nicht demokratisch waren, dann die Partiknlaristen der Mittel-
staatcn, endlich alle ultramontanen Elemente. Während die entschiedensten
Männer dieser Richtung dahin strebten, ganz Österreich in den Bund aufzu¬
nehmen, somit das sogenannte Siebzig- oder siebenundsiebzig-Millionenreich zu
bilden und dadurch Preußen und die andern deutschen Staaten in ein ausge¬
sprochenes Vasallenverhältnis zum Kaiserstaate zu bringen, wollten die meisten
wenigstens die bisherige Stellung und den alten Einfluß Österreichs in Deutsch¬
land und am Bunde aufrecht erhalten; alle aber wollten Preußen niederhalten,
demütigen und, womöglich, verkleinern und zertrümmern. Dieser Rechten gegen¬
über stand die demokratisch-republikanische Linke; auch bei ihr waren die mannich-
fachsten Schattirungen vertreten, von dem "zahmen Revolutionär in Schlafrock
und Pantoffeln," der zwar, nach einem Witze der damaligen Zeit, "die Republik
wollte, aber mit seinem Großherzoge (oder wie er sonst hieß) an der Spitze,"
bis zu den internationalen Umstürzlern und den bluttriefenden Barrikaden¬
kämpfern, bei denen der politische Fanatismus und andre schlimme Leidenschaften
jegliches Gefühl für das Vaterland überwuchert hatten. Auch diese Partei
wurde wesentlich durch den Preußenhaß zusammengehalten. Man denke nur
an den Vers:


Hecker, Struve, Zitz und Blum,
Kommt und bringt die Preußen um!

Hierin berührten sie sich mit den angeblichen Grvßdeutschen, mit denen sie darum
in manchen Fragen zusammengingen, in ähnlicher Weise, wie noch vor kurzer Zeit
Windthorst, Richter und Liebknecht oder Grillenberger Hand in Hand gingen.

Zwischen beiden stand das Zentrum, zwar auch nichts weniger als ein ein¬
heitliches Ganzes, aber patriotisch und national, monarchisch nud wesentlich
Preußisch gesinnt. Zu dieser Partei, die allerdings in eine Reihe von ver¬
schiedenen Klubs geteilt war, gehörten unbestreitbar die hervorragendsten Talente
und die reinsten Charaktere der Versammlung. Da sie mehr oder weniger ent¬
schieden ein Ausscheiden Österreichs aus Deutschland erstrebten, nannten ihre
Gegner sie spottweise die "Kleindeutschen"; sonst bezeichnete man sie als die
"Erbkaiserpartei," später auch als die Gothaer, wegen des in Gotha abgehal¬
tenen sogenannten Nachparlaments. Was diese Partei erstrebte, war groß
und edel, und das Hauptziel, auf welches ihr Sinnen und Trachten gerichtet
war, ist ja später erreicht worden, wenngleich in ganz andrer Weise, als wohl
auch nur einer unter ihnen damals gedacht hat. Wenn anch das Werk, für
das sie ihre besten Kräfte eingesetzt haben, nichts weiter war als eine politische
Seifenblase, so lag das nicht an mangelndem guten Willen, sondern an poli¬
tischen Verhältnissen, die viel stärker waren als sie. Tadeln kann man sie höchstens,
daß sie diese Verhältnisse nicht richtig zu beurteilen verstanden; wenn man aber
sieht, wie oben in dem Verfassungsentwurfe zu lesen ist, daß sogar Friedrich
Wilhelm IV. sich solchen Träumereien und Schwärmereien hingab und dabei


Grenzboten l, 1888. 49
Der deutsche Bund.

reicher, soweit sie nicht demokratisch waren, dann die Partiknlaristen der Mittel-
staatcn, endlich alle ultramontanen Elemente. Während die entschiedensten
Männer dieser Richtung dahin strebten, ganz Österreich in den Bund aufzu¬
nehmen, somit das sogenannte Siebzig- oder siebenundsiebzig-Millionenreich zu
bilden und dadurch Preußen und die andern deutschen Staaten in ein ausge¬
sprochenes Vasallenverhältnis zum Kaiserstaate zu bringen, wollten die meisten
wenigstens die bisherige Stellung und den alten Einfluß Österreichs in Deutsch¬
land und am Bunde aufrecht erhalten; alle aber wollten Preußen niederhalten,
demütigen und, womöglich, verkleinern und zertrümmern. Dieser Rechten gegen¬
über stand die demokratisch-republikanische Linke; auch bei ihr waren die mannich-
fachsten Schattirungen vertreten, von dem „zahmen Revolutionär in Schlafrock
und Pantoffeln," der zwar, nach einem Witze der damaligen Zeit, „die Republik
wollte, aber mit seinem Großherzoge (oder wie er sonst hieß) an der Spitze,"
bis zu den internationalen Umstürzlern und den bluttriefenden Barrikaden¬
kämpfern, bei denen der politische Fanatismus und andre schlimme Leidenschaften
jegliches Gefühl für das Vaterland überwuchert hatten. Auch diese Partei
wurde wesentlich durch den Preußenhaß zusammengehalten. Man denke nur
an den Vers:


Hecker, Struve, Zitz und Blum,
Kommt und bringt die Preußen um!

Hierin berührten sie sich mit den angeblichen Grvßdeutschen, mit denen sie darum
in manchen Fragen zusammengingen, in ähnlicher Weise, wie noch vor kurzer Zeit
Windthorst, Richter und Liebknecht oder Grillenberger Hand in Hand gingen.

Zwischen beiden stand das Zentrum, zwar auch nichts weniger als ein ein¬
heitliches Ganzes, aber patriotisch und national, monarchisch nud wesentlich
Preußisch gesinnt. Zu dieser Partei, die allerdings in eine Reihe von ver¬
schiedenen Klubs geteilt war, gehörten unbestreitbar die hervorragendsten Talente
und die reinsten Charaktere der Versammlung. Da sie mehr oder weniger ent¬
schieden ein Ausscheiden Österreichs aus Deutschland erstrebten, nannten ihre
Gegner sie spottweise die „Kleindeutschen"; sonst bezeichnete man sie als die
„Erbkaiserpartei," später auch als die Gothaer, wegen des in Gotha abgehal¬
tenen sogenannten Nachparlaments. Was diese Partei erstrebte, war groß
und edel, und das Hauptziel, auf welches ihr Sinnen und Trachten gerichtet
war, ist ja später erreicht worden, wenngleich in ganz andrer Weise, als wohl
auch nur einer unter ihnen damals gedacht hat. Wenn anch das Werk, für
das sie ihre besten Kräfte eingesetzt haben, nichts weiter war als eine politische
Seifenblase, so lag das nicht an mangelndem guten Willen, sondern an poli¬
tischen Verhältnissen, die viel stärker waren als sie. Tadeln kann man sie höchstens,
daß sie diese Verhältnisse nicht richtig zu beurteilen verstanden; wenn man aber
sieht, wie oben in dem Verfassungsentwurfe zu lesen ist, daß sogar Friedrich
Wilhelm IV. sich solchen Träumereien und Schwärmereien hingab und dabei


Grenzboten l, 1888. 49
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[0393] Der deutsche Bund. reicher, soweit sie nicht demokratisch waren, dann die Partiknlaristen der Mittel- staatcn, endlich alle ultramontanen Elemente. Während die entschiedensten Männer dieser Richtung dahin strebten, ganz Österreich in den Bund aufzu¬ nehmen, somit das sogenannte Siebzig- oder siebenundsiebzig-Millionenreich zu bilden und dadurch Preußen und die andern deutschen Staaten in ein ausge¬ sprochenes Vasallenverhältnis zum Kaiserstaate zu bringen, wollten die meisten wenigstens die bisherige Stellung und den alten Einfluß Österreichs in Deutsch¬ land und am Bunde aufrecht erhalten; alle aber wollten Preußen niederhalten, demütigen und, womöglich, verkleinern und zertrümmern. Dieser Rechten gegen¬ über stand die demokratisch-republikanische Linke; auch bei ihr waren die mannich- fachsten Schattirungen vertreten, von dem „zahmen Revolutionär in Schlafrock und Pantoffeln," der zwar, nach einem Witze der damaligen Zeit, „die Republik wollte, aber mit seinem Großherzoge (oder wie er sonst hieß) an der Spitze," bis zu den internationalen Umstürzlern und den bluttriefenden Barrikaden¬ kämpfern, bei denen der politische Fanatismus und andre schlimme Leidenschaften jegliches Gefühl für das Vaterland überwuchert hatten. Auch diese Partei wurde wesentlich durch den Preußenhaß zusammengehalten. Man denke nur an den Vers: Hecker, Struve, Zitz und Blum, Kommt und bringt die Preußen um! Hierin berührten sie sich mit den angeblichen Grvßdeutschen, mit denen sie darum in manchen Fragen zusammengingen, in ähnlicher Weise, wie noch vor kurzer Zeit Windthorst, Richter und Liebknecht oder Grillenberger Hand in Hand gingen. Zwischen beiden stand das Zentrum, zwar auch nichts weniger als ein ein¬ heitliches Ganzes, aber patriotisch und national, monarchisch nud wesentlich Preußisch gesinnt. Zu dieser Partei, die allerdings in eine Reihe von ver¬ schiedenen Klubs geteilt war, gehörten unbestreitbar die hervorragendsten Talente und die reinsten Charaktere der Versammlung. Da sie mehr oder weniger ent¬ schieden ein Ausscheiden Österreichs aus Deutschland erstrebten, nannten ihre Gegner sie spottweise die „Kleindeutschen"; sonst bezeichnete man sie als die „Erbkaiserpartei," später auch als die Gothaer, wegen des in Gotha abgehal¬ tenen sogenannten Nachparlaments. Was diese Partei erstrebte, war groß und edel, und das Hauptziel, auf welches ihr Sinnen und Trachten gerichtet war, ist ja später erreicht worden, wenngleich in ganz andrer Weise, als wohl auch nur einer unter ihnen damals gedacht hat. Wenn anch das Werk, für das sie ihre besten Kräfte eingesetzt haben, nichts weiter war als eine politische Seifenblase, so lag das nicht an mangelndem guten Willen, sondern an poli¬ tischen Verhältnissen, die viel stärker waren als sie. Tadeln kann man sie höchstens, daß sie diese Verhältnisse nicht richtig zu beurteilen verstanden; wenn man aber sieht, wie oben in dem Verfassungsentwurfe zu lesen ist, daß sogar Friedrich Wilhelm IV. sich solchen Träumereien und Schwärmereien hingab und dabei Grenzboten l, 1888. 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/393>, abgerufen am 21.10.2024.