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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Denkwürdigkeiten des Herzogs Lrnst.

land sie braucht, wenn es nicht den auswärtigen Feinden und der Anarchie
verfallen soll, und nur eine solche monarchische Zentralgewolt kann eine Ga¬
rantie für die monarchische Verfassung der einzelnen Staaten bilden. . . . Nach
allen diesen Erwägungen scheint folgender Vorschlag allein ausführbar und be¬
ruhigend zu sein: Die Würde des Oberhauptes wechselt von fünf zu fünf
Jahren zwischen dem Kaiser von Österreich und den dentschen Königen nach
ihrer bisherigen Rangordnung, so jedoch, daß jetzt aus diesen das erste Ober¬
haupt durch Stimmenmehrheit der deutschen Bundesglieder im engern Rate
gewählt würde, nach demselben aber jedenfalls der Kaiser von Österreich, sofern
er nicht etwa jetzt gewählt würde, den Turnus begönne."

Selbstverständlich hatte dieser Vorschlag keinerlei Aussicht, irgendwo Anklang
zu finden, aber er brach dem Entwürfe des sogenannten Siebzehnerausschusses
die Spitze ab, gegen den auch Baiern durch Vorlegung eines eignen Programms
einen Schachzug gethan hatte.

Seit Anfang Mai versammelten sich die Vertreter des deutschen Volkes
in Frankfurt, von welcher Stadt alte Reminiszenzen und der unpraktische Sinn
der deutschen Politiker nun einmal nicht weichen wollten, und seit Mitte Mai
hatten die sächsischen Herzogtümer wie die andern einzelnen Staaten dort für
die Virilstimmen am Bunde je einen besondern Vertreter. Für Koburg-Gotha
war es Stockmar, für Meiningen Professor Perthes, auch ein alter Freund
des Herzogs Ernst. Seitdem das Bundcsprcisidium von der österreichischen
Negierung dem bisherigen Vertrauensmanne der Siebzehner, Herrn von Schmer¬
ling, übertragen worden war, hatte sich der Bundestag vor seinem gänzlichen
Abschiede eine etwas ehrenvollere Stellung errungen, aber die Frage der Neu¬
gestaltung des Bundes hatte dadurch wenig gewonnen, vielmehr war die Partei,
welche Preußen zur Führung Deutschlands berufen sehen wollte, noch mehr in den
Hintergrund gedrängt worden. Stockmar fand unter diesen Umständen nicht den
Einfluß, den er gehofft hatte, und so "entwich er -- wie der Herzog berichtet --
am 2. Juni in einer Weise aus Frankfurt, die sich uur aus den Sonderbarkeiten
dieses merkwürdigen Mannes erklärt," und begab sich heimlich nach Berlin, wo
man bis zuletzt geschwankt hatte, "um den König noch im letzten Moment in
die Aktion zu bringen. Er erntete nichts als den größten Mißerfolg." Einige
Wochen vorher war Heinrich von Gagern auf einer Rundreise an die europäischen
Höfe auch nach Londo: gekommen, wo er dem Bruder Herzog Ernsts Gelegen¬
heit gegeben hatte, "viel in die Karten zu sehen." Gagern muß dabei
nicht viel Erfreuliches zu zeigen gehabt haben; denn Prinz Albert schrieb bald
nachher an seinen Bruder über "die Errungenschaften der Neuzeit" ironisch:
"Die meinige besteht in einem Schnupftuch mit den deutschen Farben, das man
mir aus Frankfurt, dem Sitze der Sich-selbst-Jchschen deutschen Männer, Brüder,
Bürger, Vertreter, Fünfziger, Meinungstüchtiger zugeschickt hat, und ich kann
mich nun zeitgemäß schnauzen." Die Ansicht von dem Treiben der Herren in


Die Denkwürdigkeiten des Herzogs Lrnst.

land sie braucht, wenn es nicht den auswärtigen Feinden und der Anarchie
verfallen soll, und nur eine solche monarchische Zentralgewolt kann eine Ga¬
rantie für die monarchische Verfassung der einzelnen Staaten bilden. . . . Nach
allen diesen Erwägungen scheint folgender Vorschlag allein ausführbar und be¬
ruhigend zu sein: Die Würde des Oberhauptes wechselt von fünf zu fünf
Jahren zwischen dem Kaiser von Österreich und den dentschen Königen nach
ihrer bisherigen Rangordnung, so jedoch, daß jetzt aus diesen das erste Ober¬
haupt durch Stimmenmehrheit der deutschen Bundesglieder im engern Rate
gewählt würde, nach demselben aber jedenfalls der Kaiser von Österreich, sofern
er nicht etwa jetzt gewählt würde, den Turnus begönne."

Selbstverständlich hatte dieser Vorschlag keinerlei Aussicht, irgendwo Anklang
zu finden, aber er brach dem Entwürfe des sogenannten Siebzehnerausschusses
die Spitze ab, gegen den auch Baiern durch Vorlegung eines eignen Programms
einen Schachzug gethan hatte.

Seit Anfang Mai versammelten sich die Vertreter des deutschen Volkes
in Frankfurt, von welcher Stadt alte Reminiszenzen und der unpraktische Sinn
der deutschen Politiker nun einmal nicht weichen wollten, und seit Mitte Mai
hatten die sächsischen Herzogtümer wie die andern einzelnen Staaten dort für
die Virilstimmen am Bunde je einen besondern Vertreter. Für Koburg-Gotha
war es Stockmar, für Meiningen Professor Perthes, auch ein alter Freund
des Herzogs Ernst. Seitdem das Bundcsprcisidium von der österreichischen
Negierung dem bisherigen Vertrauensmanne der Siebzehner, Herrn von Schmer¬
ling, übertragen worden war, hatte sich der Bundestag vor seinem gänzlichen
Abschiede eine etwas ehrenvollere Stellung errungen, aber die Frage der Neu¬
gestaltung des Bundes hatte dadurch wenig gewonnen, vielmehr war die Partei,
welche Preußen zur Führung Deutschlands berufen sehen wollte, noch mehr in den
Hintergrund gedrängt worden. Stockmar fand unter diesen Umständen nicht den
Einfluß, den er gehofft hatte, und so „entwich er — wie der Herzog berichtet —
am 2. Juni in einer Weise aus Frankfurt, die sich uur aus den Sonderbarkeiten
dieses merkwürdigen Mannes erklärt," und begab sich heimlich nach Berlin, wo
man bis zuletzt geschwankt hatte, „um den König noch im letzten Moment in
die Aktion zu bringen. Er erntete nichts als den größten Mißerfolg." Einige
Wochen vorher war Heinrich von Gagern auf einer Rundreise an die europäischen
Höfe auch nach Londo: gekommen, wo er dem Bruder Herzog Ernsts Gelegen¬
heit gegeben hatte, „viel in die Karten zu sehen." Gagern muß dabei
nicht viel Erfreuliches zu zeigen gehabt haben; denn Prinz Albert schrieb bald
nachher an seinen Bruder über „die Errungenschaften der Neuzeit" ironisch:
„Die meinige besteht in einem Schnupftuch mit den deutschen Farben, das man
mir aus Frankfurt, dem Sitze der Sich-selbst-Jchschen deutschen Männer, Brüder,
Bürger, Vertreter, Fünfziger, Meinungstüchtiger zugeschickt hat, und ich kann
mich nun zeitgemäß schnauzen." Die Ansicht von dem Treiben der Herren in


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[0368] Die Denkwürdigkeiten des Herzogs Lrnst. land sie braucht, wenn es nicht den auswärtigen Feinden und der Anarchie verfallen soll, und nur eine solche monarchische Zentralgewolt kann eine Ga¬ rantie für die monarchische Verfassung der einzelnen Staaten bilden. . . . Nach allen diesen Erwägungen scheint folgender Vorschlag allein ausführbar und be¬ ruhigend zu sein: Die Würde des Oberhauptes wechselt von fünf zu fünf Jahren zwischen dem Kaiser von Österreich und den dentschen Königen nach ihrer bisherigen Rangordnung, so jedoch, daß jetzt aus diesen das erste Ober¬ haupt durch Stimmenmehrheit der deutschen Bundesglieder im engern Rate gewählt würde, nach demselben aber jedenfalls der Kaiser von Österreich, sofern er nicht etwa jetzt gewählt würde, den Turnus begönne." Selbstverständlich hatte dieser Vorschlag keinerlei Aussicht, irgendwo Anklang zu finden, aber er brach dem Entwürfe des sogenannten Siebzehnerausschusses die Spitze ab, gegen den auch Baiern durch Vorlegung eines eignen Programms einen Schachzug gethan hatte. Seit Anfang Mai versammelten sich die Vertreter des deutschen Volkes in Frankfurt, von welcher Stadt alte Reminiszenzen und der unpraktische Sinn der deutschen Politiker nun einmal nicht weichen wollten, und seit Mitte Mai hatten die sächsischen Herzogtümer wie die andern einzelnen Staaten dort für die Virilstimmen am Bunde je einen besondern Vertreter. Für Koburg-Gotha war es Stockmar, für Meiningen Professor Perthes, auch ein alter Freund des Herzogs Ernst. Seitdem das Bundcsprcisidium von der österreichischen Negierung dem bisherigen Vertrauensmanne der Siebzehner, Herrn von Schmer¬ ling, übertragen worden war, hatte sich der Bundestag vor seinem gänzlichen Abschiede eine etwas ehrenvollere Stellung errungen, aber die Frage der Neu¬ gestaltung des Bundes hatte dadurch wenig gewonnen, vielmehr war die Partei, welche Preußen zur Führung Deutschlands berufen sehen wollte, noch mehr in den Hintergrund gedrängt worden. Stockmar fand unter diesen Umständen nicht den Einfluß, den er gehofft hatte, und so „entwich er — wie der Herzog berichtet — am 2. Juni in einer Weise aus Frankfurt, die sich uur aus den Sonderbarkeiten dieses merkwürdigen Mannes erklärt," und begab sich heimlich nach Berlin, wo man bis zuletzt geschwankt hatte, „um den König noch im letzten Moment in die Aktion zu bringen. Er erntete nichts als den größten Mißerfolg." Einige Wochen vorher war Heinrich von Gagern auf einer Rundreise an die europäischen Höfe auch nach Londo: gekommen, wo er dem Bruder Herzog Ernsts Gelegen¬ heit gegeben hatte, „viel in die Karten zu sehen." Gagern muß dabei nicht viel Erfreuliches zu zeigen gehabt haben; denn Prinz Albert schrieb bald nachher an seinen Bruder über „die Errungenschaften der Neuzeit" ironisch: „Die meinige besteht in einem Schnupftuch mit den deutschen Farben, das man mir aus Frankfurt, dem Sitze der Sich-selbst-Jchschen deutschen Männer, Brüder, Bürger, Vertreter, Fünfziger, Meinungstüchtiger zugeschickt hat, und ich kann mich nun zeitgemäß schnauzen." Die Ansicht von dem Treiben der Herren in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/368>, abgerufen am 21.06.2024.