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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Denkwürdigkeiten des Herzogs Gruft.

Berücksichtigung verdient. Nun kommt noch die historische Stellung hinzu.
Fast alle größern Staaten und mehrere der kleinern sind ein Mosaik verschie¬
dener Territorien. . . . Sachsen allein besitzt in beiden Linien nichts, was das
Haus nicht seit Jahrhunderten besessen hätte. Beide Linien sind sogar um einen
Teil ihrer alten und teilweise wirklichen Familienbesitzungen gebracht worden.
Die Verluste der ältern Linie, die für die damalige Reformation die Kastanien
aus dem Feuer zog ssehr bezeichnend für den Briefschreiber!), sind seit dreihundert
Jahren bedeutend genug gewesen. Von dieser ältern Linie sind nun denn doch
nicht unbedeutende Zweige in Europa gerade solche, welche dem konstitutionellen
Wesen glänzende Dienste geleistet haben" -- und, so dürfen wir wohl hinzu¬
fügen, dafür von den westlichen konstitutionellen Großstaaten Unterstützung ihrer
deutschen Vettern beanspruchen dürfen. Der königliche Rat schließt: "Aufgeben
aller Souveränitütsmomente, welche dem Gesamtreiche zu gute kommen können.
Will dieses das Verschwinden aller Separatstaaten, dann herzliches und patrio¬
tisches Zustimmen zu solch einem Schritte. Handelt es sich jedoch nur um
Scparatspoliation und Selbstmord, alsdann höfliches Hinweisen auf allgemeines
Recht, 1s äioit oollunuv, und auf internationales Recht und in keinem Falle
selbst abdiziren."

Wie der Neffe in Koburg sich zu der Auffassung des Brüsseler Oheims
stellte, geht am besten aus einem Schreiben des erstem hervor, welches Mit¬
teilung von den preußischen Vorschlägen zur Einsetzung eines Fürstenrates
machte und ebenfalls sehr bezeichnend ist, wenn wir gewisse dunkle und mit
früheren kleinmütigen Äußerungen des Verfassers schwer vereinbare Stellen
richtig deuten. Er schreibt: "Der Weg ist nun gebahnt zu einer teilweisen
Ausführung der preußischen Vorschlüge!... Hiermit hoffe ich auch die unselige
Verschmelzung der kleinen Staaten zu einem thüringischen Königreiche, an dessen
Spitze Weimar stehen wollte, ganz unmöglich gemacht zu haben. Läge mir
nicht am Allgemeinwohl und wäre ich nicht Feind aller revolutionären Be¬
strebungen, so wäre es mir ein leichtes gewesen, mich an die Spitze einer ^noch
viel größer" Vereinigung ^etma gar der Kaiserposten von Volkes Gnaden?^
zu stellen. Es klingt wie Dünkel, aber -- leider -- möchte ich sagen, genieße
ich in dieser Zeit einen Einfluß und eine Popularität in diesem Teile von
Deutschland, wie ich es mir nie geträumt hätte. Unbewußt und ohne daß ich
es im geringsten gesucht hätte, bin ich zu der zweifelhaften Ehre eines "Volks¬
mannes" gekommen, und so unbequem und kitzlich die Stellung auch ist, so
habe ich doch die Macht, der deutschen Sache großen Vorschub zu leisten, um
mit Hintansetzung meiner eignen Interessen dem Ganzen zu dienen. Ver-
schiednem Herren Vettern habe ich dadurch schon manchen Dienst geleistet;
nichts desto weniger sind sie sehr eifersüchtig auf die Stellung, die ich einnehme."
Noch einmal wurde das thüringische Vereinigungsprojekt durch Ministerkon¬
ferenzen beraten und zwar auf Veranlassung des Neichskommissars von Mühlen-


Die Denkwürdigkeiten des Herzogs Gruft.

Berücksichtigung verdient. Nun kommt noch die historische Stellung hinzu.
Fast alle größern Staaten und mehrere der kleinern sind ein Mosaik verschie¬
dener Territorien. . . . Sachsen allein besitzt in beiden Linien nichts, was das
Haus nicht seit Jahrhunderten besessen hätte. Beide Linien sind sogar um einen
Teil ihrer alten und teilweise wirklichen Familienbesitzungen gebracht worden.
Die Verluste der ältern Linie, die für die damalige Reformation die Kastanien
aus dem Feuer zog ssehr bezeichnend für den Briefschreiber!), sind seit dreihundert
Jahren bedeutend genug gewesen. Von dieser ältern Linie sind nun denn doch
nicht unbedeutende Zweige in Europa gerade solche, welche dem konstitutionellen
Wesen glänzende Dienste geleistet haben" — und, so dürfen wir wohl hinzu¬
fügen, dafür von den westlichen konstitutionellen Großstaaten Unterstützung ihrer
deutschen Vettern beanspruchen dürfen. Der königliche Rat schließt: „Aufgeben
aller Souveränitütsmomente, welche dem Gesamtreiche zu gute kommen können.
Will dieses das Verschwinden aller Separatstaaten, dann herzliches und patrio¬
tisches Zustimmen zu solch einem Schritte. Handelt es sich jedoch nur um
Scparatspoliation und Selbstmord, alsdann höfliches Hinweisen auf allgemeines
Recht, 1s äioit oollunuv, und auf internationales Recht und in keinem Falle
selbst abdiziren."

Wie der Neffe in Koburg sich zu der Auffassung des Brüsseler Oheims
stellte, geht am besten aus einem Schreiben des erstem hervor, welches Mit¬
teilung von den preußischen Vorschlägen zur Einsetzung eines Fürstenrates
machte und ebenfalls sehr bezeichnend ist, wenn wir gewisse dunkle und mit
früheren kleinmütigen Äußerungen des Verfassers schwer vereinbare Stellen
richtig deuten. Er schreibt: „Der Weg ist nun gebahnt zu einer teilweisen
Ausführung der preußischen Vorschlüge!... Hiermit hoffe ich auch die unselige
Verschmelzung der kleinen Staaten zu einem thüringischen Königreiche, an dessen
Spitze Weimar stehen wollte, ganz unmöglich gemacht zu haben. Läge mir
nicht am Allgemeinwohl und wäre ich nicht Feind aller revolutionären Be¬
strebungen, so wäre es mir ein leichtes gewesen, mich an die Spitze einer ^noch
viel größer« Vereinigung ^etma gar der Kaiserposten von Volkes Gnaden?^
zu stellen. Es klingt wie Dünkel, aber — leider — möchte ich sagen, genieße
ich in dieser Zeit einen Einfluß und eine Popularität in diesem Teile von
Deutschland, wie ich es mir nie geträumt hätte. Unbewußt und ohne daß ich
es im geringsten gesucht hätte, bin ich zu der zweifelhaften Ehre eines »Volks¬
mannes« gekommen, und so unbequem und kitzlich die Stellung auch ist, so
habe ich doch die Macht, der deutschen Sache großen Vorschub zu leisten, um
mit Hintansetzung meiner eignen Interessen dem Ganzen zu dienen. Ver-
schiednem Herren Vettern habe ich dadurch schon manchen Dienst geleistet;
nichts desto weniger sind sie sehr eifersüchtig auf die Stellung, die ich einnehme."
Noch einmal wurde das thüringische Vereinigungsprojekt durch Ministerkon¬
ferenzen beraten und zwar auf Veranlassung des Neichskommissars von Mühlen-


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[0363] Die Denkwürdigkeiten des Herzogs Gruft. Berücksichtigung verdient. Nun kommt noch die historische Stellung hinzu. Fast alle größern Staaten und mehrere der kleinern sind ein Mosaik verschie¬ dener Territorien. . . . Sachsen allein besitzt in beiden Linien nichts, was das Haus nicht seit Jahrhunderten besessen hätte. Beide Linien sind sogar um einen Teil ihrer alten und teilweise wirklichen Familienbesitzungen gebracht worden. Die Verluste der ältern Linie, die für die damalige Reformation die Kastanien aus dem Feuer zog ssehr bezeichnend für den Briefschreiber!), sind seit dreihundert Jahren bedeutend genug gewesen. Von dieser ältern Linie sind nun denn doch nicht unbedeutende Zweige in Europa gerade solche, welche dem konstitutionellen Wesen glänzende Dienste geleistet haben" — und, so dürfen wir wohl hinzu¬ fügen, dafür von den westlichen konstitutionellen Großstaaten Unterstützung ihrer deutschen Vettern beanspruchen dürfen. Der königliche Rat schließt: „Aufgeben aller Souveränitütsmomente, welche dem Gesamtreiche zu gute kommen können. Will dieses das Verschwinden aller Separatstaaten, dann herzliches und patrio¬ tisches Zustimmen zu solch einem Schritte. Handelt es sich jedoch nur um Scparatspoliation und Selbstmord, alsdann höfliches Hinweisen auf allgemeines Recht, 1s äioit oollunuv, und auf internationales Recht und in keinem Falle selbst abdiziren." Wie der Neffe in Koburg sich zu der Auffassung des Brüsseler Oheims stellte, geht am besten aus einem Schreiben des erstem hervor, welches Mit¬ teilung von den preußischen Vorschlägen zur Einsetzung eines Fürstenrates machte und ebenfalls sehr bezeichnend ist, wenn wir gewisse dunkle und mit früheren kleinmütigen Äußerungen des Verfassers schwer vereinbare Stellen richtig deuten. Er schreibt: „Der Weg ist nun gebahnt zu einer teilweisen Ausführung der preußischen Vorschlüge!... Hiermit hoffe ich auch die unselige Verschmelzung der kleinen Staaten zu einem thüringischen Königreiche, an dessen Spitze Weimar stehen wollte, ganz unmöglich gemacht zu haben. Läge mir nicht am Allgemeinwohl und wäre ich nicht Feind aller revolutionären Be¬ strebungen, so wäre es mir ein leichtes gewesen, mich an die Spitze einer ^noch viel größer« Vereinigung ^etma gar der Kaiserposten von Volkes Gnaden?^ zu stellen. Es klingt wie Dünkel, aber — leider — möchte ich sagen, genieße ich in dieser Zeit einen Einfluß und eine Popularität in diesem Teile von Deutschland, wie ich es mir nie geträumt hätte. Unbewußt und ohne daß ich es im geringsten gesucht hätte, bin ich zu der zweifelhaften Ehre eines »Volks¬ mannes« gekommen, und so unbequem und kitzlich die Stellung auch ist, so habe ich doch die Macht, der deutschen Sache großen Vorschub zu leisten, um mit Hintansetzung meiner eignen Interessen dem Ganzen zu dienen. Ver- schiednem Herren Vettern habe ich dadurch schon manchen Dienst geleistet; nichts desto weniger sind sie sehr eifersüchtig auf die Stellung, die ich einnehme." Noch einmal wurde das thüringische Vereinigungsprojekt durch Ministerkon¬ ferenzen beraten und zwar auf Veranlassung des Neichskommissars von Mühlen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/363>, abgerufen am 21.06.2024.