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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Denkwürdigkeiten des Herzogs Ernst.

ebenso in Thüringen selbst lebhaft erörtert, wobei man geschichtliche Erinnerungen
aus der Urzeit hervorsuchte, um den angeblichen Einheitstrieb zu belegen. Bald
sollte die Stammesgemeinschaft der Thüringer, bald der Begriff des alten Sachsen
der Ottonischen Kaiserperiode, bald wieder die dynastische Zusammengehörigkeit
des wettinischen Gesamthauses die Grundlage zu einer neuen Formation abgeben.
Herzog Ernst setzte seinen Standpunkt seinem Bruder in einem Briefe vom
19. Juli auseinander. Es heißt da u. a.: "Auch in unsrer nächsten Nähe
gehen Dinge vor, die mich sehr beunruhigen, und gegen die ich mit aller Kraft
operire. Weimar, welches schon längst im Sinne hat, durch einen ovux ä'sol
sich aus seiner Lage zu reißen, die ihm nach und nach verderblich werden muß,
ist deutlich mit der Farbe herausgegangen und hält, den monströsen Zustand
in Altenburg vorschützend, die Vereinigung der thüringischen Staaten, nämlich
des Großherzogtums und der drei Herzogtümer, aller Neuß und der beiden
Schwarzburg zu einem Ganzen unter dem weimarischen Regentenhause für unum¬
gänglich notwendig, erstens für Deutschlands Einheit und dann besonders für
die Wohlfahrt der betreffenden Länder." Mit Recht sagt der Brief, daß es
für Deutschland, wenn überhaupt noch Souveränitäten fortbestehen sollen, einerlei
sei, ob es Staaten in sich schließe, die ein-, oder solche, die fünfhunderttausend
Seelen zählen, daß die betreffenden Unterthanen solche Veränderungen nicht
wollten, und daß die einzelnen Staaten mit viel mehr Nutzen und Neigung in
Deutschland als in Weimar aufgehen würden. Er fährt dann fort: "Ich würde
die Sache für weniger wichtig halten, wenn nicht Weimar bereits hinter unserm
Rücken Schritte gethan hätte, welche ein rasches Handeln notwendig machen.
Es hat erstens mit Altenburg unter der Hand einen Vertrag abzuschließen ver¬
sucht, nach welchem letzteres in seinem vollen Umfange mit seinen Souveränitäts¬
rechten an Weimar übergehen sollte, und dies wäre, so sehr auch diese Hand¬
lung alle Suceessionsordnung verletzt hätte, leicht zur That geworden, indem
der Herzog nach allem, was bei ihm vorgegangen ist und noch vorgeht, nicht
mehr regieren kann. ... Er hat sogar mit dem Könige von Sachsen wegen
Anschlusses seines Landes an diesen Staat unterhandelt. Zweitens hat Weimar
mit den Reuß und mit der Rudolstädter Regierung ähnliche Verhandlungen ge¬
pflogen und nach Aussage der Minister viel Bereitwilligkeit gefunden. Drittens
hat es an dem Delegieren Wydcnbrugk einen eifrigen Verfechter seiner Pläne,
und die Sache wird nächstens vor das Parlament kommen, was höchst günstig
ist, da Weimar durch die Presse die Ansicht verbreitet hat, unsre Herzogtümer
seien dem Vereinigungsplane geneigt. Alles dies gebot ein rasches und kräftiges
Einschreiten, ich eilte zuerst nach Weimar und, da ich bei dem Ministerium keine
Aufrichtigkeit und Geneigtheit fand, nach Altenburg. Meine Überrumpelung
hatte die besten Folgen, . . . und ich brachte es sogar dahin, daß Altenburg
mich zum Vermittler wählte, sowohl für die Vereinigungspläne als auch für
die eignen Angelegenheiten. . . . Auf den 22. ist es mir gelungen, Weimar,


Grenzboten I. 1888. 45
Die Denkwürdigkeiten des Herzogs Ernst.

ebenso in Thüringen selbst lebhaft erörtert, wobei man geschichtliche Erinnerungen
aus der Urzeit hervorsuchte, um den angeblichen Einheitstrieb zu belegen. Bald
sollte die Stammesgemeinschaft der Thüringer, bald der Begriff des alten Sachsen
der Ottonischen Kaiserperiode, bald wieder die dynastische Zusammengehörigkeit
des wettinischen Gesamthauses die Grundlage zu einer neuen Formation abgeben.
Herzog Ernst setzte seinen Standpunkt seinem Bruder in einem Briefe vom
19. Juli auseinander. Es heißt da u. a.: „Auch in unsrer nächsten Nähe
gehen Dinge vor, die mich sehr beunruhigen, und gegen die ich mit aller Kraft
operire. Weimar, welches schon längst im Sinne hat, durch einen ovux ä'sol
sich aus seiner Lage zu reißen, die ihm nach und nach verderblich werden muß,
ist deutlich mit der Farbe herausgegangen und hält, den monströsen Zustand
in Altenburg vorschützend, die Vereinigung der thüringischen Staaten, nämlich
des Großherzogtums und der drei Herzogtümer, aller Neuß und der beiden
Schwarzburg zu einem Ganzen unter dem weimarischen Regentenhause für unum¬
gänglich notwendig, erstens für Deutschlands Einheit und dann besonders für
die Wohlfahrt der betreffenden Länder." Mit Recht sagt der Brief, daß es
für Deutschland, wenn überhaupt noch Souveränitäten fortbestehen sollen, einerlei
sei, ob es Staaten in sich schließe, die ein-, oder solche, die fünfhunderttausend
Seelen zählen, daß die betreffenden Unterthanen solche Veränderungen nicht
wollten, und daß die einzelnen Staaten mit viel mehr Nutzen und Neigung in
Deutschland als in Weimar aufgehen würden. Er fährt dann fort: „Ich würde
die Sache für weniger wichtig halten, wenn nicht Weimar bereits hinter unserm
Rücken Schritte gethan hätte, welche ein rasches Handeln notwendig machen.
Es hat erstens mit Altenburg unter der Hand einen Vertrag abzuschließen ver¬
sucht, nach welchem letzteres in seinem vollen Umfange mit seinen Souveränitäts¬
rechten an Weimar übergehen sollte, und dies wäre, so sehr auch diese Hand¬
lung alle Suceessionsordnung verletzt hätte, leicht zur That geworden, indem
der Herzog nach allem, was bei ihm vorgegangen ist und noch vorgeht, nicht
mehr regieren kann. ... Er hat sogar mit dem Könige von Sachsen wegen
Anschlusses seines Landes an diesen Staat unterhandelt. Zweitens hat Weimar
mit den Reuß und mit der Rudolstädter Regierung ähnliche Verhandlungen ge¬
pflogen und nach Aussage der Minister viel Bereitwilligkeit gefunden. Drittens
hat es an dem Delegieren Wydcnbrugk einen eifrigen Verfechter seiner Pläne,
und die Sache wird nächstens vor das Parlament kommen, was höchst günstig
ist, da Weimar durch die Presse die Ansicht verbreitet hat, unsre Herzogtümer
seien dem Vereinigungsplane geneigt. Alles dies gebot ein rasches und kräftiges
Einschreiten, ich eilte zuerst nach Weimar und, da ich bei dem Ministerium keine
Aufrichtigkeit und Geneigtheit fand, nach Altenburg. Meine Überrumpelung
hatte die besten Folgen, . . . und ich brachte es sogar dahin, daß Altenburg
mich zum Vermittler wählte, sowohl für die Vereinigungspläne als auch für
die eignen Angelegenheiten. . . . Auf den 22. ist es mir gelungen, Weimar,


Grenzboten I. 1888. 45
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[0361] Die Denkwürdigkeiten des Herzogs Ernst. ebenso in Thüringen selbst lebhaft erörtert, wobei man geschichtliche Erinnerungen aus der Urzeit hervorsuchte, um den angeblichen Einheitstrieb zu belegen. Bald sollte die Stammesgemeinschaft der Thüringer, bald der Begriff des alten Sachsen der Ottonischen Kaiserperiode, bald wieder die dynastische Zusammengehörigkeit des wettinischen Gesamthauses die Grundlage zu einer neuen Formation abgeben. Herzog Ernst setzte seinen Standpunkt seinem Bruder in einem Briefe vom 19. Juli auseinander. Es heißt da u. a.: „Auch in unsrer nächsten Nähe gehen Dinge vor, die mich sehr beunruhigen, und gegen die ich mit aller Kraft operire. Weimar, welches schon längst im Sinne hat, durch einen ovux ä'sol sich aus seiner Lage zu reißen, die ihm nach und nach verderblich werden muß, ist deutlich mit der Farbe herausgegangen und hält, den monströsen Zustand in Altenburg vorschützend, die Vereinigung der thüringischen Staaten, nämlich des Großherzogtums und der drei Herzogtümer, aller Neuß und der beiden Schwarzburg zu einem Ganzen unter dem weimarischen Regentenhause für unum¬ gänglich notwendig, erstens für Deutschlands Einheit und dann besonders für die Wohlfahrt der betreffenden Länder." Mit Recht sagt der Brief, daß es für Deutschland, wenn überhaupt noch Souveränitäten fortbestehen sollen, einerlei sei, ob es Staaten in sich schließe, die ein-, oder solche, die fünfhunderttausend Seelen zählen, daß die betreffenden Unterthanen solche Veränderungen nicht wollten, und daß die einzelnen Staaten mit viel mehr Nutzen und Neigung in Deutschland als in Weimar aufgehen würden. Er fährt dann fort: „Ich würde die Sache für weniger wichtig halten, wenn nicht Weimar bereits hinter unserm Rücken Schritte gethan hätte, welche ein rasches Handeln notwendig machen. Es hat erstens mit Altenburg unter der Hand einen Vertrag abzuschließen ver¬ sucht, nach welchem letzteres in seinem vollen Umfange mit seinen Souveränitäts¬ rechten an Weimar übergehen sollte, und dies wäre, so sehr auch diese Hand¬ lung alle Suceessionsordnung verletzt hätte, leicht zur That geworden, indem der Herzog nach allem, was bei ihm vorgegangen ist und noch vorgeht, nicht mehr regieren kann. ... Er hat sogar mit dem Könige von Sachsen wegen Anschlusses seines Landes an diesen Staat unterhandelt. Zweitens hat Weimar mit den Reuß und mit der Rudolstädter Regierung ähnliche Verhandlungen ge¬ pflogen und nach Aussage der Minister viel Bereitwilligkeit gefunden. Drittens hat es an dem Delegieren Wydcnbrugk einen eifrigen Verfechter seiner Pläne, und die Sache wird nächstens vor das Parlament kommen, was höchst günstig ist, da Weimar durch die Presse die Ansicht verbreitet hat, unsre Herzogtümer seien dem Vereinigungsplane geneigt. Alles dies gebot ein rasches und kräftiges Einschreiten, ich eilte zuerst nach Weimar und, da ich bei dem Ministerium keine Aufrichtigkeit und Geneigtheit fand, nach Altenburg. Meine Überrumpelung hatte die besten Folgen, . . . und ich brachte es sogar dahin, daß Altenburg mich zum Vermittler wählte, sowohl für die Vereinigungspläne als auch für die eignen Angelegenheiten. . . . Auf den 22. ist es mir gelungen, Weimar, Grenzboten I. 1888. 45

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/361>, abgerufen am 21.06.2024.