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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Denkwürdigkeiten des Herzogs Ernst.

Auch beschränkte sich die von Gottsched gerühmte Mundart der Gebildeten
keineswegs auf das eigentliche Meißen. Im ganzen mittleren Deutschland hatte
sich durch gegenseitige Ausgleichung in den höhern Schichten der Gesellschaft
eine ziemlich verbreitete Umgangssprache gebildet, die sich von der Sprache der
mitteldeutschen und mancher norddeutschen Dichter kaum merklich unterschied,
und in der Gottsched mit vollem Rechte die Grundlage einer neuen einheitlichen
Sprache fand. Darum sagt er in einer Anmerkung zur ersten Nechtschreibregel
seiner Sprachkunst: "Was ich hier von der obersächsischen Aussprache sage, will
ich keineswegs auf das einzige Meißen gedeutet haben. Wir können sicher auch
das ganze Vogelart, Thüringen, Mansfeld und Anhalt nebst der Lausitz und
Niederschlesien dazu rechnen. In allen diesen Landschaften wird in Städten,
unter vornehmen, gelehrten und wohlgesitteten Leuten ein recht gutes Hochdeutsch
gesprochen, welches man nach dem Sitze des vornehmsten Hofes das Ober-
sächsische zu nennen Pflegt." (Schluß folgt.)




Die Denkwürdigkeiten des Herzogs Ernst.
2.

ußer dem thörichten Treiben der "Volksmänner" und ihrer Ge¬
folgschaft machten den: Herzog Ernst auch gewisse konservative
Kreise Schmerzen, die sich gegen die von ihm beabsichtigten libe¬
ralen Reformen sträubten, und nicht weniger Unruhe und Ärger
verursachten ihm und seinen Verwandten in Brüssel und London
Bestrebungen, welche, teils durch die Unfähigkeit der thüringischen Kleinstaaten
zu dauerndem Widerstände gegen die Revolution, teils durch Gelüste in dem
größten von ihnen, auf ihre Kosten noch größer zu werden, hervorgerufen, auf
Bildung eines thüringischen Gesamtstaates oder gar eines neuen Königreichs
unter Mediatisirung der Herzöge und Fürsten, eine Zeit lang auch auf Ver¬
einigung der Länder und Ländchen der letztern mit dem Königreiche Sachsen
abzielten.

Daß die Regierungen der traurigen Erscheinungen von 1848 nicht Herr
werden konnten, war eine Thatsache, die sich aber nicht bloß auf die kleinen
Staaten beschränkte. Trotzdem wurde für letztere daraus gefolgert, daß sie
lebensunfähig und somit aufzulösen seien. Diese Frage wurde in Frankfurt und


Die Denkwürdigkeiten des Herzogs Ernst.

Auch beschränkte sich die von Gottsched gerühmte Mundart der Gebildeten
keineswegs auf das eigentliche Meißen. Im ganzen mittleren Deutschland hatte
sich durch gegenseitige Ausgleichung in den höhern Schichten der Gesellschaft
eine ziemlich verbreitete Umgangssprache gebildet, die sich von der Sprache der
mitteldeutschen und mancher norddeutschen Dichter kaum merklich unterschied,
und in der Gottsched mit vollem Rechte die Grundlage einer neuen einheitlichen
Sprache fand. Darum sagt er in einer Anmerkung zur ersten Nechtschreibregel
seiner Sprachkunst: „Was ich hier von der obersächsischen Aussprache sage, will
ich keineswegs auf das einzige Meißen gedeutet haben. Wir können sicher auch
das ganze Vogelart, Thüringen, Mansfeld und Anhalt nebst der Lausitz und
Niederschlesien dazu rechnen. In allen diesen Landschaften wird in Städten,
unter vornehmen, gelehrten und wohlgesitteten Leuten ein recht gutes Hochdeutsch
gesprochen, welches man nach dem Sitze des vornehmsten Hofes das Ober-
sächsische zu nennen Pflegt." (Schluß folgt.)




Die Denkwürdigkeiten des Herzogs Ernst.
2.

ußer dem thörichten Treiben der „Volksmänner" und ihrer Ge¬
folgschaft machten den: Herzog Ernst auch gewisse konservative
Kreise Schmerzen, die sich gegen die von ihm beabsichtigten libe¬
ralen Reformen sträubten, und nicht weniger Unruhe und Ärger
verursachten ihm und seinen Verwandten in Brüssel und London
Bestrebungen, welche, teils durch die Unfähigkeit der thüringischen Kleinstaaten
zu dauerndem Widerstände gegen die Revolution, teils durch Gelüste in dem
größten von ihnen, auf ihre Kosten noch größer zu werden, hervorgerufen, auf
Bildung eines thüringischen Gesamtstaates oder gar eines neuen Königreichs
unter Mediatisirung der Herzöge und Fürsten, eine Zeit lang auch auf Ver¬
einigung der Länder und Ländchen der letztern mit dem Königreiche Sachsen
abzielten.

Daß die Regierungen der traurigen Erscheinungen von 1848 nicht Herr
werden konnten, war eine Thatsache, die sich aber nicht bloß auf die kleinen
Staaten beschränkte. Trotzdem wurde für letztere daraus gefolgert, daß sie
lebensunfähig und somit aufzulösen seien. Diese Frage wurde in Frankfurt und


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[0360] Die Denkwürdigkeiten des Herzogs Ernst. Auch beschränkte sich die von Gottsched gerühmte Mundart der Gebildeten keineswegs auf das eigentliche Meißen. Im ganzen mittleren Deutschland hatte sich durch gegenseitige Ausgleichung in den höhern Schichten der Gesellschaft eine ziemlich verbreitete Umgangssprache gebildet, die sich von der Sprache der mitteldeutschen und mancher norddeutschen Dichter kaum merklich unterschied, und in der Gottsched mit vollem Rechte die Grundlage einer neuen einheitlichen Sprache fand. Darum sagt er in einer Anmerkung zur ersten Nechtschreibregel seiner Sprachkunst: „Was ich hier von der obersächsischen Aussprache sage, will ich keineswegs auf das einzige Meißen gedeutet haben. Wir können sicher auch das ganze Vogelart, Thüringen, Mansfeld und Anhalt nebst der Lausitz und Niederschlesien dazu rechnen. In allen diesen Landschaften wird in Städten, unter vornehmen, gelehrten und wohlgesitteten Leuten ein recht gutes Hochdeutsch gesprochen, welches man nach dem Sitze des vornehmsten Hofes das Ober- sächsische zu nennen Pflegt." (Schluß folgt.) Die Denkwürdigkeiten des Herzogs Ernst. 2. ußer dem thörichten Treiben der „Volksmänner" und ihrer Ge¬ folgschaft machten den: Herzog Ernst auch gewisse konservative Kreise Schmerzen, die sich gegen die von ihm beabsichtigten libe¬ ralen Reformen sträubten, und nicht weniger Unruhe und Ärger verursachten ihm und seinen Verwandten in Brüssel und London Bestrebungen, welche, teils durch die Unfähigkeit der thüringischen Kleinstaaten zu dauerndem Widerstände gegen die Revolution, teils durch Gelüste in dem größten von ihnen, auf ihre Kosten noch größer zu werden, hervorgerufen, auf Bildung eines thüringischen Gesamtstaates oder gar eines neuen Königreichs unter Mediatisirung der Herzöge und Fürsten, eine Zeit lang auch auf Ver¬ einigung der Länder und Ländchen der letztern mit dem Königreiche Sachsen abzielten. Daß die Regierungen der traurigen Erscheinungen von 1848 nicht Herr werden konnten, war eine Thatsache, die sich aber nicht bloß auf die kleinen Staaten beschränkte. Trotzdem wurde für letztere daraus gefolgert, daß sie lebensunfähig und somit aufzulösen seien. Diese Frage wurde in Frankfurt und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/360>, abgerufen am 21.06.2024.