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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Gottsched und die deutsche Sprache.

entschied sich für die obersächsische oder meißnische Mundart als für die aus¬
schlaggebende. Er lieferte damit einen Beweis seiner Einsicht und seiner Un¬
befangenheit; nicht die Mundart seiner engern Heimat Preußen, nicht die der
sonst von ihm so hochgeschätzten schlesischen Dichter soll herrschend werden,
sondern eine Mundart, die er sich selbst erst durch Übung zu eigen machen muß,
für deren Wert er aber anführen kann, daß sie der bisherigen Sprachentwicklung
am angemessensten ist.

Etwas völlig neues hatte er mit dieser Entscheidung freilich nicht gesagt.
Schon im Jahre 1691 hatte Kaspar Stieler, der in Sprachdingen so fein
fühlende Verfasser eines deutschen Wörterbuches, allerdings in einem Stile, der
an Lohensteinschen Schwulst erinnert, den Kurfürsten Johann Georg von Sachsen
gepriesen als "den großmächtigen Beherrscher der wahren Sitz- und Stamm¬
häuser der hochdeutschen Reichssprache, einen Herrscher über solche Städte und
Festungen, worinnen die hochdeutsche Sprache glücklich geboren, glücklicher er¬
zogen und aufs glücklichste ausgezieret und geschmücket worden, auch noch täglich
einen erneueten und mehr lieblichen Glanz empfähet: ich meine das prächtige
Dresden, das heilige Wittenberg und die süßeste aller Städte, Leipzig." Das
ist dem Sinne nach genau dasselbe, was Gottsched von der hohen Schule zu
Wittenberg und von dem Bücher erzeugenden Leipzig sagte.

Gottscheds Bevorzugung der meißnischen Mundart ist übrigens viel mi߬
verstanden und viel verspottet worden. Man fragte, warum man sich denn Wohl
gerade nach der Sprache der Meißner Weingärtner und der obersächsischen
Bauern richten sollte, und jeder, der Gottsched mißverstand, lebte der Über¬
zeugung, daß die Mundart seiner Heimat mindestens nicht gemeiner klinge als
die der Meißner oder Obersachsen. So hatte es aber Gottsched gar nicht ge¬
meint. Er wollte sich nicht an eine Büchersprache anschließen, sondern an eine
gesprochene, aber keineswegs an die, welche die gemeinen Leute in Meißen sprachen.
Eine Sprache für Gebildete wollte er schaffen, und bei Gebildeten suchte er sie.
In seiner Zeitschrift "Das Neueste aus der anmutigen Gelehrsamkeit" (I, 584)
spricht er geradezu aus, das eigentliche und wahre Hochdeutsch sei "eine ge¬
wisse ausgesuchte und auserlesene Art zu reden," die in keiner Provinz völlig
im Schwange gehe und die man "die Mundart der Gelehrten, wohl auch der
Höfe" nennen könne. Sie müsse von allen Provinzialwörtern geschieden werden
wie der Weizen von der Spreu. Daß der "unbeständige Pöbel" auch in Ober¬
sachsen zu gewissen Unrichtigkeiten und Verfälschungen der Wörter geneigt sei, giebt
Gottsched gern zu; er sagt z. B., Leipzig, Halle und Merseburg lägen nahe bei
einander und alle drei sprächen gut obersächsisch, doch höre man da "Jott" und
"jut" neben "Gott" und "gut"; fest aber steht ihm, daß wir "in Deutschland ohne
Zweifel der kursächsischen Residenzstadt Dresden, zumal des Hofes angenehme
Mundart, mit den Sprachregeln und kritischen Beobachtungen verbinden müssen,
die seit vielen Jahren in Leipzig gemacht und im Schreiben eingeführt worden."


Gottsched und die deutsche Sprache.

entschied sich für die obersächsische oder meißnische Mundart als für die aus¬
schlaggebende. Er lieferte damit einen Beweis seiner Einsicht und seiner Un¬
befangenheit; nicht die Mundart seiner engern Heimat Preußen, nicht die der
sonst von ihm so hochgeschätzten schlesischen Dichter soll herrschend werden,
sondern eine Mundart, die er sich selbst erst durch Übung zu eigen machen muß,
für deren Wert er aber anführen kann, daß sie der bisherigen Sprachentwicklung
am angemessensten ist.

Etwas völlig neues hatte er mit dieser Entscheidung freilich nicht gesagt.
Schon im Jahre 1691 hatte Kaspar Stieler, der in Sprachdingen so fein
fühlende Verfasser eines deutschen Wörterbuches, allerdings in einem Stile, der
an Lohensteinschen Schwulst erinnert, den Kurfürsten Johann Georg von Sachsen
gepriesen als „den großmächtigen Beherrscher der wahren Sitz- und Stamm¬
häuser der hochdeutschen Reichssprache, einen Herrscher über solche Städte und
Festungen, worinnen die hochdeutsche Sprache glücklich geboren, glücklicher er¬
zogen und aufs glücklichste ausgezieret und geschmücket worden, auch noch täglich
einen erneueten und mehr lieblichen Glanz empfähet: ich meine das prächtige
Dresden, das heilige Wittenberg und die süßeste aller Städte, Leipzig." Das
ist dem Sinne nach genau dasselbe, was Gottsched von der hohen Schule zu
Wittenberg und von dem Bücher erzeugenden Leipzig sagte.

Gottscheds Bevorzugung der meißnischen Mundart ist übrigens viel mi߬
verstanden und viel verspottet worden. Man fragte, warum man sich denn Wohl
gerade nach der Sprache der Meißner Weingärtner und der obersächsischen
Bauern richten sollte, und jeder, der Gottsched mißverstand, lebte der Über¬
zeugung, daß die Mundart seiner Heimat mindestens nicht gemeiner klinge als
die der Meißner oder Obersachsen. So hatte es aber Gottsched gar nicht ge¬
meint. Er wollte sich nicht an eine Büchersprache anschließen, sondern an eine
gesprochene, aber keineswegs an die, welche die gemeinen Leute in Meißen sprachen.
Eine Sprache für Gebildete wollte er schaffen, und bei Gebildeten suchte er sie.
In seiner Zeitschrift „Das Neueste aus der anmutigen Gelehrsamkeit" (I, 584)
spricht er geradezu aus, das eigentliche und wahre Hochdeutsch sei „eine ge¬
wisse ausgesuchte und auserlesene Art zu reden," die in keiner Provinz völlig
im Schwange gehe und die man „die Mundart der Gelehrten, wohl auch der
Höfe" nennen könne. Sie müsse von allen Provinzialwörtern geschieden werden
wie der Weizen von der Spreu. Daß der „unbeständige Pöbel" auch in Ober¬
sachsen zu gewissen Unrichtigkeiten und Verfälschungen der Wörter geneigt sei, giebt
Gottsched gern zu; er sagt z. B., Leipzig, Halle und Merseburg lägen nahe bei
einander und alle drei sprächen gut obersächsisch, doch höre man da „Jott" und
„jut" neben „Gott" und „gut"; fest aber steht ihm, daß wir „in Deutschland ohne
Zweifel der kursächsischen Residenzstadt Dresden, zumal des Hofes angenehme
Mundart, mit den Sprachregeln und kritischen Beobachtungen verbinden müssen,
die seit vielen Jahren in Leipzig gemacht und im Schreiben eingeführt worden."


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[0359] Gottsched und die deutsche Sprache. entschied sich für die obersächsische oder meißnische Mundart als für die aus¬ schlaggebende. Er lieferte damit einen Beweis seiner Einsicht und seiner Un¬ befangenheit; nicht die Mundart seiner engern Heimat Preußen, nicht die der sonst von ihm so hochgeschätzten schlesischen Dichter soll herrschend werden, sondern eine Mundart, die er sich selbst erst durch Übung zu eigen machen muß, für deren Wert er aber anführen kann, daß sie der bisherigen Sprachentwicklung am angemessensten ist. Etwas völlig neues hatte er mit dieser Entscheidung freilich nicht gesagt. Schon im Jahre 1691 hatte Kaspar Stieler, der in Sprachdingen so fein fühlende Verfasser eines deutschen Wörterbuches, allerdings in einem Stile, der an Lohensteinschen Schwulst erinnert, den Kurfürsten Johann Georg von Sachsen gepriesen als „den großmächtigen Beherrscher der wahren Sitz- und Stamm¬ häuser der hochdeutschen Reichssprache, einen Herrscher über solche Städte und Festungen, worinnen die hochdeutsche Sprache glücklich geboren, glücklicher er¬ zogen und aufs glücklichste ausgezieret und geschmücket worden, auch noch täglich einen erneueten und mehr lieblichen Glanz empfähet: ich meine das prächtige Dresden, das heilige Wittenberg und die süßeste aller Städte, Leipzig." Das ist dem Sinne nach genau dasselbe, was Gottsched von der hohen Schule zu Wittenberg und von dem Bücher erzeugenden Leipzig sagte. Gottscheds Bevorzugung der meißnischen Mundart ist übrigens viel mi߬ verstanden und viel verspottet worden. Man fragte, warum man sich denn Wohl gerade nach der Sprache der Meißner Weingärtner und der obersächsischen Bauern richten sollte, und jeder, der Gottsched mißverstand, lebte der Über¬ zeugung, daß die Mundart seiner Heimat mindestens nicht gemeiner klinge als die der Meißner oder Obersachsen. So hatte es aber Gottsched gar nicht ge¬ meint. Er wollte sich nicht an eine Büchersprache anschließen, sondern an eine gesprochene, aber keineswegs an die, welche die gemeinen Leute in Meißen sprachen. Eine Sprache für Gebildete wollte er schaffen, und bei Gebildeten suchte er sie. In seiner Zeitschrift „Das Neueste aus der anmutigen Gelehrsamkeit" (I, 584) spricht er geradezu aus, das eigentliche und wahre Hochdeutsch sei „eine ge¬ wisse ausgesuchte und auserlesene Art zu reden," die in keiner Provinz völlig im Schwange gehe und die man „die Mundart der Gelehrten, wohl auch der Höfe" nennen könne. Sie müsse von allen Provinzialwörtern geschieden werden wie der Weizen von der Spreu. Daß der „unbeständige Pöbel" auch in Ober¬ sachsen zu gewissen Unrichtigkeiten und Verfälschungen der Wörter geneigt sei, giebt Gottsched gern zu; er sagt z. B., Leipzig, Halle und Merseburg lägen nahe bei einander und alle drei sprächen gut obersächsisch, doch höre man da „Jott" und „jut" neben „Gott" und „gut"; fest aber steht ihm, daß wir „in Deutschland ohne Zweifel der kursächsischen Residenzstadt Dresden, zumal des Hofes angenehme Mundart, mit den Sprachregeln und kritischen Beobachtungen verbinden müssen, die seit vielen Jahren in Leipzig gemacht und im Schreiben eingeführt worden."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/359>, abgerufen am 21.06.2024.