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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Gottsched und die deutsche Sprache.

Luthers Sprache, an die kursächsische Kanzleisprache angelehnt, war in der
Hauptsache ein Mitteldeutsch, und was im sechzehnten und siebzehnten Jahr¬
hundert an deutschen Schriften von größerer Bedeutung erschien, das entstand
zumeist in Mitteldeutschland und unter dem Einflüsse von Luthers Sprache.
Das Schrifttum derjenigen Gegenden, die von der lutherischen Kirchenverbesserung
nicht berührt worden waren, läßt sich dem, was auf dem Gebiete des lutherischen
Kirchenliedes, der lutherischen Erbauungsschriftcn, der lutherischen Geschicht¬
schreibung u. s. w. erschienen war, durchaus nicht gleichstellen, und je weiter wir
nach den: Norden oder Süden Deutschlands kommen, desto mehr zeigen sich die
Einflüsse der Mundart auch in gedruckten Schriften wirksam; da finden wir z. B.
auf der einen Seite Lauremberg, auf der andern Abraham a Sancta Clara.
Noch heute findet jeder nur mit der deutschen Schriftsprache vertraute, daß sich
Werke von Opitz, Flemming oder Gryphius leichter verstehen lassen als solche
von Lauremberg oder dem Pater Abraham.

Daß Gottsched mit Bewußtsein an diese Entwicklung der deutschen Schrift¬
sprache anknüpfte, ergiebt sich aus vielen Stellen seiner Schriften. In der
"Sprachkunst" sagt er u. a.: "Der Sitz der deutschen Gelehrsamkeit ist seit der
Glaubensreinigung nach Obersachsen gewandert. Sonderlich ist er durch die
neugestifteten hohen Schulen zu Wittenberg, Jena und Halle gleichsam in
Meißen befestigt worden. Nicht wenig hat auch der aus Frankfurt a. M.
größtenteils nach Leipzig gezogene Bücherhandel dazu beigetragen. Weil auch
durch die Fruchtbringende Gesellschaft in diesen Gegenden die meisten und besten
deutschen Bücher geschrieben und gedruckt worden, so hat die hiesige Mundart
unvermerkt in ganz Deutschland die Oberhand bekommen." Und an einer andern
Stelle desselben Werkes, in der Einleitung zu dem Abschnitte "Von der Wort¬
fügung," macht er den Franken und Niedersachsen gegenüber, die sich etwa auf
die Pegnitzschcifer, auf den Elbschwanenorden und auf Zehens Deutschgesinnte
Genossenschaft berufen möchten, geltend, daß die namentlich in Obersachsen ein¬
flußreiche Fruchtbriugende Gesellschaft viel mehr Ansehen genossen habe, daß aus
ihr Schriften hervorgegangen seien, "denen jene nichts gleiches entgegensetzen
können," z. B. die Schriften von Opitz und von Dietrich von dem Werber,
und daß endlich "sowohl die Pcgnitzschäfer als die Zesicmer sich teils durch ihre
Spielwerke und Tändeleien, teils durch orthographische Seltsamkeiten verächtlich
und lächerlich gemacht, welches man von den Gliedern der Fruchtbringenden Ge¬
sellschaft nicht sagen kann."

Nun läßt sich freilich nicht leugnen, daß es innerhalb der Sprache der
sächsischen, schlesischen, thüringischen Schriftsteller noch imnier 'große Verschieden¬
heiten gab. Wie sollten die ausgeglichen werden? Welche Mundart sollte zur
Richtschnur für die Entscheidung zwischen dem Schwankenden genommen werden?
Oder sollte der sächsische Dichter die Reinheit der Reime auch ferner nach der
sächsischen Aussprache bestimmen, der schlesische nach der schlesischen? Gottsched


Gottsched und die deutsche Sprache.

Luthers Sprache, an die kursächsische Kanzleisprache angelehnt, war in der
Hauptsache ein Mitteldeutsch, und was im sechzehnten und siebzehnten Jahr¬
hundert an deutschen Schriften von größerer Bedeutung erschien, das entstand
zumeist in Mitteldeutschland und unter dem Einflüsse von Luthers Sprache.
Das Schrifttum derjenigen Gegenden, die von der lutherischen Kirchenverbesserung
nicht berührt worden waren, läßt sich dem, was auf dem Gebiete des lutherischen
Kirchenliedes, der lutherischen Erbauungsschriftcn, der lutherischen Geschicht¬
schreibung u. s. w. erschienen war, durchaus nicht gleichstellen, und je weiter wir
nach den: Norden oder Süden Deutschlands kommen, desto mehr zeigen sich die
Einflüsse der Mundart auch in gedruckten Schriften wirksam; da finden wir z. B.
auf der einen Seite Lauremberg, auf der andern Abraham a Sancta Clara.
Noch heute findet jeder nur mit der deutschen Schriftsprache vertraute, daß sich
Werke von Opitz, Flemming oder Gryphius leichter verstehen lassen als solche
von Lauremberg oder dem Pater Abraham.

Daß Gottsched mit Bewußtsein an diese Entwicklung der deutschen Schrift¬
sprache anknüpfte, ergiebt sich aus vielen Stellen seiner Schriften. In der
„Sprachkunst" sagt er u. a.: „Der Sitz der deutschen Gelehrsamkeit ist seit der
Glaubensreinigung nach Obersachsen gewandert. Sonderlich ist er durch die
neugestifteten hohen Schulen zu Wittenberg, Jena und Halle gleichsam in
Meißen befestigt worden. Nicht wenig hat auch der aus Frankfurt a. M.
größtenteils nach Leipzig gezogene Bücherhandel dazu beigetragen. Weil auch
durch die Fruchtbringende Gesellschaft in diesen Gegenden die meisten und besten
deutschen Bücher geschrieben und gedruckt worden, so hat die hiesige Mundart
unvermerkt in ganz Deutschland die Oberhand bekommen." Und an einer andern
Stelle desselben Werkes, in der Einleitung zu dem Abschnitte „Von der Wort¬
fügung," macht er den Franken und Niedersachsen gegenüber, die sich etwa auf
die Pegnitzschcifer, auf den Elbschwanenorden und auf Zehens Deutschgesinnte
Genossenschaft berufen möchten, geltend, daß die namentlich in Obersachsen ein¬
flußreiche Fruchtbriugende Gesellschaft viel mehr Ansehen genossen habe, daß aus
ihr Schriften hervorgegangen seien, „denen jene nichts gleiches entgegensetzen
können," z. B. die Schriften von Opitz und von Dietrich von dem Werber,
und daß endlich „sowohl die Pcgnitzschäfer als die Zesicmer sich teils durch ihre
Spielwerke und Tändeleien, teils durch orthographische Seltsamkeiten verächtlich
und lächerlich gemacht, welches man von den Gliedern der Fruchtbringenden Ge¬
sellschaft nicht sagen kann."

Nun läßt sich freilich nicht leugnen, daß es innerhalb der Sprache der
sächsischen, schlesischen, thüringischen Schriftsteller noch imnier 'große Verschieden¬
heiten gab. Wie sollten die ausgeglichen werden? Welche Mundart sollte zur
Richtschnur für die Entscheidung zwischen dem Schwankenden genommen werden?
Oder sollte der sächsische Dichter die Reinheit der Reime auch ferner nach der
sächsischen Aussprache bestimmen, der schlesische nach der schlesischen? Gottsched


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[0358] Gottsched und die deutsche Sprache. Luthers Sprache, an die kursächsische Kanzleisprache angelehnt, war in der Hauptsache ein Mitteldeutsch, und was im sechzehnten und siebzehnten Jahr¬ hundert an deutschen Schriften von größerer Bedeutung erschien, das entstand zumeist in Mitteldeutschland und unter dem Einflüsse von Luthers Sprache. Das Schrifttum derjenigen Gegenden, die von der lutherischen Kirchenverbesserung nicht berührt worden waren, läßt sich dem, was auf dem Gebiete des lutherischen Kirchenliedes, der lutherischen Erbauungsschriftcn, der lutherischen Geschicht¬ schreibung u. s. w. erschienen war, durchaus nicht gleichstellen, und je weiter wir nach den: Norden oder Süden Deutschlands kommen, desto mehr zeigen sich die Einflüsse der Mundart auch in gedruckten Schriften wirksam; da finden wir z. B. auf der einen Seite Lauremberg, auf der andern Abraham a Sancta Clara. Noch heute findet jeder nur mit der deutschen Schriftsprache vertraute, daß sich Werke von Opitz, Flemming oder Gryphius leichter verstehen lassen als solche von Lauremberg oder dem Pater Abraham. Daß Gottsched mit Bewußtsein an diese Entwicklung der deutschen Schrift¬ sprache anknüpfte, ergiebt sich aus vielen Stellen seiner Schriften. In der „Sprachkunst" sagt er u. a.: „Der Sitz der deutschen Gelehrsamkeit ist seit der Glaubensreinigung nach Obersachsen gewandert. Sonderlich ist er durch die neugestifteten hohen Schulen zu Wittenberg, Jena und Halle gleichsam in Meißen befestigt worden. Nicht wenig hat auch der aus Frankfurt a. M. größtenteils nach Leipzig gezogene Bücherhandel dazu beigetragen. Weil auch durch die Fruchtbringende Gesellschaft in diesen Gegenden die meisten und besten deutschen Bücher geschrieben und gedruckt worden, so hat die hiesige Mundart unvermerkt in ganz Deutschland die Oberhand bekommen." Und an einer andern Stelle desselben Werkes, in der Einleitung zu dem Abschnitte „Von der Wort¬ fügung," macht er den Franken und Niedersachsen gegenüber, die sich etwa auf die Pegnitzschcifer, auf den Elbschwanenorden und auf Zehens Deutschgesinnte Genossenschaft berufen möchten, geltend, daß die namentlich in Obersachsen ein¬ flußreiche Fruchtbriugende Gesellschaft viel mehr Ansehen genossen habe, daß aus ihr Schriften hervorgegangen seien, „denen jene nichts gleiches entgegensetzen können," z. B. die Schriften von Opitz und von Dietrich von dem Werber, und daß endlich „sowohl die Pcgnitzschäfer als die Zesicmer sich teils durch ihre Spielwerke und Tändeleien, teils durch orthographische Seltsamkeiten verächtlich und lächerlich gemacht, welches man von den Gliedern der Fruchtbringenden Ge¬ sellschaft nicht sagen kann." Nun läßt sich freilich nicht leugnen, daß es innerhalb der Sprache der sächsischen, schlesischen, thüringischen Schriftsteller noch imnier 'große Verschieden¬ heiten gab. Wie sollten die ausgeglichen werden? Welche Mundart sollte zur Richtschnur für die Entscheidung zwischen dem Schwankenden genommen werden? Oder sollte der sächsische Dichter die Reinheit der Reime auch ferner nach der sächsischen Aussprache bestimmen, der schlesische nach der schlesischen? Gottsched

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/358>, abgerufen am 21.06.2024.