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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Gottsched und die deutsche Sprache.

brief vom Dolmetscher unter Beifügung sehr anerkennender Worte in seinen
"Beyträgen" ab, aber er thut das alles gleichsam nur zu einer Ehrenrettung
der Deutschen, nur um zu beweisen, daß auch frühere Jahrhunderte schon tüch¬
tige Erzeugnisse des deutschen Schrifttums aufzuweisen haben, wie er denn auch
sein, den Litteraturgeschichtschreiberu des angehenden neunzehnten Jahrhunderts
noch ganz unentbehrliches Buch, den "Nötigen Vorrat zur Geschichte der dra¬
matischen Dichtkunst," in gleicher Absicht ausgearbeitet und veröffentlicht hat.
Gottsched war in allen diesen Stücken viel mehr Litteratnrgeschichtschreiber als
Sprachforscher. Die alte Sprache zu benutzen, um durch sie Licht auf die
neuere zu werfen, das fiel ihm selten oder gar nicht ein, und wo in seiner
"Sprachkunst" alte Wortformen einmal angeführt werden, da handelt es sich
manchmal gar nicht um sprachliche Aufklärungen, sondern, wie es das siebzehnte
und achtzehnte Jahrhundert nannte, um "curieuse" Dinge.

Die Sprache der Gegenwart durch Entlehnungen und Wiederbelebungen
aus der alten Sprache zu bereichern, das ging noch über Gottscheds Auffassung
und Verständnis hinaus. Zwar hatte er in seiner "Kritischen Dichtkunst" (1737)
zugegeben, daß die alten Bücher mitunter Wörter enthielten, die noch ganz gut
zu gebrauchen seien, und daß ein Dichter Dank verdiene, wenn er diese -- aber
mit Verstand und mäßig -- anwende. Aber was hier den Dichtern in einzelnen
Fällen erlaubt sein sollte, das wollte Gottsched noch lange nicht der Sprache
im allgemeinen zugestehen, und in der später erschienenen "Sprachkunst" spricht
er es geradezu als seine Überzeugung aus, daß die Erforschung unsers Sprach¬
altertums für das Hochdeutsche, wie es nun geschrieben werden müsse, wenig
oder gar keine Frucht trage.'

Gottsched war nicht ein Mann, der sich grübelnd und sinnend in das
Wesen und in die Schönheit der Sprache hätte vertiefen mögen, ihm kam es
vor allem darauf an, der Sprache diejenige Gestalt zu geben, die sie zum be¬
quemen Gebrauche für die Allgemeinheit geeignet machte, und Mittel zu schaffen,
die jeden in den Stand setzten, sich zum bequemen und richtigen Gebrauche
zu befähigen.

Mit durchaus richtigem Blicke knüpfte er dabei an eine naturgemäße
Sprachentwicklung an, und was er damit geschaffen hat, macht ebenso seinem
Scharfblicke wie seiner Selbstverleugnung Ehre.

Was man zu seiner Zeit etwa als allgemein giltige Schriftsprache be¬
zeichne!, konnte, das beschränkte sich aufMitteldeutschland. In Nord- und Süd¬
deutschland herrschten die Mundarten ^ nicht nur in der Umgangssprache, sondern
übten auch auf die in diesen Gegenden verfaßten und gedruckten Schriften einen
solchen Einfluß aus, daß ein allgemeines Verständnis dieser Schriften wesentlich
erschwert, wenn nicht gar gehindert wurde. Indem Gottsched das Mitteldeutsche
als Grundlage der deutschen Schriftsprache festsetzte, knüpfte er an eine Ent¬
wicklung an, die sich im Laufe von Jahrhunderten fast unbewußt vollzogen hatte.


Gottsched und die deutsche Sprache.

brief vom Dolmetscher unter Beifügung sehr anerkennender Worte in seinen
„Beyträgen" ab, aber er thut das alles gleichsam nur zu einer Ehrenrettung
der Deutschen, nur um zu beweisen, daß auch frühere Jahrhunderte schon tüch¬
tige Erzeugnisse des deutschen Schrifttums aufzuweisen haben, wie er denn auch
sein, den Litteraturgeschichtschreiberu des angehenden neunzehnten Jahrhunderts
noch ganz unentbehrliches Buch, den „Nötigen Vorrat zur Geschichte der dra¬
matischen Dichtkunst," in gleicher Absicht ausgearbeitet und veröffentlicht hat.
Gottsched war in allen diesen Stücken viel mehr Litteratnrgeschichtschreiber als
Sprachforscher. Die alte Sprache zu benutzen, um durch sie Licht auf die
neuere zu werfen, das fiel ihm selten oder gar nicht ein, und wo in seiner
„Sprachkunst" alte Wortformen einmal angeführt werden, da handelt es sich
manchmal gar nicht um sprachliche Aufklärungen, sondern, wie es das siebzehnte
und achtzehnte Jahrhundert nannte, um „curieuse" Dinge.

Die Sprache der Gegenwart durch Entlehnungen und Wiederbelebungen
aus der alten Sprache zu bereichern, das ging noch über Gottscheds Auffassung
und Verständnis hinaus. Zwar hatte er in seiner „Kritischen Dichtkunst" (1737)
zugegeben, daß die alten Bücher mitunter Wörter enthielten, die noch ganz gut
zu gebrauchen seien, und daß ein Dichter Dank verdiene, wenn er diese — aber
mit Verstand und mäßig — anwende. Aber was hier den Dichtern in einzelnen
Fällen erlaubt sein sollte, das wollte Gottsched noch lange nicht der Sprache
im allgemeinen zugestehen, und in der später erschienenen „Sprachkunst" spricht
er es geradezu als seine Überzeugung aus, daß die Erforschung unsers Sprach¬
altertums für das Hochdeutsche, wie es nun geschrieben werden müsse, wenig
oder gar keine Frucht trage.'

Gottsched war nicht ein Mann, der sich grübelnd und sinnend in das
Wesen und in die Schönheit der Sprache hätte vertiefen mögen, ihm kam es
vor allem darauf an, der Sprache diejenige Gestalt zu geben, die sie zum be¬
quemen Gebrauche für die Allgemeinheit geeignet machte, und Mittel zu schaffen,
die jeden in den Stand setzten, sich zum bequemen und richtigen Gebrauche
zu befähigen.

Mit durchaus richtigem Blicke knüpfte er dabei an eine naturgemäße
Sprachentwicklung an, und was er damit geschaffen hat, macht ebenso seinem
Scharfblicke wie seiner Selbstverleugnung Ehre.

Was man zu seiner Zeit etwa als allgemein giltige Schriftsprache be¬
zeichne!, konnte, das beschränkte sich aufMitteldeutschland. In Nord- und Süd¬
deutschland herrschten die Mundarten ^ nicht nur in der Umgangssprache, sondern
übten auch auf die in diesen Gegenden verfaßten und gedruckten Schriften einen
solchen Einfluß aus, daß ein allgemeines Verständnis dieser Schriften wesentlich
erschwert, wenn nicht gar gehindert wurde. Indem Gottsched das Mitteldeutsche
als Grundlage der deutschen Schriftsprache festsetzte, knüpfte er an eine Ent¬
wicklung an, die sich im Laufe von Jahrhunderten fast unbewußt vollzogen hatte.


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[0357] Gottsched und die deutsche Sprache. brief vom Dolmetscher unter Beifügung sehr anerkennender Worte in seinen „Beyträgen" ab, aber er thut das alles gleichsam nur zu einer Ehrenrettung der Deutschen, nur um zu beweisen, daß auch frühere Jahrhunderte schon tüch¬ tige Erzeugnisse des deutschen Schrifttums aufzuweisen haben, wie er denn auch sein, den Litteraturgeschichtschreiberu des angehenden neunzehnten Jahrhunderts noch ganz unentbehrliches Buch, den „Nötigen Vorrat zur Geschichte der dra¬ matischen Dichtkunst," in gleicher Absicht ausgearbeitet und veröffentlicht hat. Gottsched war in allen diesen Stücken viel mehr Litteratnrgeschichtschreiber als Sprachforscher. Die alte Sprache zu benutzen, um durch sie Licht auf die neuere zu werfen, das fiel ihm selten oder gar nicht ein, und wo in seiner „Sprachkunst" alte Wortformen einmal angeführt werden, da handelt es sich manchmal gar nicht um sprachliche Aufklärungen, sondern, wie es das siebzehnte und achtzehnte Jahrhundert nannte, um „curieuse" Dinge. Die Sprache der Gegenwart durch Entlehnungen und Wiederbelebungen aus der alten Sprache zu bereichern, das ging noch über Gottscheds Auffassung und Verständnis hinaus. Zwar hatte er in seiner „Kritischen Dichtkunst" (1737) zugegeben, daß die alten Bücher mitunter Wörter enthielten, die noch ganz gut zu gebrauchen seien, und daß ein Dichter Dank verdiene, wenn er diese — aber mit Verstand und mäßig — anwende. Aber was hier den Dichtern in einzelnen Fällen erlaubt sein sollte, das wollte Gottsched noch lange nicht der Sprache im allgemeinen zugestehen, und in der später erschienenen „Sprachkunst" spricht er es geradezu als seine Überzeugung aus, daß die Erforschung unsers Sprach¬ altertums für das Hochdeutsche, wie es nun geschrieben werden müsse, wenig oder gar keine Frucht trage.' Gottsched war nicht ein Mann, der sich grübelnd und sinnend in das Wesen und in die Schönheit der Sprache hätte vertiefen mögen, ihm kam es vor allem darauf an, der Sprache diejenige Gestalt zu geben, die sie zum be¬ quemen Gebrauche für die Allgemeinheit geeignet machte, und Mittel zu schaffen, die jeden in den Stand setzten, sich zum bequemen und richtigen Gebrauche zu befähigen. Mit durchaus richtigem Blicke knüpfte er dabei an eine naturgemäße Sprachentwicklung an, und was er damit geschaffen hat, macht ebenso seinem Scharfblicke wie seiner Selbstverleugnung Ehre. Was man zu seiner Zeit etwa als allgemein giltige Schriftsprache be¬ zeichne!, konnte, das beschränkte sich aufMitteldeutschland. In Nord- und Süd¬ deutschland herrschten die Mundarten ^ nicht nur in der Umgangssprache, sondern übten auch auf die in diesen Gegenden verfaßten und gedruckten Schriften einen solchen Einfluß aus, daß ein allgemeines Verständnis dieser Schriften wesentlich erschwert, wenn nicht gar gehindert wurde. Indem Gottsched das Mitteldeutsche als Grundlage der deutschen Schriftsprache festsetzte, knüpfte er an eine Ent¬ wicklung an, die sich im Laufe von Jahrhunderten fast unbewußt vollzogen hatte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/357>, abgerufen am 21.06.2024.