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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Gottsched und die deutsche Sprache.

und es begann damit die geistige Wiedereroberung von Landschaften, die durch
katholisch-jesuitische Einflüsse deutscher Bildung fast völlig entfremdet worden
waren.

Wie Gottsched auch im nördlichen und mittlern Deutschland gegen Mi߬
achtung der deutschen Sprache anzukämpfen hatte, lehrt anschaulich der Brief¬
wechsel mit seiner Braut. Diese teilte mit den vornehmeren Kreisen des deutschen
Volkes die Überzeugung, daß es ein Zeichen von Bildung sei, an Verwandte
und Freunde nicht deutsche, sondern französische Briefe zu schreiben. Welchen
Einfluß aber ihr Bräutigam in dieser Beziehung auf sie gehabt hat, das zeigen
ein paar Stellen aus ihren Briefen an ihn. Gottsched hatte sie aufgefordert,
deutsch an ihn zu schreiben; darauf antwortet sie im Oktober 1730: "Aber
warum wollen Sie mir nicht erlauben, daß ich französisch schreibe? Zu welchem
Ende erlernen wir diese Sprache, wenn wir uns nicht üben und unsre Fertigkeit
darinnen zeigen sollen? Sie sagen, es sei unverantwortlich, in einer fremden
Sprache besser als in seiner eignen zu schreiben, und meine Lehrmeister haben
mich versichert, es sei nichts gemeiner als deutsche Briefe, alle wohlgesitteten
Leute schrieben französisch. Ich weiß nicht, was mich verleitet, Ihnen mehr zu
glauben als jenen; aber so viel weiß ich, ich habe mir nun vorgesetzt, immer
deutsch zu schreiben." Und in einem andern Briefe schreibt sie: "Sie haben
mir neulich einen Verweis gegeben, daß ich lieber französisch schriebe; Sie stellten
mir die Mannichfaltigkeit des Ausdrucks und die männliche Schönheit meiner
Muttersprache so lebhaft vor, daß ich sogleich den Entschluß faßte, mich mehr
darinne zu üben, und ich fing schon an gerne deutsch zu denken und zu schreibe"."

Gottscheds ganzes Wirken war eine Ehrenrettung der deutschen Sprache
gegenüber deren Verächtern, gegenüber denen, die im wissenschaftlichen Verkehre
nur das Lateinische, im geselligen nnr das Französische wollten gelten lassen.
Was Thomasius mit seinem deutschen Anschlage am schwarzen Brete der Leipziger
Universität und mit seinen deutschen Vorlesungen in Halle begonnen hatte, das
vollendete Gottsched mit seinen Lehrbüchern und mit seinen Zeitschriften, die sich
nicht an einen auserwühlten Kreis gelehrter Fachgenossen, sondern an das große
Publikum wendeten.

Als er die zum Teil von ihm selbst besorgte, zum Teil nur unter seiner
Leitung entstandene Übersetzung des Bayleschen Wörterbuches veröffentlichte, be¬
klagte er in der Vorrede zum zweiten Teile desselben die Hindernisse, welche
sich dem Gebrauche der deutschen Sprache und der Aufklärung der Umgekehrten
entgegenstellten, und als Gegner des Unternehmens bezeichnet er "die Feinde
aller deutschen Bücher, die nicht ohne Verdruß ansehen können, wie man Künste
und Wissenschaften so sehr entweiht, daß man sie in neuern Sprachen vorträgt
"ut ihre Geheimnisse allen Unstudirten bekannt und gemein macht." Er rechnet
zu den Gegnern ferner "die geschwornen Liebhaber der französischen Sprache,"
denen das Fremde, das Ungewöhnliche, ja das Dunkle sogar, das in auftun-


Gottsched und die deutsche Sprache.

und es begann damit die geistige Wiedereroberung von Landschaften, die durch
katholisch-jesuitische Einflüsse deutscher Bildung fast völlig entfremdet worden
waren.

Wie Gottsched auch im nördlichen und mittlern Deutschland gegen Mi߬
achtung der deutschen Sprache anzukämpfen hatte, lehrt anschaulich der Brief¬
wechsel mit seiner Braut. Diese teilte mit den vornehmeren Kreisen des deutschen
Volkes die Überzeugung, daß es ein Zeichen von Bildung sei, an Verwandte
und Freunde nicht deutsche, sondern französische Briefe zu schreiben. Welchen
Einfluß aber ihr Bräutigam in dieser Beziehung auf sie gehabt hat, das zeigen
ein paar Stellen aus ihren Briefen an ihn. Gottsched hatte sie aufgefordert,
deutsch an ihn zu schreiben; darauf antwortet sie im Oktober 1730: „Aber
warum wollen Sie mir nicht erlauben, daß ich französisch schreibe? Zu welchem
Ende erlernen wir diese Sprache, wenn wir uns nicht üben und unsre Fertigkeit
darinnen zeigen sollen? Sie sagen, es sei unverantwortlich, in einer fremden
Sprache besser als in seiner eignen zu schreiben, und meine Lehrmeister haben
mich versichert, es sei nichts gemeiner als deutsche Briefe, alle wohlgesitteten
Leute schrieben französisch. Ich weiß nicht, was mich verleitet, Ihnen mehr zu
glauben als jenen; aber so viel weiß ich, ich habe mir nun vorgesetzt, immer
deutsch zu schreiben." Und in einem andern Briefe schreibt sie: „Sie haben
mir neulich einen Verweis gegeben, daß ich lieber französisch schriebe; Sie stellten
mir die Mannichfaltigkeit des Ausdrucks und die männliche Schönheit meiner
Muttersprache so lebhaft vor, daß ich sogleich den Entschluß faßte, mich mehr
darinne zu üben, und ich fing schon an gerne deutsch zu denken und zu schreibe»."

Gottscheds ganzes Wirken war eine Ehrenrettung der deutschen Sprache
gegenüber deren Verächtern, gegenüber denen, die im wissenschaftlichen Verkehre
nur das Lateinische, im geselligen nnr das Französische wollten gelten lassen.
Was Thomasius mit seinem deutschen Anschlage am schwarzen Brete der Leipziger
Universität und mit seinen deutschen Vorlesungen in Halle begonnen hatte, das
vollendete Gottsched mit seinen Lehrbüchern und mit seinen Zeitschriften, die sich
nicht an einen auserwühlten Kreis gelehrter Fachgenossen, sondern an das große
Publikum wendeten.

Als er die zum Teil von ihm selbst besorgte, zum Teil nur unter seiner
Leitung entstandene Übersetzung des Bayleschen Wörterbuches veröffentlichte, be¬
klagte er in der Vorrede zum zweiten Teile desselben die Hindernisse, welche
sich dem Gebrauche der deutschen Sprache und der Aufklärung der Umgekehrten
entgegenstellten, und als Gegner des Unternehmens bezeichnet er „die Feinde
aller deutschen Bücher, die nicht ohne Verdruß ansehen können, wie man Künste
und Wissenschaften so sehr entweiht, daß man sie in neuern Sprachen vorträgt
»ut ihre Geheimnisse allen Unstudirten bekannt und gemein macht." Er rechnet
zu den Gegnern ferner „die geschwornen Liebhaber der französischen Sprache,"
denen das Fremde, das Ungewöhnliche, ja das Dunkle sogar, das in auftun-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/351>, abgerufen am 21.06.2024.