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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Gottsched und die deutsche Sprache.

Schlosser in seiner "Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts" und Danzel in
seinem Buche "Gottsched und seine Zeit" längst nachgewiesen haben, daß Gott¬
sched um deutsche Litteratur und Sprache sich große Verdienste erworben hat,
daß es eine Zeit gegeben hat, in welcher Gottsched der Chorführer der deutschen
Litteratur war, nicht nur in dem Sinne, daß er sie äußerlich beherrschte, sondern
auch in dem tiefern, daß er, was ihr not that, am besten und vielleicht allein
einsah. Das änderte sich aber plötzlich; so schnell Gottsched zur Höhe seines
Ruhmes hinaufgestiegen war, so schnell sank er auch wieder davon herab, und
seine Verkennung war eine geschichtliche Notwendigkeit. Aus einem Wegweiser
und Pfadfinder, aus einem Führer zu höhern Zielen, war er plötzlich zum Ver¬
treter einer vergangnen Zeit, zum eifrig fortschaffenden Bearbeiter einer bereits
gelösten und zwar zumeist von ihm gelösten Aufgabe geworden. Gottsched war
ein so gründlicher und strenger Schulmeister, wie er seiner Zeit not that; als
aber Sprache und Litteratur seiner Zucht entwachsen waren, als sie selbständig
fortschritten, und zwar auf Grund dessen, was er sie gelehrt hatte, und als er
gleichwohl sie noch immer schulmeistern wollte, da fand man sein Wirken
kleinlich, ihn selbst lächerlich. Dieser letzte Eindruck von Gottscheds Wirken ist
der Nachwelt noch lange allein im Gedächtnis und im Bewußtsein geblieben,
und was Gottsched früher gethan hatte, hat man darüber vergessen. Wenige
Monate vor seinem Tode war Lessings Laakoon erschienen, und wenige Monate
darnach begann die Hamburgische Dramaturgie zu erscheinen. Solchen Werken
gegenüber mußten Gottscheds Lehrbücher ebenso verschwinden, wie sein "Sterbender
Cato" vor Lessings Dramen; aber Lessing steht auf Gottscheds Schultern, seinen
Dramen und seiner Dramaturgie war Gottscheds Bühnenreinigung vorange¬
gangen, und deren Früchte hatte Lesstng in den Aufführungen der Neuberschen
Truppe schon als Leipziger Student genossen.

Gottscheds Verdienste um die deutsche Sprache sind nicht geringer als die
um die deutsche Litteratur. Ganz abgesehen von dem Einflüsse, den Gottscheds
Wirken auf Bildung und Wesen einer allgemeinen deutschen Schriftsprache gehabt
hat, sollte man nicht vergessen, daß er es gewesen ist, der der deutschen Sprache
wieder Achtung und Anerkennung verschafft hat in einer Zeit, wo man sich ihrer
in den vornehmeren Kreisen des Volkes schämte; man sollte nicht vergessen, daß
es seinem Einflüsse vorzugsweise zu danken ist, wenn jene süddeutschen Land¬
schaften, die sich aus religiösen Gründen der Spracherneuerung Luthers ver¬
schlossen hatten, im achtzehnten Jahrhundert anfingen, an der Weiterentwicklung
der deutschen Schriftsprache und damit an den Segnungen der deutschen Bildung
teilzunehmen. Was Leibniz nur geplant hatte, das setzte Gottsched ins Werk.
Seine Reise nach Wien war ein für deutsche Litteratur und Bildung gar wich¬
tiges Ereignis. Ist es Gottsched auch nicht gelungen, Wien für Deutschland
zu dem zu machen, was Paris für Frankreich war, so fanden doch von da
an seine Bestrebungen auch im Sttdosten des Reiches Beifall und Teilnahme,


Gottsched und die deutsche Sprache.

Schlosser in seiner „Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts" und Danzel in
seinem Buche „Gottsched und seine Zeit" längst nachgewiesen haben, daß Gott¬
sched um deutsche Litteratur und Sprache sich große Verdienste erworben hat,
daß es eine Zeit gegeben hat, in welcher Gottsched der Chorführer der deutschen
Litteratur war, nicht nur in dem Sinne, daß er sie äußerlich beherrschte, sondern
auch in dem tiefern, daß er, was ihr not that, am besten und vielleicht allein
einsah. Das änderte sich aber plötzlich; so schnell Gottsched zur Höhe seines
Ruhmes hinaufgestiegen war, so schnell sank er auch wieder davon herab, und
seine Verkennung war eine geschichtliche Notwendigkeit. Aus einem Wegweiser
und Pfadfinder, aus einem Führer zu höhern Zielen, war er plötzlich zum Ver¬
treter einer vergangnen Zeit, zum eifrig fortschaffenden Bearbeiter einer bereits
gelösten und zwar zumeist von ihm gelösten Aufgabe geworden. Gottsched war
ein so gründlicher und strenger Schulmeister, wie er seiner Zeit not that; als
aber Sprache und Litteratur seiner Zucht entwachsen waren, als sie selbständig
fortschritten, und zwar auf Grund dessen, was er sie gelehrt hatte, und als er
gleichwohl sie noch immer schulmeistern wollte, da fand man sein Wirken
kleinlich, ihn selbst lächerlich. Dieser letzte Eindruck von Gottscheds Wirken ist
der Nachwelt noch lange allein im Gedächtnis und im Bewußtsein geblieben,
und was Gottsched früher gethan hatte, hat man darüber vergessen. Wenige
Monate vor seinem Tode war Lessings Laakoon erschienen, und wenige Monate
darnach begann die Hamburgische Dramaturgie zu erscheinen. Solchen Werken
gegenüber mußten Gottscheds Lehrbücher ebenso verschwinden, wie sein „Sterbender
Cato" vor Lessings Dramen; aber Lessing steht auf Gottscheds Schultern, seinen
Dramen und seiner Dramaturgie war Gottscheds Bühnenreinigung vorange¬
gangen, und deren Früchte hatte Lesstng in den Aufführungen der Neuberschen
Truppe schon als Leipziger Student genossen.

Gottscheds Verdienste um die deutsche Sprache sind nicht geringer als die
um die deutsche Litteratur. Ganz abgesehen von dem Einflüsse, den Gottscheds
Wirken auf Bildung und Wesen einer allgemeinen deutschen Schriftsprache gehabt
hat, sollte man nicht vergessen, daß er es gewesen ist, der der deutschen Sprache
wieder Achtung und Anerkennung verschafft hat in einer Zeit, wo man sich ihrer
in den vornehmeren Kreisen des Volkes schämte; man sollte nicht vergessen, daß
es seinem Einflüsse vorzugsweise zu danken ist, wenn jene süddeutschen Land¬
schaften, die sich aus religiösen Gründen der Spracherneuerung Luthers ver¬
schlossen hatten, im achtzehnten Jahrhundert anfingen, an der Weiterentwicklung
der deutschen Schriftsprache und damit an den Segnungen der deutschen Bildung
teilzunehmen. Was Leibniz nur geplant hatte, das setzte Gottsched ins Werk.
Seine Reise nach Wien war ein für deutsche Litteratur und Bildung gar wich¬
tiges Ereignis. Ist es Gottsched auch nicht gelungen, Wien für Deutschland
zu dem zu machen, was Paris für Frankreich war, so fanden doch von da
an seine Bestrebungen auch im Sttdosten des Reiches Beifall und Teilnahme,


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[0350] Gottsched und die deutsche Sprache. Schlosser in seiner „Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts" und Danzel in seinem Buche „Gottsched und seine Zeit" längst nachgewiesen haben, daß Gott¬ sched um deutsche Litteratur und Sprache sich große Verdienste erworben hat, daß es eine Zeit gegeben hat, in welcher Gottsched der Chorführer der deutschen Litteratur war, nicht nur in dem Sinne, daß er sie äußerlich beherrschte, sondern auch in dem tiefern, daß er, was ihr not that, am besten und vielleicht allein einsah. Das änderte sich aber plötzlich; so schnell Gottsched zur Höhe seines Ruhmes hinaufgestiegen war, so schnell sank er auch wieder davon herab, und seine Verkennung war eine geschichtliche Notwendigkeit. Aus einem Wegweiser und Pfadfinder, aus einem Führer zu höhern Zielen, war er plötzlich zum Ver¬ treter einer vergangnen Zeit, zum eifrig fortschaffenden Bearbeiter einer bereits gelösten und zwar zumeist von ihm gelösten Aufgabe geworden. Gottsched war ein so gründlicher und strenger Schulmeister, wie er seiner Zeit not that; als aber Sprache und Litteratur seiner Zucht entwachsen waren, als sie selbständig fortschritten, und zwar auf Grund dessen, was er sie gelehrt hatte, und als er gleichwohl sie noch immer schulmeistern wollte, da fand man sein Wirken kleinlich, ihn selbst lächerlich. Dieser letzte Eindruck von Gottscheds Wirken ist der Nachwelt noch lange allein im Gedächtnis und im Bewußtsein geblieben, und was Gottsched früher gethan hatte, hat man darüber vergessen. Wenige Monate vor seinem Tode war Lessings Laakoon erschienen, und wenige Monate darnach begann die Hamburgische Dramaturgie zu erscheinen. Solchen Werken gegenüber mußten Gottscheds Lehrbücher ebenso verschwinden, wie sein „Sterbender Cato" vor Lessings Dramen; aber Lessing steht auf Gottscheds Schultern, seinen Dramen und seiner Dramaturgie war Gottscheds Bühnenreinigung vorange¬ gangen, und deren Früchte hatte Lesstng in den Aufführungen der Neuberschen Truppe schon als Leipziger Student genossen. Gottscheds Verdienste um die deutsche Sprache sind nicht geringer als die um die deutsche Litteratur. Ganz abgesehen von dem Einflüsse, den Gottscheds Wirken auf Bildung und Wesen einer allgemeinen deutschen Schriftsprache gehabt hat, sollte man nicht vergessen, daß er es gewesen ist, der der deutschen Sprache wieder Achtung und Anerkennung verschafft hat in einer Zeit, wo man sich ihrer in den vornehmeren Kreisen des Volkes schämte; man sollte nicht vergessen, daß es seinem Einflüsse vorzugsweise zu danken ist, wenn jene süddeutschen Land¬ schaften, die sich aus religiösen Gründen der Spracherneuerung Luthers ver¬ schlossen hatten, im achtzehnten Jahrhundert anfingen, an der Weiterentwicklung der deutschen Schriftsprache und damit an den Segnungen der deutschen Bildung teilzunehmen. Was Leibniz nur geplant hatte, das setzte Gottsched ins Werk. Seine Reise nach Wien war ein für deutsche Litteratur und Bildung gar wich¬ tiges Ereignis. Ist es Gottsched auch nicht gelungen, Wien für Deutschland zu dem zu machen, was Paris für Frankreich war, so fanden doch von da an seine Bestrebungen auch im Sttdosten des Reiches Beifall und Teilnahme,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/350>, abgerufen am 23.06.2024.