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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Gottsched und die deutsche Sprache.

griechischen Mythus verständlich sind; anderseits sind jedoch auch auf dem Dubar-
Jstarverhciltnis beruhende babylonische Allegorien in die Heraklessage über¬
gegangen, welche dort schlechterdings unerklärlich sind.

So schon das Stiergefecht. Istar bittet ihren Vater Sir-Ann, den Mond-
gvtt, um Rache; er sendet den Stier. Das Sternbild des Stiers ist das des
Monats April, in welchem die Getreideernte vorgenommen wurde. Die Er¬
legung des Stiers bedeutet daher nichts andres als das Werk der Getreidereife
und Erntearbeit. Die nach der Tötung vorgenommene Opferung des Unge¬
heuers erinnert deutlich genug an den religiösen Kultus des Erntedankfestes,
das noch im Volke Jcchvehs eins der drei wichtigsten Jahresfeste war.

Für Hellas konnte diese Allegorie nicht verständlich sein. Denn erstlich
lag es dem Griechen überhaupt fern, den Stand der Sonne in seine Sage
hineinzuziehen; zweitens fiel die Ernte dort später und hatte mit dem Stande
der Sonne im Stier nichts zu schaffen. Gleichwohl hat die griechische Mytho¬
logie das Stiergefecht übernommen, aber in der Weise, daß es naturmythisch
sich nicht erklären läßt. Wollen wir eine Erklärung suchen, so müssen wir es
auf dem Gebiete der Zivilisation thun. Der kretische Minotaurus ist das
Sinnbild der auf der Insel seit alter Zeit herrschenden Staatsknltur, deren
Übertragung nach Griechenland dem Nationalheros zugeschrieben wurde. He¬
rakles ist im griechischen Mythus nicht mehr allein der Vertreter des Sonnen¬
lichtes und seiner Wirkungen, sondern auch der Vertreter der Zivilisation.

Mit der Erlegung des Stiers schließt der erste Teil der Dubarsage
ab. Bis hierher war Dubar der siegreiche Held, seiner Feindin überlegen. Die
Sonne hat eben bisher nur die wohlthätige Seite ihrer Kraft gezeigt, welche
in der Getreidereife ihren höchsten Grad erreicht. Nun aber tritt eine Wendung
ein und führt zu dem zweiten Teile der epischen Darstellung.




Gottsched und die deutsche Sprache.
von Albert Richter.

er über Gottsched und wer gar über dessen Verdienste um deutsche
Sprache oder Litteratur sprechen will, muß leider noch immer
darauf gefaßt sein, in den Mienen seiner Zuhörer einen spöttischen
Zug zu finden und der Frage zu begegnen: Was kann von
Gottsched Gutes kommen? Man kann auch in Litteraturgeschichten
neuester Zeit noch den wegwerfendsten Urteilen über Gottsched begegnen, obgleich


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griechischen Mythus verständlich sind; anderseits sind jedoch auch auf dem Dubar-
Jstarverhciltnis beruhende babylonische Allegorien in die Heraklessage über¬
gegangen, welche dort schlechterdings unerklärlich sind.

So schon das Stiergefecht. Istar bittet ihren Vater Sir-Ann, den Mond-
gvtt, um Rache; er sendet den Stier. Das Sternbild des Stiers ist das des
Monats April, in welchem die Getreideernte vorgenommen wurde. Die Er¬
legung des Stiers bedeutet daher nichts andres als das Werk der Getreidereife
und Erntearbeit. Die nach der Tötung vorgenommene Opferung des Unge¬
heuers erinnert deutlich genug an den religiösen Kultus des Erntedankfestes,
das noch im Volke Jcchvehs eins der drei wichtigsten Jahresfeste war.

Für Hellas konnte diese Allegorie nicht verständlich sein. Denn erstlich
lag es dem Griechen überhaupt fern, den Stand der Sonne in seine Sage
hineinzuziehen; zweitens fiel die Ernte dort später und hatte mit dem Stande
der Sonne im Stier nichts zu schaffen. Gleichwohl hat die griechische Mytho¬
logie das Stiergefecht übernommen, aber in der Weise, daß es naturmythisch
sich nicht erklären läßt. Wollen wir eine Erklärung suchen, so müssen wir es
auf dem Gebiete der Zivilisation thun. Der kretische Minotaurus ist das
Sinnbild der auf der Insel seit alter Zeit herrschenden Staatsknltur, deren
Übertragung nach Griechenland dem Nationalheros zugeschrieben wurde. He¬
rakles ist im griechischen Mythus nicht mehr allein der Vertreter des Sonnen¬
lichtes und seiner Wirkungen, sondern auch der Vertreter der Zivilisation.

Mit der Erlegung des Stiers schließt der erste Teil der Dubarsage
ab. Bis hierher war Dubar der siegreiche Held, seiner Feindin überlegen. Die
Sonne hat eben bisher nur die wohlthätige Seite ihrer Kraft gezeigt, welche
in der Getreidereife ihren höchsten Grad erreicht. Nun aber tritt eine Wendung
ein und führt zu dem zweiten Teile der epischen Darstellung.




Gottsched und die deutsche Sprache.
von Albert Richter.

er über Gottsched und wer gar über dessen Verdienste um deutsche
Sprache oder Litteratur sprechen will, muß leider noch immer
darauf gefaßt sein, in den Mienen seiner Zuhörer einen spöttischen
Zug zu finden und der Frage zu begegnen: Was kann von
Gottsched Gutes kommen? Man kann auch in Litteraturgeschichten
neuester Zeit noch den wegwerfendsten Urteilen über Gottsched begegnen, obgleich


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[0349] Gottsched und die deutsche Sprache. griechischen Mythus verständlich sind; anderseits sind jedoch auch auf dem Dubar- Jstarverhciltnis beruhende babylonische Allegorien in die Heraklessage über¬ gegangen, welche dort schlechterdings unerklärlich sind. So schon das Stiergefecht. Istar bittet ihren Vater Sir-Ann, den Mond- gvtt, um Rache; er sendet den Stier. Das Sternbild des Stiers ist das des Monats April, in welchem die Getreideernte vorgenommen wurde. Die Er¬ legung des Stiers bedeutet daher nichts andres als das Werk der Getreidereife und Erntearbeit. Die nach der Tötung vorgenommene Opferung des Unge¬ heuers erinnert deutlich genug an den religiösen Kultus des Erntedankfestes, das noch im Volke Jcchvehs eins der drei wichtigsten Jahresfeste war. Für Hellas konnte diese Allegorie nicht verständlich sein. Denn erstlich lag es dem Griechen überhaupt fern, den Stand der Sonne in seine Sage hineinzuziehen; zweitens fiel die Ernte dort später und hatte mit dem Stande der Sonne im Stier nichts zu schaffen. Gleichwohl hat die griechische Mytho¬ logie das Stiergefecht übernommen, aber in der Weise, daß es naturmythisch sich nicht erklären läßt. Wollen wir eine Erklärung suchen, so müssen wir es auf dem Gebiete der Zivilisation thun. Der kretische Minotaurus ist das Sinnbild der auf der Insel seit alter Zeit herrschenden Staatsknltur, deren Übertragung nach Griechenland dem Nationalheros zugeschrieben wurde. He¬ rakles ist im griechischen Mythus nicht mehr allein der Vertreter des Sonnen¬ lichtes und seiner Wirkungen, sondern auch der Vertreter der Zivilisation. Mit der Erlegung des Stiers schließt der erste Teil der Dubarsage ab. Bis hierher war Dubar der siegreiche Held, seiner Feindin überlegen. Die Sonne hat eben bisher nur die wohlthätige Seite ihrer Kraft gezeigt, welche in der Getreidereife ihren höchsten Grad erreicht. Nun aber tritt eine Wendung ein und führt zu dem zweiten Teile der epischen Darstellung. Gottsched und die deutsche Sprache. von Albert Richter. er über Gottsched und wer gar über dessen Verdienste um deutsche Sprache oder Litteratur sprechen will, muß leider noch immer darauf gefaßt sein, in den Mienen seiner Zuhörer einen spöttischen Zug zu finden und der Frage zu begegnen: Was kann von Gottsched Gutes kommen? Man kann auch in Litteraturgeschichten neuester Zeit noch den wegwerfendsten Urteilen über Gottsched begegnen, obgleich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/349>, abgerufen am 23.06.2024.