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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Dubar-Sage und der keilschriftliche Sintflutbericht.

dem abzugslosen Thale von Sthmphalos am augenscheinlichsten zum Nachteil
gereichten; er muß den Augiasstall, den Himmel, von seinem Unrat, dem Nebel¬
gewölk des Winters, reinigen, die Rosse des Diomedes einfangen, die Amazonen
besiegen u. a. in., lauter Bilder des Kampfes der Sonne mit den thracisch-
kleinasiatischen Winterstürmen.

Alle diese Abenteuer sind örtlicher Art und vom griechischen Boden aus
leicht naturmythisch zu erklären. An der Spitze aller herkulischen Wagnisse
aber steht der Löwenkampf, und zwar im Dubarmythus sowohl wie in der
Heraklessage. Seine Bedeutung ergiebt sich aus dem asiatischen Sternmythus.
Wenn nämlich die Sonne in das Sternbild des Löwen tritt, also im Juli, so
beginnt sie ihre gewaltigste Hitze zu entfalten, das Sinnbild dieser Glutent¬
wicklung wird daher der Löwenkampf, der sich bei den Griechen schon dadurch
als das von ihnen als das bedeutendste angesehene Kraftstück des Helden kenn¬
zeichnet, weil die griechische Sage ihm die Attribute des Herakles entlehnte, ihn
mit einem Löwenfell bekleidete und ihn -- so auf einem Bilde des Tempels
zu Patara -- in Begleitung von Löwen darstellte. Daß der Heitere, in dessen
Sagengestalt von einer den jährlichen Naturerscheinungen entsprechenden, chro¬
nologischen Reihenfolge der Episoden nicht die Rede sein kann, dieses von ihm
am meisten bewunderte Kraftstück des Helden allen andern Wagnissen voran¬
stellt, ist kein Wunder; daß dasselbe auch im babylonischen Mythus, der sich
in der chronologischen Reihenfolge der einzelnen Thatsachen im übrigen an die
Erscheinungen im Jahreslauf hält, der Fall ist. läßt sich dort ebenfalls nur aus
der Absicht erklären, daß die Sage ihren Helden von vornherein nach seinem
bedeutendsten Kraftstück zeichnen will.

In den jungen Sonnenhelden zur Zeit der Frühlingspracht verliebt sich
nun Istar, die Göttin der Schönheit und Liebe. Istar, deren Namen wir in Astarte,
Astoreth, Esther und dem griechischen "<7r^ wiederfinden, ist die mythische
Personifikation des Planeten Venus; in der Dubarsage, gleichviel ob als
Abend- oder Morgenstern, aufgefaßt als das dem Tagesgestirn feindliche Prinzip
der Nacht, der Sonne als Planet ewig gleich nahe, ihrem Laufe folgend, und
daher liebend vorgestellt, aber auch ewig gleich fern und daher vom Sonnen¬
helden verschmäht gedacht. Sonne und Venus sind nicht zu gleicher Zeit am
Himmel sichtbar.

Das Verhältnis Jstars zu Dubcir ist demnach eine reine Gestirnallegorie,
als solche dem Hellenen unverständlich. Ihm schien auch nicht die Nacht als
das den Wirkungen der Sonne entgegengesetzte Prinzip, sondern die von ihm
weit mehr empfundenen Lufterscheinungen, Sturm, Regen, Hagel, Schnee; in
durchaus logischer Weise läßt er seinem Helden daher Hera, die Göttin der
Luft, feindlich entgegentreten. Dieser Gegensatz ist jedoch ein ganz andrer
als der im Dubarmythus; auf ihm beruht auch eine ganze Anzahl von
Allegorien, welche unter diesem Gesichtspunkte örtlicher Sagenerweiterung im


Die Dubar-Sage und der keilschriftliche Sintflutbericht.

dem abzugslosen Thale von Sthmphalos am augenscheinlichsten zum Nachteil
gereichten; er muß den Augiasstall, den Himmel, von seinem Unrat, dem Nebel¬
gewölk des Winters, reinigen, die Rosse des Diomedes einfangen, die Amazonen
besiegen u. a. in., lauter Bilder des Kampfes der Sonne mit den thracisch-
kleinasiatischen Winterstürmen.

Alle diese Abenteuer sind örtlicher Art und vom griechischen Boden aus
leicht naturmythisch zu erklären. An der Spitze aller herkulischen Wagnisse
aber steht der Löwenkampf, und zwar im Dubarmythus sowohl wie in der
Heraklessage. Seine Bedeutung ergiebt sich aus dem asiatischen Sternmythus.
Wenn nämlich die Sonne in das Sternbild des Löwen tritt, also im Juli, so
beginnt sie ihre gewaltigste Hitze zu entfalten, das Sinnbild dieser Glutent¬
wicklung wird daher der Löwenkampf, der sich bei den Griechen schon dadurch
als das von ihnen als das bedeutendste angesehene Kraftstück des Helden kenn¬
zeichnet, weil die griechische Sage ihm die Attribute des Herakles entlehnte, ihn
mit einem Löwenfell bekleidete und ihn — so auf einem Bilde des Tempels
zu Patara — in Begleitung von Löwen darstellte. Daß der Heitere, in dessen
Sagengestalt von einer den jährlichen Naturerscheinungen entsprechenden, chro¬
nologischen Reihenfolge der Episoden nicht die Rede sein kann, dieses von ihm
am meisten bewunderte Kraftstück des Helden allen andern Wagnissen voran¬
stellt, ist kein Wunder; daß dasselbe auch im babylonischen Mythus, der sich
in der chronologischen Reihenfolge der einzelnen Thatsachen im übrigen an die
Erscheinungen im Jahreslauf hält, der Fall ist. läßt sich dort ebenfalls nur aus
der Absicht erklären, daß die Sage ihren Helden von vornherein nach seinem
bedeutendsten Kraftstück zeichnen will.

In den jungen Sonnenhelden zur Zeit der Frühlingspracht verliebt sich
nun Istar, die Göttin der Schönheit und Liebe. Istar, deren Namen wir in Astarte,
Astoreth, Esther und dem griechischen »<7r^ wiederfinden, ist die mythische
Personifikation des Planeten Venus; in der Dubarsage, gleichviel ob als
Abend- oder Morgenstern, aufgefaßt als das dem Tagesgestirn feindliche Prinzip
der Nacht, der Sonne als Planet ewig gleich nahe, ihrem Laufe folgend, und
daher liebend vorgestellt, aber auch ewig gleich fern und daher vom Sonnen¬
helden verschmäht gedacht. Sonne und Venus sind nicht zu gleicher Zeit am
Himmel sichtbar.

Das Verhältnis Jstars zu Dubcir ist demnach eine reine Gestirnallegorie,
als solche dem Hellenen unverständlich. Ihm schien auch nicht die Nacht als
das den Wirkungen der Sonne entgegengesetzte Prinzip, sondern die von ihm
weit mehr empfundenen Lufterscheinungen, Sturm, Regen, Hagel, Schnee; in
durchaus logischer Weise läßt er seinem Helden daher Hera, die Göttin der
Luft, feindlich entgegentreten. Dieser Gegensatz ist jedoch ein ganz andrer
als der im Dubarmythus; auf ihm beruht auch eine ganze Anzahl von
Allegorien, welche unter diesem Gesichtspunkte örtlicher Sagenerweiterung im


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[0348] Die Dubar-Sage und der keilschriftliche Sintflutbericht. dem abzugslosen Thale von Sthmphalos am augenscheinlichsten zum Nachteil gereichten; er muß den Augiasstall, den Himmel, von seinem Unrat, dem Nebel¬ gewölk des Winters, reinigen, die Rosse des Diomedes einfangen, die Amazonen besiegen u. a. in., lauter Bilder des Kampfes der Sonne mit den thracisch- kleinasiatischen Winterstürmen. Alle diese Abenteuer sind örtlicher Art und vom griechischen Boden aus leicht naturmythisch zu erklären. An der Spitze aller herkulischen Wagnisse aber steht der Löwenkampf, und zwar im Dubarmythus sowohl wie in der Heraklessage. Seine Bedeutung ergiebt sich aus dem asiatischen Sternmythus. Wenn nämlich die Sonne in das Sternbild des Löwen tritt, also im Juli, so beginnt sie ihre gewaltigste Hitze zu entfalten, das Sinnbild dieser Glutent¬ wicklung wird daher der Löwenkampf, der sich bei den Griechen schon dadurch als das von ihnen als das bedeutendste angesehene Kraftstück des Helden kenn¬ zeichnet, weil die griechische Sage ihm die Attribute des Herakles entlehnte, ihn mit einem Löwenfell bekleidete und ihn — so auf einem Bilde des Tempels zu Patara — in Begleitung von Löwen darstellte. Daß der Heitere, in dessen Sagengestalt von einer den jährlichen Naturerscheinungen entsprechenden, chro¬ nologischen Reihenfolge der Episoden nicht die Rede sein kann, dieses von ihm am meisten bewunderte Kraftstück des Helden allen andern Wagnissen voran¬ stellt, ist kein Wunder; daß dasselbe auch im babylonischen Mythus, der sich in der chronologischen Reihenfolge der einzelnen Thatsachen im übrigen an die Erscheinungen im Jahreslauf hält, der Fall ist. läßt sich dort ebenfalls nur aus der Absicht erklären, daß die Sage ihren Helden von vornherein nach seinem bedeutendsten Kraftstück zeichnen will. In den jungen Sonnenhelden zur Zeit der Frühlingspracht verliebt sich nun Istar, die Göttin der Schönheit und Liebe. Istar, deren Namen wir in Astarte, Astoreth, Esther und dem griechischen »<7r^ wiederfinden, ist die mythische Personifikation des Planeten Venus; in der Dubarsage, gleichviel ob als Abend- oder Morgenstern, aufgefaßt als das dem Tagesgestirn feindliche Prinzip der Nacht, der Sonne als Planet ewig gleich nahe, ihrem Laufe folgend, und daher liebend vorgestellt, aber auch ewig gleich fern und daher vom Sonnen¬ helden verschmäht gedacht. Sonne und Venus sind nicht zu gleicher Zeit am Himmel sichtbar. Das Verhältnis Jstars zu Dubcir ist demnach eine reine Gestirnallegorie, als solche dem Hellenen unverständlich. Ihm schien auch nicht die Nacht als das den Wirkungen der Sonne entgegengesetzte Prinzip, sondern die von ihm weit mehr empfundenen Lufterscheinungen, Sturm, Regen, Hagel, Schnee; in durchaus logischer Weise läßt er seinem Helden daher Hera, die Göttin der Luft, feindlich entgegentreten. Dieser Gegensatz ist jedoch ein ganz andrer als der im Dubarmythus; auf ihm beruht auch eine ganze Anzahl von Allegorien, welche unter diesem Gesichtspunkte örtlicher Sagenerweiterung im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/348>, abgerufen am 23.06.2024.