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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Dubar-Sage und der keilschriftliche Sintflutbericht.

des Josephus, des Alexander Polyhistor, des Eusebius verstreuten Bruchstücke
aus dem Werke des um die Mitte des dritten Jahrhunderts arbeitenden baby¬
lonischen Priesters Berosus haben für uns erst ihren vollen Wert erlangt,
nachdem sie im Jahre 1825 zum ersten male gesammelt worden sind und nun¬
mehr in ihren chronologischen Angaben allerdings wunderbar mit der Sprache
der Denkmäler übereinstimmen, deren Durchforschung ungefähr zu derselben
Zeit begann.

Es würde hier zu weit führen, die schwierige Durcharbeitung der viele
Jahrhunderte hindurch unbeachtet gebliebenen Wüstenhügel in der sogenannten
"Djezireh," der mesopotamisehen Ebene, zu schildern, dieser Hügel, die unter ihrer
Sandschicht den Schutt der Moscheen Muhameds bargen, und tief unter diesem
Schutt wieder die Trümmerreste älterer Reiche.

Unter einem dieser Hügel fand man die Trümmer Assur-Ninivehs, der
einstigen Hauptstadt des assyrischen Reiches, mit dem Palaste des Königs Asur-
banipal, des Sardanapal der Alten, dessen verzeichnetes Bild ein bedenkliches
Zeugnis für ihre Geschichtschreibung dieser Länder ablegt. Asurbcmipal (668
bis 626 v. Chr.) war keineswegs der mit Weiberkleidern angethane, im Frauen¬
gemach spinnende, verweichlichte Schwächling, sondern gerade unter ihm gelangte
das assyrische Reich auf die höchste Stufe seiner Machtentwicklung; im Jahre 661
erstreckte es sich von Meroe bis nach Troja. Wie sehr aber diese politische
Machtstellung des Reiches auch auf die Pflege der Wissenschaft und der Litte-
rattur Einfluß gehabt hat, beweist die im königlichen Palaste aufgefundene um¬
fangreiche Bibliothek, ein Fund von höchstem Werte für die altorientalische
Sprach- und Geschichtsforschung.

Die Werke dieser assyrischen Bibliothek sind freilich nicht mit Kalamus und
Schreibsaft auf Pergament oder Papyrus geschrieben, sondern sie haben eine
ganz eigentümliche, dem Lande des Lehms und der Ziegelsteine entsprechende
Gestalt. Der assyrische Schriftsteller ließ sich eine Anzahl glatt gewalzter
Tafeln aus feuchtem Thon zubereiten, grub das Erzeugnis seines Geistes mittels
eines Griffels in diese ein und ließ die beschriebenen Tafeln im Ziegelöfen
hart brennen. Ein "mehrbändiges Werk" hätte demnach ein beträchtliches
Gewicht.

Auf zwölf solcher thönernen, zum Teil stark beschädigten, lückenhaften Tafeln
findet sich nun die nach ihrem Helden benannte Dubarsage, von Wert so¬
wohl als Beitrag zur vergleichenden Mythologie, als auch besonders wegen des
darin beiläufig enthaltenen altbabylonischen Sintflutberichts, offenbar der Quelle
der biblischen wie aller andern nennenswerten Flutgeschichten. Das Alter der
Dubarsage, mit deren Prüfung Fox Talbot im Jahre 1865 begann, ist
zweifellos ein sehr hohes. Der Umstand, daß wir auf den Siegeln der ältesten
Könige der sumerisch-akkadischen Völker, also zu Anfang des zweiten Jahrtausends
vor unsrer Zeitrechnung, bereits bildliche Darstellungen aus dem Mythus finden,


Die Dubar-Sage und der keilschriftliche Sintflutbericht.

des Josephus, des Alexander Polyhistor, des Eusebius verstreuten Bruchstücke
aus dem Werke des um die Mitte des dritten Jahrhunderts arbeitenden baby¬
lonischen Priesters Berosus haben für uns erst ihren vollen Wert erlangt,
nachdem sie im Jahre 1825 zum ersten male gesammelt worden sind und nun¬
mehr in ihren chronologischen Angaben allerdings wunderbar mit der Sprache
der Denkmäler übereinstimmen, deren Durchforschung ungefähr zu derselben
Zeit begann.

Es würde hier zu weit führen, die schwierige Durcharbeitung der viele
Jahrhunderte hindurch unbeachtet gebliebenen Wüstenhügel in der sogenannten
„Djezireh," der mesopotamisehen Ebene, zu schildern, dieser Hügel, die unter ihrer
Sandschicht den Schutt der Moscheen Muhameds bargen, und tief unter diesem
Schutt wieder die Trümmerreste älterer Reiche.

Unter einem dieser Hügel fand man die Trümmer Assur-Ninivehs, der
einstigen Hauptstadt des assyrischen Reiches, mit dem Palaste des Königs Asur-
banipal, des Sardanapal der Alten, dessen verzeichnetes Bild ein bedenkliches
Zeugnis für ihre Geschichtschreibung dieser Länder ablegt. Asurbcmipal (668
bis 626 v. Chr.) war keineswegs der mit Weiberkleidern angethane, im Frauen¬
gemach spinnende, verweichlichte Schwächling, sondern gerade unter ihm gelangte
das assyrische Reich auf die höchste Stufe seiner Machtentwicklung; im Jahre 661
erstreckte es sich von Meroe bis nach Troja. Wie sehr aber diese politische
Machtstellung des Reiches auch auf die Pflege der Wissenschaft und der Litte-
rattur Einfluß gehabt hat, beweist die im königlichen Palaste aufgefundene um¬
fangreiche Bibliothek, ein Fund von höchstem Werte für die altorientalische
Sprach- und Geschichtsforschung.

Die Werke dieser assyrischen Bibliothek sind freilich nicht mit Kalamus und
Schreibsaft auf Pergament oder Papyrus geschrieben, sondern sie haben eine
ganz eigentümliche, dem Lande des Lehms und der Ziegelsteine entsprechende
Gestalt. Der assyrische Schriftsteller ließ sich eine Anzahl glatt gewalzter
Tafeln aus feuchtem Thon zubereiten, grub das Erzeugnis seines Geistes mittels
eines Griffels in diese ein und ließ die beschriebenen Tafeln im Ziegelöfen
hart brennen. Ein „mehrbändiges Werk" hätte demnach ein beträchtliches
Gewicht.

Auf zwölf solcher thönernen, zum Teil stark beschädigten, lückenhaften Tafeln
findet sich nun die nach ihrem Helden benannte Dubarsage, von Wert so¬
wohl als Beitrag zur vergleichenden Mythologie, als auch besonders wegen des
darin beiläufig enthaltenen altbabylonischen Sintflutberichts, offenbar der Quelle
der biblischen wie aller andern nennenswerten Flutgeschichten. Das Alter der
Dubarsage, mit deren Prüfung Fox Talbot im Jahre 1865 begann, ist
zweifellos ein sehr hohes. Der Umstand, daß wir auf den Siegeln der ältesten
Könige der sumerisch-akkadischen Völker, also zu Anfang des zweiten Jahrtausends
vor unsrer Zeitrechnung, bereits bildliche Darstellungen aus dem Mythus finden,


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[0340] Die Dubar-Sage und der keilschriftliche Sintflutbericht. des Josephus, des Alexander Polyhistor, des Eusebius verstreuten Bruchstücke aus dem Werke des um die Mitte des dritten Jahrhunderts arbeitenden baby¬ lonischen Priesters Berosus haben für uns erst ihren vollen Wert erlangt, nachdem sie im Jahre 1825 zum ersten male gesammelt worden sind und nun¬ mehr in ihren chronologischen Angaben allerdings wunderbar mit der Sprache der Denkmäler übereinstimmen, deren Durchforschung ungefähr zu derselben Zeit begann. Es würde hier zu weit führen, die schwierige Durcharbeitung der viele Jahrhunderte hindurch unbeachtet gebliebenen Wüstenhügel in der sogenannten „Djezireh," der mesopotamisehen Ebene, zu schildern, dieser Hügel, die unter ihrer Sandschicht den Schutt der Moscheen Muhameds bargen, und tief unter diesem Schutt wieder die Trümmerreste älterer Reiche. Unter einem dieser Hügel fand man die Trümmer Assur-Ninivehs, der einstigen Hauptstadt des assyrischen Reiches, mit dem Palaste des Königs Asur- banipal, des Sardanapal der Alten, dessen verzeichnetes Bild ein bedenkliches Zeugnis für ihre Geschichtschreibung dieser Länder ablegt. Asurbcmipal (668 bis 626 v. Chr.) war keineswegs der mit Weiberkleidern angethane, im Frauen¬ gemach spinnende, verweichlichte Schwächling, sondern gerade unter ihm gelangte das assyrische Reich auf die höchste Stufe seiner Machtentwicklung; im Jahre 661 erstreckte es sich von Meroe bis nach Troja. Wie sehr aber diese politische Machtstellung des Reiches auch auf die Pflege der Wissenschaft und der Litte- rattur Einfluß gehabt hat, beweist die im königlichen Palaste aufgefundene um¬ fangreiche Bibliothek, ein Fund von höchstem Werte für die altorientalische Sprach- und Geschichtsforschung. Die Werke dieser assyrischen Bibliothek sind freilich nicht mit Kalamus und Schreibsaft auf Pergament oder Papyrus geschrieben, sondern sie haben eine ganz eigentümliche, dem Lande des Lehms und der Ziegelsteine entsprechende Gestalt. Der assyrische Schriftsteller ließ sich eine Anzahl glatt gewalzter Tafeln aus feuchtem Thon zubereiten, grub das Erzeugnis seines Geistes mittels eines Griffels in diese ein und ließ die beschriebenen Tafeln im Ziegelöfen hart brennen. Ein „mehrbändiges Werk" hätte demnach ein beträchtliches Gewicht. Auf zwölf solcher thönernen, zum Teil stark beschädigten, lückenhaften Tafeln findet sich nun die nach ihrem Helden benannte Dubarsage, von Wert so¬ wohl als Beitrag zur vergleichenden Mythologie, als auch besonders wegen des darin beiläufig enthaltenen altbabylonischen Sintflutberichts, offenbar der Quelle der biblischen wie aller andern nennenswerten Flutgeschichten. Das Alter der Dubarsage, mit deren Prüfung Fox Talbot im Jahre 1865 begann, ist zweifellos ein sehr hohes. Der Umstand, daß wir auf den Siegeln der ältesten Könige der sumerisch-akkadischen Völker, also zu Anfang des zweiten Jahrtausends vor unsrer Zeitrechnung, bereits bildliche Darstellungen aus dem Mythus finden,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/340>, abgerufen am 23.06.2024.