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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Dubar-Sage und der keilschriftliche Sintflutbericht.

beweist, daß die Sage zu jener Zeit schon im Volksmunde gäng und gäbe ge¬
wesen sein, ihre Entstehung also ein noch höheres Alter haben muß.

Die Bruchstücke der Thontafeln befinden sich heute im Britischen Museum,
ihr Text ist in Keilschrift verfaßt. Nachdem es unter Aufwendung staunens¬
werten Scharfsinnes und unsäglicher Denkarbeit -- deutsche Namen, wie der
eines Grotefend, haben sich darum besondre Verdienste erworben -- gelungen ist,
ein System für Schrift und Sprache aufzustellen und den Inhalt zu entziffern,
stellt sich dieser bruchstückweise nach der Übersetzung Schraders ("Die Höllenfahrt
der Istar") folgendermaßen dar.

Im Anfang wird erzählt von den Leiden, welche die Stadt Ereck, das
spätere Warkci, infolge ihrer Unterwerfung unter die Herrschaft der erobernd in
Babylon eingedrungenen, uns aus dem Alten Testament bekannten Elamiter zu
ertragen hat. Da kommt Dubar oder -- mit dem Artikel -- Jsdubar, ein
gewaltiger Held und Jäger aus der Stadt Marat, unzweifelhaft dieselbe Ge¬
stalt wie der Nimrod der Genesis, dessen Name auf seine Herkunft aus der ge¬
nannten Stadt zu deuten sein dürfte. Der Held ist ein Nachkomme des Hasi-
sathra, von Berosus Xisuthros genannt, in welchem wir den babylonischen Noah
kennen lernen werden.

Dubar hat in Ereck einen Traum, in welchem er die Sterne vom Himmel
fallen sieht und auf seinem Nacken aufschlagen fühlt; vor ihm aber steht ein
furchtbares Ungeheuer. Erwacht wendet er sich an die Weisen des Landes,
ihm den Traum zu deuten. Aber niemand vermag es; man weist ihn vielmehr
an Eabani (übersetzt: "Ea ist mein Erzeuger"), des Gottes Ea Sohn, der als
eine Art Satyr oder Faun mit Hörnern, Füßen und Schwanz eines Ochsen im
Walde unter wilden Tieren lebt. Zu ihm werden zwei Weiber, Samchat und
Garisbu, gesandt, um ihn zu einer Reise nach Ereck zu überreden. Eabani
aber weist sie mit ihrer Bitte zornig zurück. Erst nachdem der Sonnengott
Samas ihm zugeredet hat und jene beiden Weiber zum zweiten male in Be¬
gleitung des Jägers Zaidu bei ihm gewesen sind, entschließt er sich, mit ihnen
zu gehen. Freilich bedarf es auch jetzt noch reicher Versprechungen: "Jsdubar
soll Freundschaft mit dir schließen -- heißt es im Text --, soll dich ruhen lassen
auf stattlichem Lager; auf ein schönes Lager soll er dich setzen; er wird dich
sitzen lassen auf einem behaglichen Sitz, einem Sitze zur Linken. Die Könige
der Erde sollen deine Füße küssen. Er soll dich bereichern und die Männer
von Ereck schweigen machen vor dir; er soll kleiden deinen Leib in Gewänder
und ..." Soweit dieses Bruchstück.

Von den nun folgenden Festlichkeiten in Dubars Palast sind nur wenige
Bruchstücke vorhanden; auch die Deutung des Traumes erfahren wir aus den
Tafelresten nicht unmittelbar. Eabani will nun den Dubar auf Mut und Kraft
hin erproben und hat zu diesem Zwecke einen mächtigen Löwen mitgebracht,
den Dubar vor Eabcmis Augen erschlägt. Von nun an ist der Satyr des


Die Dubar-Sage und der keilschriftliche Sintflutbericht.

beweist, daß die Sage zu jener Zeit schon im Volksmunde gäng und gäbe ge¬
wesen sein, ihre Entstehung also ein noch höheres Alter haben muß.

Die Bruchstücke der Thontafeln befinden sich heute im Britischen Museum,
ihr Text ist in Keilschrift verfaßt. Nachdem es unter Aufwendung staunens¬
werten Scharfsinnes und unsäglicher Denkarbeit — deutsche Namen, wie der
eines Grotefend, haben sich darum besondre Verdienste erworben — gelungen ist,
ein System für Schrift und Sprache aufzustellen und den Inhalt zu entziffern,
stellt sich dieser bruchstückweise nach der Übersetzung Schraders („Die Höllenfahrt
der Istar") folgendermaßen dar.

Im Anfang wird erzählt von den Leiden, welche die Stadt Ereck, das
spätere Warkci, infolge ihrer Unterwerfung unter die Herrschaft der erobernd in
Babylon eingedrungenen, uns aus dem Alten Testament bekannten Elamiter zu
ertragen hat. Da kommt Dubar oder — mit dem Artikel — Jsdubar, ein
gewaltiger Held und Jäger aus der Stadt Marat, unzweifelhaft dieselbe Ge¬
stalt wie der Nimrod der Genesis, dessen Name auf seine Herkunft aus der ge¬
nannten Stadt zu deuten sein dürfte. Der Held ist ein Nachkomme des Hasi-
sathra, von Berosus Xisuthros genannt, in welchem wir den babylonischen Noah
kennen lernen werden.

Dubar hat in Ereck einen Traum, in welchem er die Sterne vom Himmel
fallen sieht und auf seinem Nacken aufschlagen fühlt; vor ihm aber steht ein
furchtbares Ungeheuer. Erwacht wendet er sich an die Weisen des Landes,
ihm den Traum zu deuten. Aber niemand vermag es; man weist ihn vielmehr
an Eabani (übersetzt: „Ea ist mein Erzeuger"), des Gottes Ea Sohn, der als
eine Art Satyr oder Faun mit Hörnern, Füßen und Schwanz eines Ochsen im
Walde unter wilden Tieren lebt. Zu ihm werden zwei Weiber, Samchat und
Garisbu, gesandt, um ihn zu einer Reise nach Ereck zu überreden. Eabani
aber weist sie mit ihrer Bitte zornig zurück. Erst nachdem der Sonnengott
Samas ihm zugeredet hat und jene beiden Weiber zum zweiten male in Be¬
gleitung des Jägers Zaidu bei ihm gewesen sind, entschließt er sich, mit ihnen
zu gehen. Freilich bedarf es auch jetzt noch reicher Versprechungen: „Jsdubar
soll Freundschaft mit dir schließen — heißt es im Text —, soll dich ruhen lassen
auf stattlichem Lager; auf ein schönes Lager soll er dich setzen; er wird dich
sitzen lassen auf einem behaglichen Sitz, einem Sitze zur Linken. Die Könige
der Erde sollen deine Füße küssen. Er soll dich bereichern und die Männer
von Ereck schweigen machen vor dir; er soll kleiden deinen Leib in Gewänder
und ..." Soweit dieses Bruchstück.

Von den nun folgenden Festlichkeiten in Dubars Palast sind nur wenige
Bruchstücke vorhanden; auch die Deutung des Traumes erfahren wir aus den
Tafelresten nicht unmittelbar. Eabani will nun den Dubar auf Mut und Kraft
hin erproben und hat zu diesem Zwecke einen mächtigen Löwen mitgebracht,
den Dubar vor Eabcmis Augen erschlägt. Von nun an ist der Satyr des


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[0341] Die Dubar-Sage und der keilschriftliche Sintflutbericht. beweist, daß die Sage zu jener Zeit schon im Volksmunde gäng und gäbe ge¬ wesen sein, ihre Entstehung also ein noch höheres Alter haben muß. Die Bruchstücke der Thontafeln befinden sich heute im Britischen Museum, ihr Text ist in Keilschrift verfaßt. Nachdem es unter Aufwendung staunens¬ werten Scharfsinnes und unsäglicher Denkarbeit — deutsche Namen, wie der eines Grotefend, haben sich darum besondre Verdienste erworben — gelungen ist, ein System für Schrift und Sprache aufzustellen und den Inhalt zu entziffern, stellt sich dieser bruchstückweise nach der Übersetzung Schraders („Die Höllenfahrt der Istar") folgendermaßen dar. Im Anfang wird erzählt von den Leiden, welche die Stadt Ereck, das spätere Warkci, infolge ihrer Unterwerfung unter die Herrschaft der erobernd in Babylon eingedrungenen, uns aus dem Alten Testament bekannten Elamiter zu ertragen hat. Da kommt Dubar oder — mit dem Artikel — Jsdubar, ein gewaltiger Held und Jäger aus der Stadt Marat, unzweifelhaft dieselbe Ge¬ stalt wie der Nimrod der Genesis, dessen Name auf seine Herkunft aus der ge¬ nannten Stadt zu deuten sein dürfte. Der Held ist ein Nachkomme des Hasi- sathra, von Berosus Xisuthros genannt, in welchem wir den babylonischen Noah kennen lernen werden. Dubar hat in Ereck einen Traum, in welchem er die Sterne vom Himmel fallen sieht und auf seinem Nacken aufschlagen fühlt; vor ihm aber steht ein furchtbares Ungeheuer. Erwacht wendet er sich an die Weisen des Landes, ihm den Traum zu deuten. Aber niemand vermag es; man weist ihn vielmehr an Eabani (übersetzt: „Ea ist mein Erzeuger"), des Gottes Ea Sohn, der als eine Art Satyr oder Faun mit Hörnern, Füßen und Schwanz eines Ochsen im Walde unter wilden Tieren lebt. Zu ihm werden zwei Weiber, Samchat und Garisbu, gesandt, um ihn zu einer Reise nach Ereck zu überreden. Eabani aber weist sie mit ihrer Bitte zornig zurück. Erst nachdem der Sonnengott Samas ihm zugeredet hat und jene beiden Weiber zum zweiten male in Be¬ gleitung des Jägers Zaidu bei ihm gewesen sind, entschließt er sich, mit ihnen zu gehen. Freilich bedarf es auch jetzt noch reicher Versprechungen: „Jsdubar soll Freundschaft mit dir schließen — heißt es im Text —, soll dich ruhen lassen auf stattlichem Lager; auf ein schönes Lager soll er dich setzen; er wird dich sitzen lassen auf einem behaglichen Sitz, einem Sitze zur Linken. Die Könige der Erde sollen deine Füße küssen. Er soll dich bereichern und die Männer von Ereck schweigen machen vor dir; er soll kleiden deinen Leib in Gewänder und ..." Soweit dieses Bruchstück. Von den nun folgenden Festlichkeiten in Dubars Palast sind nur wenige Bruchstücke vorhanden; auch die Deutung des Traumes erfahren wir aus den Tafelresten nicht unmittelbar. Eabani will nun den Dubar auf Mut und Kraft hin erproben und hat zu diesem Zwecke einen mächtigen Löwen mitgebracht, den Dubar vor Eabcmis Augen erschlägt. Von nun an ist der Satyr des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/341>, abgerufen am 23.06.2024.