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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Dubar-Sage und der keilschriftliche Sintflutbericht.

zu machen; aber man wisse diese Vorwürfe zu unterscheiden von den Vorwänden,
deren sich der erbitterte Parteigeist zu einer nicht immer loyalen Bekämpfung
bedient.




Die Dubar-Sage und der keilschriftliche Sintflutbericht.
von Georg Hoffmann.
1.

GW
"DWWuser Jahrhundert ist das Jahrhundert der Auffindungen sowohl
wie das der Erfindungen. Die Erfindungen sind die Erfolge der
Wissenschaft von der Natur und ihren Kräften; an dem Material
der Auffindungen üben die Sprachforschung, die Archäologie und
die Geschichte ihre Kraft. Indes ein totes Metall, in zahllosen
Drähten den Erdball umspannend, gezwungen wird, den Austausch heutiger Ge¬
danken in lebenden Sprachen zu vermitteln, beginnen die Steine und Papyrus
eine Sprache zu reden, die, wenn auch von keines Volkes Munde mehr ge¬
sprochen, doch, durch des Forschers mühselige Arbeit enträtselt, uns Kunde giebt
von dem, was vor Jahrtausenden war.

Zu den anziehendsten Kulturländern, deren Geschichte und Charakter allmäh¬
lich aufzuklären sich die Wissenschaft unsers Jahrhunderts mit eisernem Fleiße
bemüht, gehört die einst von Fruchtbarkeit strotzende, heute durch den vernich¬
tenden Einfluß des barbarischen Islams verödete Ebene zwischen Euphrat und
Tigris. Wir wissen längst, daß dort in: Unterlande der Zwillungsströme in
uralter Zeit ein blühendes Kulturvolk gewohnt hat, dem die Nationen des
Altertums mittelbar oder unmittelbar ein gutes Teil ihrer Bildung verdanken;
aber was uns darüber die Bibel und die Werke der Griechen melden, ist dunkel,
kneten- und sagenhaft. Kein Wunder. Stammt doch die uns vorliegende Re¬
daktion des Alten Testamentes aus einer Zeit, wo jene Völker von Sumer und
Allat bereits unter dem Schutt eines Jahrtausends begraben lagen, und ver¬
sucht sie es doch nicht, den Schleier von alldem hinweg zu nehmen, was nicht
ihrer judaistisch-exklusiven Tendenz dienstbar ist. Und Herodot? So bieder
und ehrlich sein Streben ist, so viel wir ihm zu verdanken haben: hier begnügt er
sich doch mit seinen Erfahrungen vom Hörensagen und erzählt uns mit un¬
glaublicher Naivität die wundersamsten Märchen. Selbst die in den Schriften


Die Dubar-Sage und der keilschriftliche Sintflutbericht.

zu machen; aber man wisse diese Vorwürfe zu unterscheiden von den Vorwänden,
deren sich der erbitterte Parteigeist zu einer nicht immer loyalen Bekämpfung
bedient.




Die Dubar-Sage und der keilschriftliche Sintflutbericht.
von Georg Hoffmann.
1.

GW
«DWWuser Jahrhundert ist das Jahrhundert der Auffindungen sowohl
wie das der Erfindungen. Die Erfindungen sind die Erfolge der
Wissenschaft von der Natur und ihren Kräften; an dem Material
der Auffindungen üben die Sprachforschung, die Archäologie und
die Geschichte ihre Kraft. Indes ein totes Metall, in zahllosen
Drähten den Erdball umspannend, gezwungen wird, den Austausch heutiger Ge¬
danken in lebenden Sprachen zu vermitteln, beginnen die Steine und Papyrus
eine Sprache zu reden, die, wenn auch von keines Volkes Munde mehr ge¬
sprochen, doch, durch des Forschers mühselige Arbeit enträtselt, uns Kunde giebt
von dem, was vor Jahrtausenden war.

Zu den anziehendsten Kulturländern, deren Geschichte und Charakter allmäh¬
lich aufzuklären sich die Wissenschaft unsers Jahrhunderts mit eisernem Fleiße
bemüht, gehört die einst von Fruchtbarkeit strotzende, heute durch den vernich¬
tenden Einfluß des barbarischen Islams verödete Ebene zwischen Euphrat und
Tigris. Wir wissen längst, daß dort in: Unterlande der Zwillungsströme in
uralter Zeit ein blühendes Kulturvolk gewohnt hat, dem die Nationen des
Altertums mittelbar oder unmittelbar ein gutes Teil ihrer Bildung verdanken;
aber was uns darüber die Bibel und die Werke der Griechen melden, ist dunkel,
kneten- und sagenhaft. Kein Wunder. Stammt doch die uns vorliegende Re¬
daktion des Alten Testamentes aus einer Zeit, wo jene Völker von Sumer und
Allat bereits unter dem Schutt eines Jahrtausends begraben lagen, und ver¬
sucht sie es doch nicht, den Schleier von alldem hinweg zu nehmen, was nicht
ihrer judaistisch-exklusiven Tendenz dienstbar ist. Und Herodot? So bieder
und ehrlich sein Streben ist, so viel wir ihm zu verdanken haben: hier begnügt er
sich doch mit seinen Erfahrungen vom Hörensagen und erzählt uns mit un¬
glaublicher Naivität die wundersamsten Märchen. Selbst die in den Schriften


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[0339] Die Dubar-Sage und der keilschriftliche Sintflutbericht. zu machen; aber man wisse diese Vorwürfe zu unterscheiden von den Vorwänden, deren sich der erbitterte Parteigeist zu einer nicht immer loyalen Bekämpfung bedient. Die Dubar-Sage und der keilschriftliche Sintflutbericht. von Georg Hoffmann. 1. GW «DWWuser Jahrhundert ist das Jahrhundert der Auffindungen sowohl wie das der Erfindungen. Die Erfindungen sind die Erfolge der Wissenschaft von der Natur und ihren Kräften; an dem Material der Auffindungen üben die Sprachforschung, die Archäologie und die Geschichte ihre Kraft. Indes ein totes Metall, in zahllosen Drähten den Erdball umspannend, gezwungen wird, den Austausch heutiger Ge¬ danken in lebenden Sprachen zu vermitteln, beginnen die Steine und Papyrus eine Sprache zu reden, die, wenn auch von keines Volkes Munde mehr ge¬ sprochen, doch, durch des Forschers mühselige Arbeit enträtselt, uns Kunde giebt von dem, was vor Jahrtausenden war. Zu den anziehendsten Kulturländern, deren Geschichte und Charakter allmäh¬ lich aufzuklären sich die Wissenschaft unsers Jahrhunderts mit eisernem Fleiße bemüht, gehört die einst von Fruchtbarkeit strotzende, heute durch den vernich¬ tenden Einfluß des barbarischen Islams verödete Ebene zwischen Euphrat und Tigris. Wir wissen längst, daß dort in: Unterlande der Zwillungsströme in uralter Zeit ein blühendes Kulturvolk gewohnt hat, dem die Nationen des Altertums mittelbar oder unmittelbar ein gutes Teil ihrer Bildung verdanken; aber was uns darüber die Bibel und die Werke der Griechen melden, ist dunkel, kneten- und sagenhaft. Kein Wunder. Stammt doch die uns vorliegende Re¬ daktion des Alten Testamentes aus einer Zeit, wo jene Völker von Sumer und Allat bereits unter dem Schutt eines Jahrtausends begraben lagen, und ver¬ sucht sie es doch nicht, den Schleier von alldem hinweg zu nehmen, was nicht ihrer judaistisch-exklusiven Tendenz dienstbar ist. Und Herodot? So bieder und ehrlich sein Streben ist, so viel wir ihm zu verdanken haben: hier begnügt er sich doch mit seinen Erfahrungen vom Hörensagen und erzählt uns mit un¬ glaublicher Naivität die wundersamsten Märchen. Selbst die in den Schriften

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/339>, abgerufen am 23.06.2024.