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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Vorwürfe und vorwände.

sachlichsten Faktoren mit einer Partei, in welcher das "Junkertum" einen großen
Teil der leitenden Personen und der geistigen Kräfte sowie der Einflüsse auf
die Wähler stellt. Damit ist nun wiederum zur Genüge erklärt, daß und warum
von feiten gewisser Parteien so eifrig wie nur je auf die "Junker" losgehackt
wird; von der so lange und von so vielen Seiten her gepflegten Gehässigkeit
gegen die Junker ist doch noch immer so viel übrig geblieben, daß man sich hier
noch auf lange hinaus im Besitze eines wirksamen Schlagwortes befindet, mittels
dessen eine starke gegnerische Partei mindestens öffentlich herabgesetzt werden kann,
wenn es auch im Kampfe selbst ziemlich nutzlos ist. Nun ist aber neuerdings
uoch ein Punkt hinzugekommen, welcher in den Reihen des politischen Radika¬
lismus und des Freihändlertums eine wahre Siedehitze des Ingrimms über
die Junker hervorgebracht hat. Alle landwirtschaftlichen Interessen sind dieser
Partei im Grunde nicht sympathisch; wenn sie aber heute gar zusammengefaßt
und planmüßig geleitet werden, und wenn die große Masse der deutschen Land¬
wirte anfängt, sich in diesem Sinne an einer jedenfalls gegenfreihändlerischen
und dabei auf Bewahrung des landwirtschaftlichen Besitzstandes gerichteten Be¬
wegung zu beteiligen, so muß dies eine mit einer gewissen Verzweiflung ver¬
bundene Erbitterung hervorrufen, weil keine einflußreiche Klasse von Leuten so
sehr ihrer ganzen Natur nach zum Konservatismus hinneigt wie diese ländlichen
Besitzer. Fast war es gelungen, diese Klasse in den Bann des politischen
Parteilebens hineinzubringen und ihr das Bewußtsein ihrer landwirtschaftlichen
Sonderinteressen zu rauben. Da kommt auf einmal diese verruchte agrarische
Bewegung, macht die Landwirte dem radikalen Heerbanne abtrünnig und erweckt
in ihnen den ganzen Kreis mühsam unterdrückter Standesansichten und Standes¬
interessen von neuem. Und wer ist es, der die agrarische Bewegung hervor¬
gerufen, hartnäckig an ihr festgehalten, ihr schließlich Geltung im Staats¬
leben und ein ansehnliches Maß von Berücksichtigung erkämpft, und sich damit
nun an die Spitze des ganzen Standes der Landwirte gestellt hat? Immer
wieder der "Junker"! Ist es da zu verwundern, wenn neuerdings der Ansturm
gegen Junker und Junkertum ärger denn je geworden ist?

Die moderne, auf freie Bewegung in geistiger und in materieller Hinsicht
begründete Weltanschauung dürfte im wesentlichen das Feld behaupten; sie wird
vielleicht manche sozialistischen oder staatssozialistischen, vielleicht auch im Richard
Rotheschen Sinne religiösen, vielleicht auch noch andre Ideen in sich aufnehmen
müssen, aber daß es der alten Anschauung in der Form, wie sie sich bei unsern
Großgrundbesitzern findet, gelingen werde, in dieser künftigen neuen Anschauung
sich einen breiten Raum zu erhalten oder gar sich eine eigne selbständige Zu¬
kunft zu erobern, das glauben wir nicht. Aber die Zeit dieser alten Anschauung
ist noch nicht vorüber; sie hat sich noch auszuleben und unserm Staats- und
Volksleben manches mitzuteilen, was sie besitzt. In der jetzigen Periode des
Kampfes sind ihr und ihren Trägern, wie dies natürlich ist, manche Vorwürfe


Vorwürfe und vorwände.

sachlichsten Faktoren mit einer Partei, in welcher das „Junkertum" einen großen
Teil der leitenden Personen und der geistigen Kräfte sowie der Einflüsse auf
die Wähler stellt. Damit ist nun wiederum zur Genüge erklärt, daß und warum
von feiten gewisser Parteien so eifrig wie nur je auf die „Junker" losgehackt
wird; von der so lange und von so vielen Seiten her gepflegten Gehässigkeit
gegen die Junker ist doch noch immer so viel übrig geblieben, daß man sich hier
noch auf lange hinaus im Besitze eines wirksamen Schlagwortes befindet, mittels
dessen eine starke gegnerische Partei mindestens öffentlich herabgesetzt werden kann,
wenn es auch im Kampfe selbst ziemlich nutzlos ist. Nun ist aber neuerdings
uoch ein Punkt hinzugekommen, welcher in den Reihen des politischen Radika¬
lismus und des Freihändlertums eine wahre Siedehitze des Ingrimms über
die Junker hervorgebracht hat. Alle landwirtschaftlichen Interessen sind dieser
Partei im Grunde nicht sympathisch; wenn sie aber heute gar zusammengefaßt
und planmüßig geleitet werden, und wenn die große Masse der deutschen Land¬
wirte anfängt, sich in diesem Sinne an einer jedenfalls gegenfreihändlerischen
und dabei auf Bewahrung des landwirtschaftlichen Besitzstandes gerichteten Be¬
wegung zu beteiligen, so muß dies eine mit einer gewissen Verzweiflung ver¬
bundene Erbitterung hervorrufen, weil keine einflußreiche Klasse von Leuten so
sehr ihrer ganzen Natur nach zum Konservatismus hinneigt wie diese ländlichen
Besitzer. Fast war es gelungen, diese Klasse in den Bann des politischen
Parteilebens hineinzubringen und ihr das Bewußtsein ihrer landwirtschaftlichen
Sonderinteressen zu rauben. Da kommt auf einmal diese verruchte agrarische
Bewegung, macht die Landwirte dem radikalen Heerbanne abtrünnig und erweckt
in ihnen den ganzen Kreis mühsam unterdrückter Standesansichten und Standes¬
interessen von neuem. Und wer ist es, der die agrarische Bewegung hervor¬
gerufen, hartnäckig an ihr festgehalten, ihr schließlich Geltung im Staats¬
leben und ein ansehnliches Maß von Berücksichtigung erkämpft, und sich damit
nun an die Spitze des ganzen Standes der Landwirte gestellt hat? Immer
wieder der „Junker"! Ist es da zu verwundern, wenn neuerdings der Ansturm
gegen Junker und Junkertum ärger denn je geworden ist?

Die moderne, auf freie Bewegung in geistiger und in materieller Hinsicht
begründete Weltanschauung dürfte im wesentlichen das Feld behaupten; sie wird
vielleicht manche sozialistischen oder staatssozialistischen, vielleicht auch im Richard
Rotheschen Sinne religiösen, vielleicht auch noch andre Ideen in sich aufnehmen
müssen, aber daß es der alten Anschauung in der Form, wie sie sich bei unsern
Großgrundbesitzern findet, gelingen werde, in dieser künftigen neuen Anschauung
sich einen breiten Raum zu erhalten oder gar sich eine eigne selbständige Zu¬
kunft zu erobern, das glauben wir nicht. Aber die Zeit dieser alten Anschauung
ist noch nicht vorüber; sie hat sich noch auszuleben und unserm Staats- und
Volksleben manches mitzuteilen, was sie besitzt. In der jetzigen Periode des
Kampfes sind ihr und ihren Trägern, wie dies natürlich ist, manche Vorwürfe


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[0338] Vorwürfe und vorwände. sachlichsten Faktoren mit einer Partei, in welcher das „Junkertum" einen großen Teil der leitenden Personen und der geistigen Kräfte sowie der Einflüsse auf die Wähler stellt. Damit ist nun wiederum zur Genüge erklärt, daß und warum von feiten gewisser Parteien so eifrig wie nur je auf die „Junker" losgehackt wird; von der so lange und von so vielen Seiten her gepflegten Gehässigkeit gegen die Junker ist doch noch immer so viel übrig geblieben, daß man sich hier noch auf lange hinaus im Besitze eines wirksamen Schlagwortes befindet, mittels dessen eine starke gegnerische Partei mindestens öffentlich herabgesetzt werden kann, wenn es auch im Kampfe selbst ziemlich nutzlos ist. Nun ist aber neuerdings uoch ein Punkt hinzugekommen, welcher in den Reihen des politischen Radika¬ lismus und des Freihändlertums eine wahre Siedehitze des Ingrimms über die Junker hervorgebracht hat. Alle landwirtschaftlichen Interessen sind dieser Partei im Grunde nicht sympathisch; wenn sie aber heute gar zusammengefaßt und planmüßig geleitet werden, und wenn die große Masse der deutschen Land¬ wirte anfängt, sich in diesem Sinne an einer jedenfalls gegenfreihändlerischen und dabei auf Bewahrung des landwirtschaftlichen Besitzstandes gerichteten Be¬ wegung zu beteiligen, so muß dies eine mit einer gewissen Verzweiflung ver¬ bundene Erbitterung hervorrufen, weil keine einflußreiche Klasse von Leuten so sehr ihrer ganzen Natur nach zum Konservatismus hinneigt wie diese ländlichen Besitzer. Fast war es gelungen, diese Klasse in den Bann des politischen Parteilebens hineinzubringen und ihr das Bewußtsein ihrer landwirtschaftlichen Sonderinteressen zu rauben. Da kommt auf einmal diese verruchte agrarische Bewegung, macht die Landwirte dem radikalen Heerbanne abtrünnig und erweckt in ihnen den ganzen Kreis mühsam unterdrückter Standesansichten und Standes¬ interessen von neuem. Und wer ist es, der die agrarische Bewegung hervor¬ gerufen, hartnäckig an ihr festgehalten, ihr schließlich Geltung im Staats¬ leben und ein ansehnliches Maß von Berücksichtigung erkämpft, und sich damit nun an die Spitze des ganzen Standes der Landwirte gestellt hat? Immer wieder der „Junker"! Ist es da zu verwundern, wenn neuerdings der Ansturm gegen Junker und Junkertum ärger denn je geworden ist? Die moderne, auf freie Bewegung in geistiger und in materieller Hinsicht begründete Weltanschauung dürfte im wesentlichen das Feld behaupten; sie wird vielleicht manche sozialistischen oder staatssozialistischen, vielleicht auch im Richard Rotheschen Sinne religiösen, vielleicht auch noch andre Ideen in sich aufnehmen müssen, aber daß es der alten Anschauung in der Form, wie sie sich bei unsern Großgrundbesitzern findet, gelingen werde, in dieser künftigen neuen Anschauung sich einen breiten Raum zu erhalten oder gar sich eine eigne selbständige Zu¬ kunft zu erobern, das glauben wir nicht. Aber die Zeit dieser alten Anschauung ist noch nicht vorüber; sie hat sich noch auszuleben und unserm Staats- und Volksleben manches mitzuteilen, was sie besitzt. In der jetzigen Periode des Kampfes sind ihr und ihren Trägern, wie dies natürlich ist, manche Vorwürfe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/338>, abgerufen am 23.06.2024.