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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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vorwürfe und VorwLnde.

Bevorzugungen und Vorrechte nicht in Abrede zu stellen; aber das wird doch
wohl anerkannt werden müssen, daß dies alles keine Dinge sind, die jeder innern
Berechtigung entbehren, sondern daß eine ruhige, sachgemäße Besprechung den
Tadel auch da, wo er begründet sein kann, seiner Schärfen und Spitzen berauben
würde. Von alledem, was sich dem Großgrundbesitze (und besonders dem land-
sässigen Adel, dem sogenannten Junkertum) zum Vorwurf machen läßt, bleibt
also recht wenig übrig. Woher kommt es nun, daß gegen dieses Junkertum
mit so maßloser und vielfach ungerechter Erbitterung angekämpft wird, und daß
es eine Zeit gab, wo es als selbstverständlich galt, der "Junker" müsse als der
geschworne Feind aller modernen Kultur oder gar, wie Gambetta vom Kleri¬
kalismus sagte, als "der Feind" schlechthin betrachtet werden? wo der ebenso
einfältige wie eingebildete, dabei sittenlose, rohe und jeder Schandthat fähige
Junker eine stehende Figur in Kolportageromanen u. dergl. bildete, und jedes
"liberale" Winkelblättchen einen ganzen Berg von Gründen zu sagen glaubte,
sobald es nur das Wort "Junker" in seine Spalten schmierte? Nun, seien
wir billig: zum großen Teile war dies ein sehr natürlicher Bestandteil jenes
Gemisches von importirten, halbverstandenem Liberalismus, instiuktmäßigem
Bewußtsein von der UnHaltbarkeit der politischen Zustände, Haß gegen eine
rüde, verständnislose Polizei und gegen ein für ziemlich unnütz gehaltenes
Militürweseu, Ansätze zu politischen,, sozialem und religiösem Radikalis¬
mus und ähnlichen Bestandteilen, welches Gemisch noch in den fünfziger
Jahren in unserm öffentlichen Leben eine so große Rolle spielte. Man muß
sogar anerkennen, daß der Gegensatz gegen den adlichen Offizier und den
alle öffentlichen Stellungen begehrenden Gutsherrenstand noch zu den be¬
greiflichsten und verhältnismäßig wohlbegründetsten Teilen jener haßvollen,
mehr auf Zerstörung als auf Neuaufbau gerichteten Strömung gehörte.
Besonders die unklaren, aber umso glühenderen Verfechter des grundsätzlichen
Liberalismus mochten mit verhältnismäßig gutem Rechte einen grimmigen Haß
auf dieses Junkertum, welches allen reaktionären Neigungen der Negierung
seine Unterstützung lieh und sie dadurch in ihrer der nationalen und freiheit¬
lichen Sache feindlichen Haltung bestärkte, geworfen haben, und man kann
es wohl verstehen, daß selbst ein so harmloses Dichtergcmüt wie Theodor
Storm sich damals zu der Versicherung hinreißen ließ, dieses Junkertum bilde
uur die "Tropfen Gift, die uns im Blute gähren," und "es gehe mit dem Pöbel
zwar, doch niemals mit dem Volke." Das konnte man sagen von einem Stande,
welcher uns nicht nur einen Bismarck und einen Stein, sondern auch die Brüder
Humboldt und so viele andre Namen ersten Ranges gegeben hat, und welcher
denn doch immer noch den Kern der Männer liefert, die unsre Heere von Sieg
zu Sieg geführt haben!

Nun, jene Zeit ist vorüber; Begriffe und politische Bestrebungen haben sich
geklärt, und unser politisches Leben rechnet heute als mit einem seiner haupt-


Grenzbvten I. 1338. 42
vorwürfe und VorwLnde.

Bevorzugungen und Vorrechte nicht in Abrede zu stellen; aber das wird doch
wohl anerkannt werden müssen, daß dies alles keine Dinge sind, die jeder innern
Berechtigung entbehren, sondern daß eine ruhige, sachgemäße Besprechung den
Tadel auch da, wo er begründet sein kann, seiner Schärfen und Spitzen berauben
würde. Von alledem, was sich dem Großgrundbesitze (und besonders dem land-
sässigen Adel, dem sogenannten Junkertum) zum Vorwurf machen läßt, bleibt
also recht wenig übrig. Woher kommt es nun, daß gegen dieses Junkertum
mit so maßloser und vielfach ungerechter Erbitterung angekämpft wird, und daß
es eine Zeit gab, wo es als selbstverständlich galt, der „Junker" müsse als der
geschworne Feind aller modernen Kultur oder gar, wie Gambetta vom Kleri¬
kalismus sagte, als „der Feind" schlechthin betrachtet werden? wo der ebenso
einfältige wie eingebildete, dabei sittenlose, rohe und jeder Schandthat fähige
Junker eine stehende Figur in Kolportageromanen u. dergl. bildete, und jedes
„liberale" Winkelblättchen einen ganzen Berg von Gründen zu sagen glaubte,
sobald es nur das Wort „Junker" in seine Spalten schmierte? Nun, seien
wir billig: zum großen Teile war dies ein sehr natürlicher Bestandteil jenes
Gemisches von importirten, halbverstandenem Liberalismus, instiuktmäßigem
Bewußtsein von der UnHaltbarkeit der politischen Zustände, Haß gegen eine
rüde, verständnislose Polizei und gegen ein für ziemlich unnütz gehaltenes
Militürweseu, Ansätze zu politischen,, sozialem und religiösem Radikalis¬
mus und ähnlichen Bestandteilen, welches Gemisch noch in den fünfziger
Jahren in unserm öffentlichen Leben eine so große Rolle spielte. Man muß
sogar anerkennen, daß der Gegensatz gegen den adlichen Offizier und den
alle öffentlichen Stellungen begehrenden Gutsherrenstand noch zu den be¬
greiflichsten und verhältnismäßig wohlbegründetsten Teilen jener haßvollen,
mehr auf Zerstörung als auf Neuaufbau gerichteten Strömung gehörte.
Besonders die unklaren, aber umso glühenderen Verfechter des grundsätzlichen
Liberalismus mochten mit verhältnismäßig gutem Rechte einen grimmigen Haß
auf dieses Junkertum, welches allen reaktionären Neigungen der Negierung
seine Unterstützung lieh und sie dadurch in ihrer der nationalen und freiheit¬
lichen Sache feindlichen Haltung bestärkte, geworfen haben, und man kann
es wohl verstehen, daß selbst ein so harmloses Dichtergcmüt wie Theodor
Storm sich damals zu der Versicherung hinreißen ließ, dieses Junkertum bilde
uur die „Tropfen Gift, die uns im Blute gähren," und „es gehe mit dem Pöbel
zwar, doch niemals mit dem Volke." Das konnte man sagen von einem Stande,
welcher uns nicht nur einen Bismarck und einen Stein, sondern auch die Brüder
Humboldt und so viele andre Namen ersten Ranges gegeben hat, und welcher
denn doch immer noch den Kern der Männer liefert, die unsre Heere von Sieg
zu Sieg geführt haben!

Nun, jene Zeit ist vorüber; Begriffe und politische Bestrebungen haben sich
geklärt, und unser politisches Leben rechnet heute als mit einem seiner haupt-


Grenzbvten I. 1338. 42
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/337>, abgerufen am 23.06.2024.