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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Vorwürfe und vorwände.

besorgt worden wäre, kann man doch ebensowenig sagen, als daß unser Offizier¬
korps nichts tauge! Noch mehr: wer will behaupten, daß Erziehung, Stand
und Familie unsrer jungen Diplomaten für ihren Beruf oder für ihre besondre
Befähigung dazu gleichgiltig seien? Gerade hier ist doch jene gesellschaftliche
Sicherheit, jene volle Beherrschung der Formen, wie sie nnr der besten Gesell¬
schaft eigen sind, von der höchsten Wichtigkeit; und wer wird im Ernste in
Abrede stellen wollen, daß diese Eigenschaften bis zu einem gewissen Grade
erblich sein können, und daß die Glieder unsrer alten, landsässigen Adelsfamilien
sie zum Teil in seltener Vollkommenheit besitzen? Hier ist also die einfache
Wahrheit die, daß allerdings eine Bevorzugung vorliegt, daß sie aber durch
eine natürliche Beschaffenheit, ja vielfach auch durch eine entsprechende Be¬
gabung gerechtfertigt, und durch Eiukommenszuschüsse, welche außer unsern
Magnaten doch nur wenige Leute zu leisten vermögen, gleichsam erkauft
wird. Der Hofdienst ist allerdings einträglicher; dafür tritt aber hier die
Unerläßlichkeit feinster Formen und, sofern wir denn doch noch immer eine
erbliche Monarchie haben, die Rücksicht auf vornehme Geburt noch mehr in
den Vordergrund. Wer ernstlich die Monarchie will, der kann und darf
ihr auch diesen Schmuck der durch Träger adlicher Namen bekleideten Hof¬
ämter nicht nehmen. Daß im Offizierstande der Adel bevorzugt werde, ist
oft behauptet, aber nie bewiesen worden; wahr ist nur, daß die Offizier¬
korps eher geneigt sind, Leute in ihre Reihen aufzunehmen, deren Vater und
Großvater und vielleicht noch zahlreiche andre Verwandte gleichfalls, vielleicht
in demselben Regiment?, Offiziere gewesen sind, und daß diese Korps sich hierzu
durch die erfahrungsmäßige Wahrnehmung für berechtigt halten, bei diesen
Leuten sei eine überwiegend große Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß sie gute
Durchschuittsoffiziere abgeben werden. Es mag ja auch andre, an und für sich
berechtigte Standpunkte geben; aber so lange wir mit unserm Offizierkorps da,
wo es darauf ankommt, so gute Erfahrungen machen, so lange sollte man es
doch nicht allzu sehr tadeln, wenn eine ganz bestimmte Richtung dahin geht,
Art und Geist desselben so zu erhalten, wie sie einmal sind. Man gestatte uns
hierüber ein Gleichnis. Als auf ein Beispiel jener geheimnisvollen Zusammen¬
hänge, die im tierischen Organismus vorhanden zu sein scheinen, ist mehrfach
auf die eigentümliche Erscheinung aufmerksam gemacht worden, daß alle weißen
Katzen mit blauen Augen taub sind. Es mag an unserm Offizierkorps manches
besser und schöner sein können, als es ist. Aber wer verbürgt uns, daß nicht
bei Durchführung einer solchen Verbesserung sich auf einmal herausstellen könnte,
nunmehr sei die Katze allerdings wunderschön weiß und blauäugig, zugleich
aber leider -- taub geworden?

Hiermit ist unsers Wissens die Reihe der Bevorzugungen erschöpft, von
denen wohl gesprochen worden ist- Man kann hier nicht gerade sagen, daß es
sich um bloße "Vorwünde" handle, denn schließlich ist die Thatsache stattfindender


Vorwürfe und vorwände.

besorgt worden wäre, kann man doch ebensowenig sagen, als daß unser Offizier¬
korps nichts tauge! Noch mehr: wer will behaupten, daß Erziehung, Stand
und Familie unsrer jungen Diplomaten für ihren Beruf oder für ihre besondre
Befähigung dazu gleichgiltig seien? Gerade hier ist doch jene gesellschaftliche
Sicherheit, jene volle Beherrschung der Formen, wie sie nnr der besten Gesell¬
schaft eigen sind, von der höchsten Wichtigkeit; und wer wird im Ernste in
Abrede stellen wollen, daß diese Eigenschaften bis zu einem gewissen Grade
erblich sein können, und daß die Glieder unsrer alten, landsässigen Adelsfamilien
sie zum Teil in seltener Vollkommenheit besitzen? Hier ist also die einfache
Wahrheit die, daß allerdings eine Bevorzugung vorliegt, daß sie aber durch
eine natürliche Beschaffenheit, ja vielfach auch durch eine entsprechende Be¬
gabung gerechtfertigt, und durch Eiukommenszuschüsse, welche außer unsern
Magnaten doch nur wenige Leute zu leisten vermögen, gleichsam erkauft
wird. Der Hofdienst ist allerdings einträglicher; dafür tritt aber hier die
Unerläßlichkeit feinster Formen und, sofern wir denn doch noch immer eine
erbliche Monarchie haben, die Rücksicht auf vornehme Geburt noch mehr in
den Vordergrund. Wer ernstlich die Monarchie will, der kann und darf
ihr auch diesen Schmuck der durch Träger adlicher Namen bekleideten Hof¬
ämter nicht nehmen. Daß im Offizierstande der Adel bevorzugt werde, ist
oft behauptet, aber nie bewiesen worden; wahr ist nur, daß die Offizier¬
korps eher geneigt sind, Leute in ihre Reihen aufzunehmen, deren Vater und
Großvater und vielleicht noch zahlreiche andre Verwandte gleichfalls, vielleicht
in demselben Regiment?, Offiziere gewesen sind, und daß diese Korps sich hierzu
durch die erfahrungsmäßige Wahrnehmung für berechtigt halten, bei diesen
Leuten sei eine überwiegend große Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß sie gute
Durchschuittsoffiziere abgeben werden. Es mag ja auch andre, an und für sich
berechtigte Standpunkte geben; aber so lange wir mit unserm Offizierkorps da,
wo es darauf ankommt, so gute Erfahrungen machen, so lange sollte man es
doch nicht allzu sehr tadeln, wenn eine ganz bestimmte Richtung dahin geht,
Art und Geist desselben so zu erhalten, wie sie einmal sind. Man gestatte uns
hierüber ein Gleichnis. Als auf ein Beispiel jener geheimnisvollen Zusammen¬
hänge, die im tierischen Organismus vorhanden zu sein scheinen, ist mehrfach
auf die eigentümliche Erscheinung aufmerksam gemacht worden, daß alle weißen
Katzen mit blauen Augen taub sind. Es mag an unserm Offizierkorps manches
besser und schöner sein können, als es ist. Aber wer verbürgt uns, daß nicht
bei Durchführung einer solchen Verbesserung sich auf einmal herausstellen könnte,
nunmehr sei die Katze allerdings wunderschön weiß und blauäugig, zugleich
aber leider — taub geworden?

Hiermit ist unsers Wissens die Reihe der Bevorzugungen erschöpft, von
denen wohl gesprochen worden ist- Man kann hier nicht gerade sagen, daß es
sich um bloße „Vorwünde" handle, denn schließlich ist die Thatsache stattfindender


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[0336] Vorwürfe und vorwände. besorgt worden wäre, kann man doch ebensowenig sagen, als daß unser Offizier¬ korps nichts tauge! Noch mehr: wer will behaupten, daß Erziehung, Stand und Familie unsrer jungen Diplomaten für ihren Beruf oder für ihre besondre Befähigung dazu gleichgiltig seien? Gerade hier ist doch jene gesellschaftliche Sicherheit, jene volle Beherrschung der Formen, wie sie nnr der besten Gesell¬ schaft eigen sind, von der höchsten Wichtigkeit; und wer wird im Ernste in Abrede stellen wollen, daß diese Eigenschaften bis zu einem gewissen Grade erblich sein können, und daß die Glieder unsrer alten, landsässigen Adelsfamilien sie zum Teil in seltener Vollkommenheit besitzen? Hier ist also die einfache Wahrheit die, daß allerdings eine Bevorzugung vorliegt, daß sie aber durch eine natürliche Beschaffenheit, ja vielfach auch durch eine entsprechende Be¬ gabung gerechtfertigt, und durch Eiukommenszuschüsse, welche außer unsern Magnaten doch nur wenige Leute zu leisten vermögen, gleichsam erkauft wird. Der Hofdienst ist allerdings einträglicher; dafür tritt aber hier die Unerläßlichkeit feinster Formen und, sofern wir denn doch noch immer eine erbliche Monarchie haben, die Rücksicht auf vornehme Geburt noch mehr in den Vordergrund. Wer ernstlich die Monarchie will, der kann und darf ihr auch diesen Schmuck der durch Träger adlicher Namen bekleideten Hof¬ ämter nicht nehmen. Daß im Offizierstande der Adel bevorzugt werde, ist oft behauptet, aber nie bewiesen worden; wahr ist nur, daß die Offizier¬ korps eher geneigt sind, Leute in ihre Reihen aufzunehmen, deren Vater und Großvater und vielleicht noch zahlreiche andre Verwandte gleichfalls, vielleicht in demselben Regiment?, Offiziere gewesen sind, und daß diese Korps sich hierzu durch die erfahrungsmäßige Wahrnehmung für berechtigt halten, bei diesen Leuten sei eine überwiegend große Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß sie gute Durchschuittsoffiziere abgeben werden. Es mag ja auch andre, an und für sich berechtigte Standpunkte geben; aber so lange wir mit unserm Offizierkorps da, wo es darauf ankommt, so gute Erfahrungen machen, so lange sollte man es doch nicht allzu sehr tadeln, wenn eine ganz bestimmte Richtung dahin geht, Art und Geist desselben so zu erhalten, wie sie einmal sind. Man gestatte uns hierüber ein Gleichnis. Als auf ein Beispiel jener geheimnisvollen Zusammen¬ hänge, die im tierischen Organismus vorhanden zu sein scheinen, ist mehrfach auf die eigentümliche Erscheinung aufmerksam gemacht worden, daß alle weißen Katzen mit blauen Augen taub sind. Es mag an unserm Offizierkorps manches besser und schöner sein können, als es ist. Aber wer verbürgt uns, daß nicht bei Durchführung einer solchen Verbesserung sich auf einmal herausstellen könnte, nunmehr sei die Katze allerdings wunderschön weiß und blauäugig, zugleich aber leider — taub geworden? Hiermit ist unsers Wissens die Reihe der Bevorzugungen erschöpft, von denen wohl gesprochen worden ist- Man kann hier nicht gerade sagen, daß es sich um bloße „Vorwünde" handle, denn schließlich ist die Thatsache stattfindender

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/336>, abgerufen am 23.06.2024.