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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Vorwürfe und Vorwände.

Ostpreußen wenigstens nicht giebt; vielleicht in Schlesien und Posen, aber auch
jedenfalls nur vereinzelt.

Noch mehr scheint uns die Eigenschaft, wesentlich ein bloßer Vorwand
zu sein, zuzutreffen hinsichtlich der vielbehaupteten, aber sehr wenig nachge¬
wiesenen Bevorzugungen, deren angeblich die Träger cidlicher Namen sich zu
erfreuen haben. Außer den Sonderrechten der Standesherren, die auf inter¬
nationalen Verträgen beruhen und also ohne grobe Rechtsverletzung gar nicht
zu beseitigen sind, giebt es unsers Wissens auf diesem Gebiete nichts Reelles
als die Mitgliedschaft beim preußischen Herrenhause, die einer Anzahl von
adlichen gutsherrlichen Familien teils als solchen, teils als Besitzern gewisser
großer Herrschaften eingeräumt worden ist, und die Bevorzugung beim diplo¬
matischen und beim Hofdienst. Die Herrenhausmitgliedschaft stellt allerdings
ein politisches Vorrecht dar, welches unter Umständen von nicht geringem Ge¬
wichte sein kann, und gegen welches theoretische und praktische Bedenken in
Menge vorzubringen sein mögen. Jedenfalls aber ist dieses Verhältnis bis auf
weiteres Rechtens, und daß sich nichts zu seiner Rechtfertigung vorbringen
ließe, kann man am Ende nicht sagen; wenn irgend jemand, so ist doch sicher¬
lich der Träger einer seit Jahrhunderten auf einem herrschaftlichen Gute an¬
gesessenen und mit der Geschichte des betreffenden Landstriches eng verflochtenen
Familie an dem bleibenden Gedeihen dieses Landstriches interessirt, und wenn
man schon einmal den romantischen Gedanken verwirklichen wollte, den alten
historischen Familien einen verfassungsrechtlichen Einfluß auf die Verhältnisse des
Staates zu gewähren, so mußte man nehmen, was da war. Auch kann man zwar
den Geist, in dem dieses Recht ausgeübt wurde, unzeitgemäß und nicht selten auch
kleinlich und einseitig nennen, aber daß diese Familien wahre Herde patriotischer,
staatstreuer, von einem patriarchalischen Standpunkte aus auch sittlich hochacht¬
barer Gesinnung sind, wert der von ihnen geführten, von der brandenburgisch-
Preußischen Geschichte doch nun einmal nicht zu trennenden Namen, das sollte
man doch billigerweise ebenso wenig vergessen wie den Umstand, daß die geschicht¬
liche Entwicklung bis jetzt der Haltung des Herrenhauses eher als der zuweilen
vom Abgeordnetenhause eingenommenen das Plaeet erteilt hat. Diäten beziehen
die Herrenhausmitglieder nicht, und doch sind mit der Ausübung ihrer gesetz¬
geberischen Befugnisse manche Kosten verbunden -- sie haben also diese Befugnisse
nicht "umsonst"; allerdings sind ja diese Herren, wie überhaupt die Fidcikommiß-
inhaber, durchgehends in glänzender Lage (man wird sagen dürfen, daß sie den
überwiegenden Teil der Landwirte bilden, welche unter der "Not der Zeit"
nicht schwer zu leiden haben), aber manche werden durch diese und andre "Ehren¬
ausgaben" doch härter gedrückt, als ihnen lieb ist. Von der Bevorzugung im
diplomatischen Dienste läßt sich ähnliches in noch viel höherem Maße sagen;
nach der pekuniären Seite hin stellt sie thatsächlich ein Recht dar, sich für
den Staat ruiniren zu dürfen. Nun, und daß der diplomatische Dienst schlecht


Vorwürfe und Vorwände.

Ostpreußen wenigstens nicht giebt; vielleicht in Schlesien und Posen, aber auch
jedenfalls nur vereinzelt.

Noch mehr scheint uns die Eigenschaft, wesentlich ein bloßer Vorwand
zu sein, zuzutreffen hinsichtlich der vielbehaupteten, aber sehr wenig nachge¬
wiesenen Bevorzugungen, deren angeblich die Träger cidlicher Namen sich zu
erfreuen haben. Außer den Sonderrechten der Standesherren, die auf inter¬
nationalen Verträgen beruhen und also ohne grobe Rechtsverletzung gar nicht
zu beseitigen sind, giebt es unsers Wissens auf diesem Gebiete nichts Reelles
als die Mitgliedschaft beim preußischen Herrenhause, die einer Anzahl von
adlichen gutsherrlichen Familien teils als solchen, teils als Besitzern gewisser
großer Herrschaften eingeräumt worden ist, und die Bevorzugung beim diplo¬
matischen und beim Hofdienst. Die Herrenhausmitgliedschaft stellt allerdings
ein politisches Vorrecht dar, welches unter Umständen von nicht geringem Ge¬
wichte sein kann, und gegen welches theoretische und praktische Bedenken in
Menge vorzubringen sein mögen. Jedenfalls aber ist dieses Verhältnis bis auf
weiteres Rechtens, und daß sich nichts zu seiner Rechtfertigung vorbringen
ließe, kann man am Ende nicht sagen; wenn irgend jemand, so ist doch sicher¬
lich der Träger einer seit Jahrhunderten auf einem herrschaftlichen Gute an¬
gesessenen und mit der Geschichte des betreffenden Landstriches eng verflochtenen
Familie an dem bleibenden Gedeihen dieses Landstriches interessirt, und wenn
man schon einmal den romantischen Gedanken verwirklichen wollte, den alten
historischen Familien einen verfassungsrechtlichen Einfluß auf die Verhältnisse des
Staates zu gewähren, so mußte man nehmen, was da war. Auch kann man zwar
den Geist, in dem dieses Recht ausgeübt wurde, unzeitgemäß und nicht selten auch
kleinlich und einseitig nennen, aber daß diese Familien wahre Herde patriotischer,
staatstreuer, von einem patriarchalischen Standpunkte aus auch sittlich hochacht¬
barer Gesinnung sind, wert der von ihnen geführten, von der brandenburgisch-
Preußischen Geschichte doch nun einmal nicht zu trennenden Namen, das sollte
man doch billigerweise ebenso wenig vergessen wie den Umstand, daß die geschicht¬
liche Entwicklung bis jetzt der Haltung des Herrenhauses eher als der zuweilen
vom Abgeordnetenhause eingenommenen das Plaeet erteilt hat. Diäten beziehen
die Herrenhausmitglieder nicht, und doch sind mit der Ausübung ihrer gesetz¬
geberischen Befugnisse manche Kosten verbunden — sie haben also diese Befugnisse
nicht „umsonst"; allerdings sind ja diese Herren, wie überhaupt die Fidcikommiß-
inhaber, durchgehends in glänzender Lage (man wird sagen dürfen, daß sie den
überwiegenden Teil der Landwirte bilden, welche unter der „Not der Zeit"
nicht schwer zu leiden haben), aber manche werden durch diese und andre „Ehren¬
ausgaben" doch härter gedrückt, als ihnen lieb ist. Von der Bevorzugung im
diplomatischen Dienste läßt sich ähnliches in noch viel höherem Maße sagen;
nach der pekuniären Seite hin stellt sie thatsächlich ein Recht dar, sich für
den Staat ruiniren zu dürfen. Nun, und daß der diplomatische Dienst schlecht


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[0335] Vorwürfe und Vorwände. Ostpreußen wenigstens nicht giebt; vielleicht in Schlesien und Posen, aber auch jedenfalls nur vereinzelt. Noch mehr scheint uns die Eigenschaft, wesentlich ein bloßer Vorwand zu sein, zuzutreffen hinsichtlich der vielbehaupteten, aber sehr wenig nachge¬ wiesenen Bevorzugungen, deren angeblich die Träger cidlicher Namen sich zu erfreuen haben. Außer den Sonderrechten der Standesherren, die auf inter¬ nationalen Verträgen beruhen und also ohne grobe Rechtsverletzung gar nicht zu beseitigen sind, giebt es unsers Wissens auf diesem Gebiete nichts Reelles als die Mitgliedschaft beim preußischen Herrenhause, die einer Anzahl von adlichen gutsherrlichen Familien teils als solchen, teils als Besitzern gewisser großer Herrschaften eingeräumt worden ist, und die Bevorzugung beim diplo¬ matischen und beim Hofdienst. Die Herrenhausmitgliedschaft stellt allerdings ein politisches Vorrecht dar, welches unter Umständen von nicht geringem Ge¬ wichte sein kann, und gegen welches theoretische und praktische Bedenken in Menge vorzubringen sein mögen. Jedenfalls aber ist dieses Verhältnis bis auf weiteres Rechtens, und daß sich nichts zu seiner Rechtfertigung vorbringen ließe, kann man am Ende nicht sagen; wenn irgend jemand, so ist doch sicher¬ lich der Träger einer seit Jahrhunderten auf einem herrschaftlichen Gute an¬ gesessenen und mit der Geschichte des betreffenden Landstriches eng verflochtenen Familie an dem bleibenden Gedeihen dieses Landstriches interessirt, und wenn man schon einmal den romantischen Gedanken verwirklichen wollte, den alten historischen Familien einen verfassungsrechtlichen Einfluß auf die Verhältnisse des Staates zu gewähren, so mußte man nehmen, was da war. Auch kann man zwar den Geist, in dem dieses Recht ausgeübt wurde, unzeitgemäß und nicht selten auch kleinlich und einseitig nennen, aber daß diese Familien wahre Herde patriotischer, staatstreuer, von einem patriarchalischen Standpunkte aus auch sittlich hochacht¬ barer Gesinnung sind, wert der von ihnen geführten, von der brandenburgisch- Preußischen Geschichte doch nun einmal nicht zu trennenden Namen, das sollte man doch billigerweise ebenso wenig vergessen wie den Umstand, daß die geschicht¬ liche Entwicklung bis jetzt der Haltung des Herrenhauses eher als der zuweilen vom Abgeordnetenhause eingenommenen das Plaeet erteilt hat. Diäten beziehen die Herrenhausmitglieder nicht, und doch sind mit der Ausübung ihrer gesetz¬ geberischen Befugnisse manche Kosten verbunden — sie haben also diese Befugnisse nicht „umsonst"; allerdings sind ja diese Herren, wie überhaupt die Fidcikommiß- inhaber, durchgehends in glänzender Lage (man wird sagen dürfen, daß sie den überwiegenden Teil der Landwirte bilden, welche unter der „Not der Zeit" nicht schwer zu leiden haben), aber manche werden durch diese und andre „Ehren¬ ausgaben" doch härter gedrückt, als ihnen lieb ist. Von der Bevorzugung im diplomatischen Dienste läßt sich ähnliches in noch viel höherem Maße sagen; nach der pekuniären Seite hin stellt sie thatsächlich ein Recht dar, sich für den Staat ruiniren zu dürfen. Nun, und daß der diplomatische Dienst schlecht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/335>, abgerufen am 23.06.2024.