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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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vorwürfe und vorwände.

Grenze hat, da in rauhem Klima und bei dürrem Sandboden manchmal ganz
stattliche Terrains dazu gehören, um einen rationellen Wirtschaftsbetrieb nur
überhaupt zu ermöglichen); finden sich nun da kauflustige und kauffähige Leute,
so wird, wie wir schon andeuteten, vielleicht mit Ausnahme eines kleinen Bruch¬
teiles starrer Aristokraten oder sehr fest an ihrem Familienbcsitze hängender
Leute, jeder Großgrundbesitzer von Herzen froh sein und wird mit tausend
Freuden drauflos verkaufen, auch seiue Hilfe zur Begründung von Gemeinden
sehr gern gewähren, denn er steigert ja dadurch den Wert des ihm bleibenden
Besitzes ungemein, er verbessert die Arbeiterverhältnisse, er hebt gesellschaftlich
und wirtschaftlich die ganze Gegend, und mit den Preisen, die in Posen und
Westpreußen erzielt werden, wird auch er wohl zufrieden sein. Aber wird dann noch
ein Überschuß von Nachfrage bleiben? Und wird ohne unmittelbares Eingreifen
der Regierung dieser Überschuß sich gerade nach Pommern, Ostpreußen u, s. w.
wenden? Und wird die Negierung in ähnlicher Weise wie in Westpreußen und
Posen ihren ganzen Verwaltungsorganismus in den Dienst eines solchen Unter¬
nehmens stellen? Wir nehmen es auf uns, im Namen des Großgrundbesitzes
in den Nordvstprovinzen die Versicherung zu geben, daß, wen" diese drei Fragen
bejaht werden können, es an der eifrigsten und entgegenkommendster Thätig¬
keit dieses Großgrundbesitzes für das neue Kolouisationsgebiet nicht fehlen
soll! Aber ist es nicht unbillig, dem Großgrundbesitze etwas zuzumuten,
wofür die Regierung eben jetzt unter außerordentlichen Umständen ihre ganze
Kraft einsetzt, und ihn bitter zu tadeln, weil er nicht Hunderttausende von Ko¬
lonisten herbeizieht und ihnen Land anweist? "Bedenkt, was gehen und stehen
mag!" -- Eins ist richtig: nach der Seite hin, die eignen Dienstleute zu kleinen
Eigentümern und damit gleichsam zu Mitiuteressenten des Gutsbetriebes zu
macheu, in der Weise, wie dies der verstorbene Neumann-Posegnik nicht ohne
Erfolg versucht hat und wie es sich in deu Gegenden mit deutscher Arbeiterbevöl¬
kerung anch vielfach wohl ausführen lassen wird, könnte mehr geschehen. Freilich
ist dies auch unter den günstigsten Umständen eine schwierige Aufgabe, welche
die ganze sittliche Kraft eines Mannes in Anspruch nimmt, und man kann
schließlich unsern Großgrundbesitzern so wenig einen großen Vorwurf daraus
machen, daß hier nicht mehr geleistet geworden ist, als unsern Fabrikbesitzern
daraus, daß sie nicht in Errichtung von Arbeiterhäusern, in Pflege der Arbciter-
gewinnbeteiligung :c. große Leistungen auszuweisen haben; gleichwohl muß
anerkannt werdeu, daß hier etwas geschehen könnte und sollte und nur wenig ge¬
schehe" ist. Dies bleibt ein gerechtfertigter Vorwurf; die Beschwerde über unter¬
bliebene förmliche Kolonisation aber ist nur ein Vorwand, dessen die grundsätz¬
liche Feindseligkeit gegen den Großgrundbesitz als solchen sich bedient.

Auf einem ganz ähnlichen Blatte stehen die Angriffe gegen die Fidei-
kommisse. Die Sache ist, darüber braucht man nicht zu streiten, bedenklich
und nur in bescheidenem Umfange zulässig. Indessen fehlt es doch keineswegs so


vorwürfe und vorwände.

Grenze hat, da in rauhem Klima und bei dürrem Sandboden manchmal ganz
stattliche Terrains dazu gehören, um einen rationellen Wirtschaftsbetrieb nur
überhaupt zu ermöglichen); finden sich nun da kauflustige und kauffähige Leute,
so wird, wie wir schon andeuteten, vielleicht mit Ausnahme eines kleinen Bruch¬
teiles starrer Aristokraten oder sehr fest an ihrem Familienbcsitze hängender
Leute, jeder Großgrundbesitzer von Herzen froh sein und wird mit tausend
Freuden drauflos verkaufen, auch seiue Hilfe zur Begründung von Gemeinden
sehr gern gewähren, denn er steigert ja dadurch den Wert des ihm bleibenden
Besitzes ungemein, er verbessert die Arbeiterverhältnisse, er hebt gesellschaftlich
und wirtschaftlich die ganze Gegend, und mit den Preisen, die in Posen und
Westpreußen erzielt werden, wird auch er wohl zufrieden sein. Aber wird dann noch
ein Überschuß von Nachfrage bleiben? Und wird ohne unmittelbares Eingreifen
der Regierung dieser Überschuß sich gerade nach Pommern, Ostpreußen u, s. w.
wenden? Und wird die Negierung in ähnlicher Weise wie in Westpreußen und
Posen ihren ganzen Verwaltungsorganismus in den Dienst eines solchen Unter¬
nehmens stellen? Wir nehmen es auf uns, im Namen des Großgrundbesitzes
in den Nordvstprovinzen die Versicherung zu geben, daß, wen» diese drei Fragen
bejaht werden können, es an der eifrigsten und entgegenkommendster Thätig¬
keit dieses Großgrundbesitzes für das neue Kolouisationsgebiet nicht fehlen
soll! Aber ist es nicht unbillig, dem Großgrundbesitze etwas zuzumuten,
wofür die Regierung eben jetzt unter außerordentlichen Umständen ihre ganze
Kraft einsetzt, und ihn bitter zu tadeln, weil er nicht Hunderttausende von Ko¬
lonisten herbeizieht und ihnen Land anweist? „Bedenkt, was gehen und stehen
mag!" — Eins ist richtig: nach der Seite hin, die eignen Dienstleute zu kleinen
Eigentümern und damit gleichsam zu Mitiuteressenten des Gutsbetriebes zu
macheu, in der Weise, wie dies der verstorbene Neumann-Posegnik nicht ohne
Erfolg versucht hat und wie es sich in deu Gegenden mit deutscher Arbeiterbevöl¬
kerung anch vielfach wohl ausführen lassen wird, könnte mehr geschehen. Freilich
ist dies auch unter den günstigsten Umständen eine schwierige Aufgabe, welche
die ganze sittliche Kraft eines Mannes in Anspruch nimmt, und man kann
schließlich unsern Großgrundbesitzern so wenig einen großen Vorwurf daraus
machen, daß hier nicht mehr geleistet geworden ist, als unsern Fabrikbesitzern
daraus, daß sie nicht in Errichtung von Arbeiterhäusern, in Pflege der Arbciter-
gewinnbeteiligung :c. große Leistungen auszuweisen haben; gleichwohl muß
anerkannt werdeu, daß hier etwas geschehen könnte und sollte und nur wenig ge¬
schehe» ist. Dies bleibt ein gerechtfertigter Vorwurf; die Beschwerde über unter¬
bliebene förmliche Kolonisation aber ist nur ein Vorwand, dessen die grundsätz¬
liche Feindseligkeit gegen den Großgrundbesitz als solchen sich bedient.

Auf einem ganz ähnlichen Blatte stehen die Angriffe gegen die Fidei-
kommisse. Die Sache ist, darüber braucht man nicht zu streiten, bedenklich
und nur in bescheidenem Umfange zulässig. Indessen fehlt es doch keineswegs so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/333>, abgerufen am 23.06.2024.