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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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vorwürfe und vorwände.

nur einen Vorwand darstellt, durch den man den gegenwärtigen Großgrundbesitz der
Unfähigkeit überführen will; wir meinen die Beschwerde darüber, daß nicht in
unsern östlichen Provinzen in ausgedehnterem Maße lolonisirt werde, und daß nicht
die Großgrundbesitzer aus eignem Antriebe alles aufbiete", um einen recht zahl¬
reichen Stand von Kleinbauern zu schaffen. Es ließe sich ja ein nicht schlechter¬
dings unzulässiger Standpunkt denken, von dem ans ein Großgrundbesitzer die
Erhaltung größerer und infolge dessen oft auch leistungsfähigerer Besitzungen
für wichtiger halten könnte als die Schaffung vieler kleiner, oder von dem aus er
es vor allem als seine Aufgabe bezeichnen könnte, den ererbten Besitz in unge¬
schmälerten Stande seiner Familie zu hinterlassen. Aber hier liegen die Dinge
in Wirklichkeit so, daß zu derartigen Verteidignngsmitteln gar nicht gegriffen,
sondern ans diesen ganzen Vorwurf oder vielmehr Tadelsvorwaud einfach ge¬
antwortet werden kann, es gebe sicherlich im ganzen deutschen Nordosten nicht
fünfzig Großgrundbesitzer, die nicht mit beiden Händen zugreifen würden, einen
Teil ihrer Güter in kleine bäuerliche Besitzungen zu verwandeln, aber unmög¬
lich könne den Großgrundbesitzern zugemutet werden, von sich aus die Be¬
dingungen zu schaffen, die ein solches Vorgehen nur äußerlich ausführbar, ge¬
schweige denn zweckmüßig, sozial segensreich und wirtschaftlich gewinnbringend
machen könnten. Man bedenke doch, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse aus¬
gedehnter Landesteile nicht von der Willkür einzelner abhängen, sondern einen
Organismus bilden, der sich vielleicht beeinflussen und selbst von Grund ans
ändern läßt, aber dann doch nur mit den planmäßig und andauernd angewen¬
deten Mitteln des Staates. Der Betrieb von Milchwirtschaft, der Bau von
Gemüse:e. ist abhängig von der in den vorhandenen Städten und Städtchen ge¬
gebenen Verbrauchsfähigkeit; daran vermag auch der größte unsrer angeblichen
"Latifundienbesitzer" nichts zu ändern. Wäre es möglich, so ohne weiteres Handels¬
gewächse in ansehnlichem Umfange anzubauen, so würde dies ohne Zweifel der
größere Besitzer selbst thun, und würde dies viel eher können, als ein neu angesie¬
delter Kleinbesitzer. Demnach bleibt kaum etwas andres übrig, als förmliche kleine
Vauernstellen neu zu schaffen. Es mag sein, daß dies in sozialer Hinsicht ein
Vorteil wäre, ob aber eine Mehrproduktion von Getreide, die man doch von
einer intensiverer Bewirtschaftung durch Kleinbesitzer hofft und die auch we¬
nigstens möglich ist, gerade in jetziger Zeit für unsre Landwirtschaft von großem
Segen wäre, daran ist es immerhin erlaubt zu zweifeln. Vor allem aber: Wo
sollten diese Kolonisten herkommen? Es ist ohne Zweifel im heutigen Deutsch¬
land eine gewisse Menge von Leuten vorhanden, die nach bäuerlichen Besitzungen
Umschau halten, und es erscheint auch uns höchst erfreulich, daß diesen jetzt in den
früher polnischen Landesteilen Gelegenheit dazu dargeboten wird; nun, da wird
Platz gemacht, indem die bisherigen Besitzer ausgekauft werden. In Ostpreußen,
Pommern :c. kann, wie wir ohne weiteres überzeugt sind, auch Platz geschaffen
werden, indem man die ländlichen Besitzungen verkleinert (wiewohl dies seine


vorwürfe und vorwände.

nur einen Vorwand darstellt, durch den man den gegenwärtigen Großgrundbesitz der
Unfähigkeit überführen will; wir meinen die Beschwerde darüber, daß nicht in
unsern östlichen Provinzen in ausgedehnterem Maße lolonisirt werde, und daß nicht
die Großgrundbesitzer aus eignem Antriebe alles aufbiete», um einen recht zahl¬
reichen Stand von Kleinbauern zu schaffen. Es ließe sich ja ein nicht schlechter¬
dings unzulässiger Standpunkt denken, von dem ans ein Großgrundbesitzer die
Erhaltung größerer und infolge dessen oft auch leistungsfähigerer Besitzungen
für wichtiger halten könnte als die Schaffung vieler kleiner, oder von dem aus er
es vor allem als seine Aufgabe bezeichnen könnte, den ererbten Besitz in unge¬
schmälerten Stande seiner Familie zu hinterlassen. Aber hier liegen die Dinge
in Wirklichkeit so, daß zu derartigen Verteidignngsmitteln gar nicht gegriffen,
sondern ans diesen ganzen Vorwurf oder vielmehr Tadelsvorwaud einfach ge¬
antwortet werden kann, es gebe sicherlich im ganzen deutschen Nordosten nicht
fünfzig Großgrundbesitzer, die nicht mit beiden Händen zugreifen würden, einen
Teil ihrer Güter in kleine bäuerliche Besitzungen zu verwandeln, aber unmög¬
lich könne den Großgrundbesitzern zugemutet werden, von sich aus die Be¬
dingungen zu schaffen, die ein solches Vorgehen nur äußerlich ausführbar, ge¬
schweige denn zweckmüßig, sozial segensreich und wirtschaftlich gewinnbringend
machen könnten. Man bedenke doch, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse aus¬
gedehnter Landesteile nicht von der Willkür einzelner abhängen, sondern einen
Organismus bilden, der sich vielleicht beeinflussen und selbst von Grund ans
ändern läßt, aber dann doch nur mit den planmäßig und andauernd angewen¬
deten Mitteln des Staates. Der Betrieb von Milchwirtschaft, der Bau von
Gemüse:e. ist abhängig von der in den vorhandenen Städten und Städtchen ge¬
gebenen Verbrauchsfähigkeit; daran vermag auch der größte unsrer angeblichen
„Latifundienbesitzer" nichts zu ändern. Wäre es möglich, so ohne weiteres Handels¬
gewächse in ansehnlichem Umfange anzubauen, so würde dies ohne Zweifel der
größere Besitzer selbst thun, und würde dies viel eher können, als ein neu angesie¬
delter Kleinbesitzer. Demnach bleibt kaum etwas andres übrig, als förmliche kleine
Vauernstellen neu zu schaffen. Es mag sein, daß dies in sozialer Hinsicht ein
Vorteil wäre, ob aber eine Mehrproduktion von Getreide, die man doch von
einer intensiverer Bewirtschaftung durch Kleinbesitzer hofft und die auch we¬
nigstens möglich ist, gerade in jetziger Zeit für unsre Landwirtschaft von großem
Segen wäre, daran ist es immerhin erlaubt zu zweifeln. Vor allem aber: Wo
sollten diese Kolonisten herkommen? Es ist ohne Zweifel im heutigen Deutsch¬
land eine gewisse Menge von Leuten vorhanden, die nach bäuerlichen Besitzungen
Umschau halten, und es erscheint auch uns höchst erfreulich, daß diesen jetzt in den
früher polnischen Landesteilen Gelegenheit dazu dargeboten wird; nun, da wird
Platz gemacht, indem die bisherigen Besitzer ausgekauft werden. In Ostpreußen,
Pommern :c. kann, wie wir ohne weiteres überzeugt sind, auch Platz geschaffen
werden, indem man die ländlichen Besitzungen verkleinert (wiewohl dies seine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/332>, abgerufen am 23.06.2024.