Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
vorwürfe und Vorwände.

sie hierbei nicht nur den allgemeinen Grund des innerlich notwendigen Kampfes
zweier Weltanschauungen für sich hat, von denen sie die jüngere und insofern auch
ciusfichtsvollere und besser berechtigte ist, sondern daß von ihr in diesem Kampfe
auch viele und gute Einzelgründe geltend gemacht werden können. Die Frage,
ob nicht von der alten Weltanschauung manches erhalten und herübergenommen
werden kann, muß allerdings mindestens eine offene bleiben; aber daß diese An¬
schauung sich als solche nicht aufrecht erhalten läßt, und in der That auch heute
schon nur noch ruinenhaft vorhanden ist und mit jedem Jahre mehr in
Trümmer sinkt, das läßt sich nicht nur vom Partei-, sondern auch von einem
allgemeinen philosophischen Standpunkte aus als Thatsache bezeichnen, und damit
gewinnt denn auch der Kampf gegen manche an das Alte sich knüpfenden Einzeler¬
scheinungen erst die richtige Beleuchtung. Sonderbar und peinlich ist es nur, daß
man auch hier, wie so oft im öffentlichen Leben, nicht aufrichtig zu Werke geht, und
sich nicht damit begnügt, zu sagen, was man will und warum man es will, sondern
nach allerhand Vorwänden sucht, mit denen man die Sache der neuen Anschauung
noch besser, die der alten noch schlechter machen will, sodaß ein Kampf, der
großartig und edel sein könnte, sich in so vielen Punkten in kleinliche, gehässige
Zänkereien auflöst, bei denen der entscheidende Gesichtspunkt nur zu oft aus
den Augen verloren wird. Schwer anfechtbar würde es ja sein, wenn die Ver¬
treter der neuen Anschauung etwa folgendermaßen sprächen: "In einer Zeit so
ungeheuer erleichterten Verkehrs und verallgemeinerter Bildungsmittel wie der
unsrigen, läßt sich nun einmal ein Standpunkt, der in der Scholle und in der
Pflege gewohnheitsmäßiger Beziehungen der Menschen zu einander, sowie in dem
Bestehen auf religiösen, sittlichen und staatlichen Begriffen wurzelt, die eben doch
zu einem Teile überwunden sind, nicht aufrecht erhalten, und Leute, welche mit
dem Bewußtsein erfüllt sind, daß sie gerade die Aufgabe dieser Aufrechter¬
haltung haben, müssen insofern als Feinde einer gesunden, zeitgemäßen Ent¬
wicklung betrachtet und behandelt werden, mögen auch ihre Beweggründe im
einzelnen noch so achtbar, selbst edel sein. Besäßen diese Leute einen genialen
Schwung, welcher es ermöglichte, die alten Ideen mit den neuen zu verschmelzen,
so wäre das etwas andres, und es ließe sich dann eher über die Herübernahme
mancher ihnen eigentümlichen Gesichtspunkte reden; aber im Gegenteil -- durch-
gehends reicht die besondre Begabung dieses alten landsässigen Adels und der
mit ihm auf gleicher Linie stehenden Rittergutsbesitzer gerade nur weit genug,
um sie erkennen zu lassen, daß ihr im ganzen eben doch unhaltbarer Stand¬
punkt teilweise berechtigt ist, und sie zur Aufhäufung aller Widerstandsmittel
gegen die neue Entwicklung, die irgendwie aufzutreiben sind, sowie zur Auf¬
suchung und Gewinnung von Bundesgenossen (sei es auch der bedenklichsten Art)
zu befähigen. Noch mehr: sie halten gerade den jetzigen Zeitpunkt für geeignet,
um ihre Besonderheit aufs schärfste auszubilden, um den feinen Punkt ihrer
Stellung zu der monarchischen Grundlage unsers Staatswesens aufs äußerste


vorwürfe und Vorwände.

sie hierbei nicht nur den allgemeinen Grund des innerlich notwendigen Kampfes
zweier Weltanschauungen für sich hat, von denen sie die jüngere und insofern auch
ciusfichtsvollere und besser berechtigte ist, sondern daß von ihr in diesem Kampfe
auch viele und gute Einzelgründe geltend gemacht werden können. Die Frage,
ob nicht von der alten Weltanschauung manches erhalten und herübergenommen
werden kann, muß allerdings mindestens eine offene bleiben; aber daß diese An¬
schauung sich als solche nicht aufrecht erhalten läßt, und in der That auch heute
schon nur noch ruinenhaft vorhanden ist und mit jedem Jahre mehr in
Trümmer sinkt, das läßt sich nicht nur vom Partei-, sondern auch von einem
allgemeinen philosophischen Standpunkte aus als Thatsache bezeichnen, und damit
gewinnt denn auch der Kampf gegen manche an das Alte sich knüpfenden Einzeler¬
scheinungen erst die richtige Beleuchtung. Sonderbar und peinlich ist es nur, daß
man auch hier, wie so oft im öffentlichen Leben, nicht aufrichtig zu Werke geht, und
sich nicht damit begnügt, zu sagen, was man will und warum man es will, sondern
nach allerhand Vorwänden sucht, mit denen man die Sache der neuen Anschauung
noch besser, die der alten noch schlechter machen will, sodaß ein Kampf, der
großartig und edel sein könnte, sich in so vielen Punkten in kleinliche, gehässige
Zänkereien auflöst, bei denen der entscheidende Gesichtspunkt nur zu oft aus
den Augen verloren wird. Schwer anfechtbar würde es ja sein, wenn die Ver¬
treter der neuen Anschauung etwa folgendermaßen sprächen: „In einer Zeit so
ungeheuer erleichterten Verkehrs und verallgemeinerter Bildungsmittel wie der
unsrigen, läßt sich nun einmal ein Standpunkt, der in der Scholle und in der
Pflege gewohnheitsmäßiger Beziehungen der Menschen zu einander, sowie in dem
Bestehen auf religiösen, sittlichen und staatlichen Begriffen wurzelt, die eben doch
zu einem Teile überwunden sind, nicht aufrecht erhalten, und Leute, welche mit
dem Bewußtsein erfüllt sind, daß sie gerade die Aufgabe dieser Aufrechter¬
haltung haben, müssen insofern als Feinde einer gesunden, zeitgemäßen Ent¬
wicklung betrachtet und behandelt werden, mögen auch ihre Beweggründe im
einzelnen noch so achtbar, selbst edel sein. Besäßen diese Leute einen genialen
Schwung, welcher es ermöglichte, die alten Ideen mit den neuen zu verschmelzen,
so wäre das etwas andres, und es ließe sich dann eher über die Herübernahme
mancher ihnen eigentümlichen Gesichtspunkte reden; aber im Gegenteil — durch-
gehends reicht die besondre Begabung dieses alten landsässigen Adels und der
mit ihm auf gleicher Linie stehenden Rittergutsbesitzer gerade nur weit genug,
um sie erkennen zu lassen, daß ihr im ganzen eben doch unhaltbarer Stand¬
punkt teilweise berechtigt ist, und sie zur Aufhäufung aller Widerstandsmittel
gegen die neue Entwicklung, die irgendwie aufzutreiben sind, sowie zur Auf¬
suchung und Gewinnung von Bundesgenossen (sei es auch der bedenklichsten Art)
zu befähigen. Noch mehr: sie halten gerade den jetzigen Zeitpunkt für geeignet,
um ihre Besonderheit aufs schärfste auszubilden, um den feinen Punkt ihrer
Stellung zu der monarchischen Grundlage unsers Staatswesens aufs äußerste


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0330" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202429"/>
          <fw type="header" place="top"> vorwürfe und Vorwände.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1224" prev="#ID_1223" next="#ID_1225"> sie hierbei nicht nur den allgemeinen Grund des innerlich notwendigen Kampfes<lb/>
zweier Weltanschauungen für sich hat, von denen sie die jüngere und insofern auch<lb/>
ciusfichtsvollere und besser berechtigte ist, sondern daß von ihr in diesem Kampfe<lb/>
auch viele und gute Einzelgründe geltend gemacht werden können. Die Frage,<lb/>
ob nicht von der alten Weltanschauung manches erhalten und herübergenommen<lb/>
werden kann, muß allerdings mindestens eine offene bleiben; aber daß diese An¬<lb/>
schauung sich als solche nicht aufrecht erhalten läßt, und in der That auch heute<lb/>
schon nur noch ruinenhaft vorhanden ist und mit jedem Jahre mehr in<lb/>
Trümmer sinkt, das läßt sich nicht nur vom Partei-, sondern auch von einem<lb/>
allgemeinen philosophischen Standpunkte aus als Thatsache bezeichnen, und damit<lb/>
gewinnt denn auch der Kampf gegen manche an das Alte sich knüpfenden Einzeler¬<lb/>
scheinungen erst die richtige Beleuchtung. Sonderbar und peinlich ist es nur, daß<lb/>
man auch hier, wie so oft im öffentlichen Leben, nicht aufrichtig zu Werke geht, und<lb/>
sich nicht damit begnügt, zu sagen, was man will und warum man es will, sondern<lb/>
nach allerhand Vorwänden sucht, mit denen man die Sache der neuen Anschauung<lb/>
noch besser, die der alten noch schlechter machen will, sodaß ein Kampf, der<lb/>
großartig und edel sein könnte, sich in so vielen Punkten in kleinliche, gehässige<lb/>
Zänkereien auflöst, bei denen der entscheidende Gesichtspunkt nur zu oft aus<lb/>
den Augen verloren wird. Schwer anfechtbar würde es ja sein, wenn die Ver¬<lb/>
treter der neuen Anschauung etwa folgendermaßen sprächen: &#x201E;In einer Zeit so<lb/>
ungeheuer erleichterten Verkehrs und verallgemeinerter Bildungsmittel wie der<lb/>
unsrigen, läßt sich nun einmal ein Standpunkt, der in der Scholle und in der<lb/>
Pflege gewohnheitsmäßiger Beziehungen der Menschen zu einander, sowie in dem<lb/>
Bestehen auf religiösen, sittlichen und staatlichen Begriffen wurzelt, die eben doch<lb/>
zu einem Teile überwunden sind, nicht aufrecht erhalten, und Leute, welche mit<lb/>
dem Bewußtsein erfüllt sind, daß sie gerade die Aufgabe dieser Aufrechter¬<lb/>
haltung haben, müssen insofern als Feinde einer gesunden, zeitgemäßen Ent¬<lb/>
wicklung betrachtet und behandelt werden, mögen auch ihre Beweggründe im<lb/>
einzelnen noch so achtbar, selbst edel sein. Besäßen diese Leute einen genialen<lb/>
Schwung, welcher es ermöglichte, die alten Ideen mit den neuen zu verschmelzen,<lb/>
so wäre das etwas andres, und es ließe sich dann eher über die Herübernahme<lb/>
mancher ihnen eigentümlichen Gesichtspunkte reden; aber im Gegenteil &#x2014; durch-<lb/>
gehends reicht die besondre Begabung dieses alten landsässigen Adels und der<lb/>
mit ihm auf gleicher Linie stehenden Rittergutsbesitzer gerade nur weit genug,<lb/>
um sie erkennen zu lassen, daß ihr im ganzen eben doch unhaltbarer Stand¬<lb/>
punkt teilweise berechtigt ist, und sie zur Aufhäufung aller Widerstandsmittel<lb/>
gegen die neue Entwicklung, die irgendwie aufzutreiben sind, sowie zur Auf¬<lb/>
suchung und Gewinnung von Bundesgenossen (sei es auch der bedenklichsten Art)<lb/>
zu befähigen. Noch mehr: sie halten gerade den jetzigen Zeitpunkt für geeignet,<lb/>
um ihre Besonderheit aufs schärfste auszubilden, um den feinen Punkt ihrer<lb/>
Stellung zu der monarchischen Grundlage unsers Staatswesens aufs äußerste</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0330] vorwürfe und Vorwände. sie hierbei nicht nur den allgemeinen Grund des innerlich notwendigen Kampfes zweier Weltanschauungen für sich hat, von denen sie die jüngere und insofern auch ciusfichtsvollere und besser berechtigte ist, sondern daß von ihr in diesem Kampfe auch viele und gute Einzelgründe geltend gemacht werden können. Die Frage, ob nicht von der alten Weltanschauung manches erhalten und herübergenommen werden kann, muß allerdings mindestens eine offene bleiben; aber daß diese An¬ schauung sich als solche nicht aufrecht erhalten läßt, und in der That auch heute schon nur noch ruinenhaft vorhanden ist und mit jedem Jahre mehr in Trümmer sinkt, das läßt sich nicht nur vom Partei-, sondern auch von einem allgemeinen philosophischen Standpunkte aus als Thatsache bezeichnen, und damit gewinnt denn auch der Kampf gegen manche an das Alte sich knüpfenden Einzeler¬ scheinungen erst die richtige Beleuchtung. Sonderbar und peinlich ist es nur, daß man auch hier, wie so oft im öffentlichen Leben, nicht aufrichtig zu Werke geht, und sich nicht damit begnügt, zu sagen, was man will und warum man es will, sondern nach allerhand Vorwänden sucht, mit denen man die Sache der neuen Anschauung noch besser, die der alten noch schlechter machen will, sodaß ein Kampf, der großartig und edel sein könnte, sich in so vielen Punkten in kleinliche, gehässige Zänkereien auflöst, bei denen der entscheidende Gesichtspunkt nur zu oft aus den Augen verloren wird. Schwer anfechtbar würde es ja sein, wenn die Ver¬ treter der neuen Anschauung etwa folgendermaßen sprächen: „In einer Zeit so ungeheuer erleichterten Verkehrs und verallgemeinerter Bildungsmittel wie der unsrigen, läßt sich nun einmal ein Standpunkt, der in der Scholle und in der Pflege gewohnheitsmäßiger Beziehungen der Menschen zu einander, sowie in dem Bestehen auf religiösen, sittlichen und staatlichen Begriffen wurzelt, die eben doch zu einem Teile überwunden sind, nicht aufrecht erhalten, und Leute, welche mit dem Bewußtsein erfüllt sind, daß sie gerade die Aufgabe dieser Aufrechter¬ haltung haben, müssen insofern als Feinde einer gesunden, zeitgemäßen Ent¬ wicklung betrachtet und behandelt werden, mögen auch ihre Beweggründe im einzelnen noch so achtbar, selbst edel sein. Besäßen diese Leute einen genialen Schwung, welcher es ermöglichte, die alten Ideen mit den neuen zu verschmelzen, so wäre das etwas andres, und es ließe sich dann eher über die Herübernahme mancher ihnen eigentümlichen Gesichtspunkte reden; aber im Gegenteil — durch- gehends reicht die besondre Begabung dieses alten landsässigen Adels und der mit ihm auf gleicher Linie stehenden Rittergutsbesitzer gerade nur weit genug, um sie erkennen zu lassen, daß ihr im ganzen eben doch unhaltbarer Stand¬ punkt teilweise berechtigt ist, und sie zur Aufhäufung aller Widerstandsmittel gegen die neue Entwicklung, die irgendwie aufzutreiben sind, sowie zur Auf¬ suchung und Gewinnung von Bundesgenossen (sei es auch der bedenklichsten Art) zu befähigen. Noch mehr: sie halten gerade den jetzigen Zeitpunkt für geeignet, um ihre Besonderheit aufs schärfste auszubilden, um den feinen Punkt ihrer Stellung zu der monarchischen Grundlage unsers Staatswesens aufs äußerste

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/330
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/330>, abgerufen am 23.06.2024.