Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
David Beronski.

Ich habe niemals ein Versprechen gegeben, unterbrach ihn Rüben schnell,
ich konnte nichts versprechen, hatte ich doch nichts. Warum geht David Be¬
ronski, der Gelehrteste unter seinen Brüdern, nicht zum Rabbi? Ich werde ihm
den Weg weisen, der Rabbi läßt keinen unsers Glaubens ohne Unterstützung und
kann dann auch die Kunde von deiner glücklichen Errettung in deine Heimat melden.

Lauernd lag sein Blick auf David.

Ich werde mich an deinen Vater wenden, sagte David und wandte sich
verächtlich ab.

Der Atti ist alt und schon zur Ruhe gegangen, das Haus ist mein, der Atti
hat nichts zu sagen in meinem Hause. Der Atti lebt von meinem Verdienste.

Und wem verdankst du diesen Verdienst? rief David zürnend.

Dem Herrn Baron! Dem vornehmen Freunde von David Beronski, ent¬
gegnen Rüben sofort.

Rüben! Kannst du so rasch vergessen? Aber nein! Du weißt ja nichts
von mir, weißt nicht, daß ich mit meinem Kinde umhergeirrt bin, ohne Obdach,
ohne Nahrung, in Schneegestöber und Wind --

Wer hieß dich das Kind mitnehmen? rief Rüben. Wolltest du in der
Welt herum laufen, warum ließest du das Kind nicht daheim?

Nur um des Kindes willen bitte ich dich noch einmal, sagte David. Ich
würde kein Wort weiter an dich verlieren, wäre Rahel nicht. Ich will dir
nicht ins Gedächtnis rufen, daß ich durch dich zuerst auf diesen Pfad gedrängt
wurde, dafür bin ich dir dankbar, aber dennoch, Rüben, um dieser Erinnerung
willen, erbarme dich Rcchels --

Was sagst du? Erbarmen? rief Rüben. Soll ich das Kind eines Ab¬
trünnigen, eines Ausgestoßenen zu mir nehmen?

Ja, so wie ich mich des Sohnes eines Karakter annahm. Davids Gestalt
hob sich, streng und verächtlich ruhten seine Augen auf Rüben.

David Beronski faselt, sein Geist verwirrt sich, entgegnete Rüben, indem
er vergebens seiner Stimme eine Festigkeit zu geben versuchte, die er nicht in
sich fühlte. Ich weiß nicht, wovon er redet; ich bin ein rechtgläubiger Jude,
und -- und ich will nichts mehr mit dir zu thun haben, rief er plötzlich heftig
auffahrend. Weiß ich doch ganz gut, welch ein Buch es war, aus dem du
mich lehrtest, weiß, weshalb du es so heimlich hieltest. Nur ein Wort brauchte
ich damals zu sprechen, und es wäre aus mit dir gewesen. Ich war still,
schwieg, zeigte mich dankbar, sagte niemand davon, will auch noch schweigen,
denn ich kann mir denken, warum der gelehrte David heimlich entflohen ist.

Du hast nicht nötig, ein Geheimnis daraus zu machen, was ich aller Welt
laut sagen möchte, daß ich dankbar und glücklich bin, daß ich durch Gottes Gnade
Jesum Christum erkannt habe und an ihn glaube. (Fortsetzung folgt.)




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig.
David Beronski.

Ich habe niemals ein Versprechen gegeben, unterbrach ihn Rüben schnell,
ich konnte nichts versprechen, hatte ich doch nichts. Warum geht David Be¬
ronski, der Gelehrteste unter seinen Brüdern, nicht zum Rabbi? Ich werde ihm
den Weg weisen, der Rabbi läßt keinen unsers Glaubens ohne Unterstützung und
kann dann auch die Kunde von deiner glücklichen Errettung in deine Heimat melden.

Lauernd lag sein Blick auf David.

Ich werde mich an deinen Vater wenden, sagte David und wandte sich
verächtlich ab.

Der Atti ist alt und schon zur Ruhe gegangen, das Haus ist mein, der Atti
hat nichts zu sagen in meinem Hause. Der Atti lebt von meinem Verdienste.

Und wem verdankst du diesen Verdienst? rief David zürnend.

Dem Herrn Baron! Dem vornehmen Freunde von David Beronski, ent¬
gegnen Rüben sofort.

Rüben! Kannst du so rasch vergessen? Aber nein! Du weißt ja nichts
von mir, weißt nicht, daß ich mit meinem Kinde umhergeirrt bin, ohne Obdach,
ohne Nahrung, in Schneegestöber und Wind —

Wer hieß dich das Kind mitnehmen? rief Rüben. Wolltest du in der
Welt herum laufen, warum ließest du das Kind nicht daheim?

Nur um des Kindes willen bitte ich dich noch einmal, sagte David. Ich
würde kein Wort weiter an dich verlieren, wäre Rahel nicht. Ich will dir
nicht ins Gedächtnis rufen, daß ich durch dich zuerst auf diesen Pfad gedrängt
wurde, dafür bin ich dir dankbar, aber dennoch, Rüben, um dieser Erinnerung
willen, erbarme dich Rcchels —

Was sagst du? Erbarmen? rief Rüben. Soll ich das Kind eines Ab¬
trünnigen, eines Ausgestoßenen zu mir nehmen?

Ja, so wie ich mich des Sohnes eines Karakter annahm. Davids Gestalt
hob sich, streng und verächtlich ruhten seine Augen auf Rüben.

David Beronski faselt, sein Geist verwirrt sich, entgegnete Rüben, indem
er vergebens seiner Stimme eine Festigkeit zu geben versuchte, die er nicht in
sich fühlte. Ich weiß nicht, wovon er redet; ich bin ein rechtgläubiger Jude,
und — und ich will nichts mehr mit dir zu thun haben, rief er plötzlich heftig
auffahrend. Weiß ich doch ganz gut, welch ein Buch es war, aus dem du
mich lehrtest, weiß, weshalb du es so heimlich hieltest. Nur ein Wort brauchte
ich damals zu sprechen, und es wäre aus mit dir gewesen. Ich war still,
schwieg, zeigte mich dankbar, sagte niemand davon, will auch noch schweigen,
denn ich kann mir denken, warum der gelehrte David heimlich entflohen ist.

Du hast nicht nötig, ein Geheimnis daraus zu machen, was ich aller Welt
laut sagen möchte, daß ich dankbar und glücklich bin, daß ich durch Gottes Gnade
Jesum Christum erkannt habe und an ihn glaube. (Fortsetzung folgt.)




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0328" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202427"/>
            <fw type="header" place="top"> David Beronski.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1209"> Ich habe niemals ein Versprechen gegeben, unterbrach ihn Rüben schnell,<lb/>
ich konnte nichts versprechen, hatte ich doch nichts. Warum geht David Be¬<lb/>
ronski, der Gelehrteste unter seinen Brüdern, nicht zum Rabbi? Ich werde ihm<lb/>
den Weg weisen, der Rabbi läßt keinen unsers Glaubens ohne Unterstützung und<lb/>
kann dann auch die Kunde von deiner glücklichen Errettung in deine Heimat melden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1210"> Lauernd lag sein Blick auf David.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1211"> Ich werde mich an deinen Vater wenden, sagte David und wandte sich<lb/>
verächtlich ab.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1212"> Der Atti ist alt und schon zur Ruhe gegangen, das Haus ist mein, der Atti<lb/>
hat nichts zu sagen in meinem Hause.  Der Atti lebt von meinem Verdienste.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1213"> Und wem verdankst du diesen Verdienst? rief David zürnend.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1214"> Dem Herrn Baron! Dem vornehmen Freunde von David Beronski, ent¬<lb/>
gegnen Rüben sofort.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1215"> Rüben! Kannst du so rasch vergessen? Aber nein! Du weißt ja nichts<lb/>
von mir, weißt nicht, daß ich mit meinem Kinde umhergeirrt bin, ohne Obdach,<lb/>
ohne Nahrung, in Schneegestöber und Wind &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1216"> Wer hieß dich das Kind mitnehmen? rief Rüben. Wolltest du in der<lb/>
Welt herum laufen, warum ließest du das Kind nicht daheim?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1217"> Nur um des Kindes willen bitte ich dich noch einmal, sagte David. Ich<lb/>
würde kein Wort weiter an dich verlieren, wäre Rahel nicht. Ich will dir<lb/>
nicht ins Gedächtnis rufen, daß ich durch dich zuerst auf diesen Pfad gedrängt<lb/>
wurde, dafür bin ich dir dankbar, aber dennoch, Rüben, um dieser Erinnerung<lb/>
willen, erbarme dich Rcchels &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1218"> Was sagst du? Erbarmen? rief Rüben. Soll ich das Kind eines Ab¬<lb/>
trünnigen, eines Ausgestoßenen zu mir nehmen?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1219"> Ja, so wie ich mich des Sohnes eines Karakter annahm. Davids Gestalt<lb/>
hob sich, streng und verächtlich ruhten seine Augen auf Rüben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1220"> David Beronski faselt, sein Geist verwirrt sich, entgegnete Rüben, indem<lb/>
er vergebens seiner Stimme eine Festigkeit zu geben versuchte, die er nicht in<lb/>
sich fühlte. Ich weiß nicht, wovon er redet; ich bin ein rechtgläubiger Jude,<lb/>
und &#x2014; und ich will nichts mehr mit dir zu thun haben, rief er plötzlich heftig<lb/>
auffahrend. Weiß ich doch ganz gut, welch ein Buch es war, aus dem du<lb/>
mich lehrtest, weiß, weshalb du es so heimlich hieltest. Nur ein Wort brauchte<lb/>
ich damals zu sprechen, und es wäre aus mit dir gewesen. Ich war still,<lb/>
schwieg, zeigte mich dankbar, sagte niemand davon, will auch noch schweigen,<lb/>
denn ich kann mir denken, warum der gelehrte David heimlich entflohen ist.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1221"> Du hast nicht nötig, ein Geheimnis daraus zu machen, was ich aller Welt<lb/>
laut sagen möchte, daß ich dankbar und glücklich bin, daß ich durch Gottes Gnade<lb/>
Jesum Christum erkannt habe und an ihn glaube. (Fortsetzung folgt.)</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <note type="byline"> Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.<lb/>
Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig. &#x2014; Druck von Carl Marquart in Leipzig.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0328] David Beronski. Ich habe niemals ein Versprechen gegeben, unterbrach ihn Rüben schnell, ich konnte nichts versprechen, hatte ich doch nichts. Warum geht David Be¬ ronski, der Gelehrteste unter seinen Brüdern, nicht zum Rabbi? Ich werde ihm den Weg weisen, der Rabbi läßt keinen unsers Glaubens ohne Unterstützung und kann dann auch die Kunde von deiner glücklichen Errettung in deine Heimat melden. Lauernd lag sein Blick auf David. Ich werde mich an deinen Vater wenden, sagte David und wandte sich verächtlich ab. Der Atti ist alt und schon zur Ruhe gegangen, das Haus ist mein, der Atti hat nichts zu sagen in meinem Hause. Der Atti lebt von meinem Verdienste. Und wem verdankst du diesen Verdienst? rief David zürnend. Dem Herrn Baron! Dem vornehmen Freunde von David Beronski, ent¬ gegnen Rüben sofort. Rüben! Kannst du so rasch vergessen? Aber nein! Du weißt ja nichts von mir, weißt nicht, daß ich mit meinem Kinde umhergeirrt bin, ohne Obdach, ohne Nahrung, in Schneegestöber und Wind — Wer hieß dich das Kind mitnehmen? rief Rüben. Wolltest du in der Welt herum laufen, warum ließest du das Kind nicht daheim? Nur um des Kindes willen bitte ich dich noch einmal, sagte David. Ich würde kein Wort weiter an dich verlieren, wäre Rahel nicht. Ich will dir nicht ins Gedächtnis rufen, daß ich durch dich zuerst auf diesen Pfad gedrängt wurde, dafür bin ich dir dankbar, aber dennoch, Rüben, um dieser Erinnerung willen, erbarme dich Rcchels — Was sagst du? Erbarmen? rief Rüben. Soll ich das Kind eines Ab¬ trünnigen, eines Ausgestoßenen zu mir nehmen? Ja, so wie ich mich des Sohnes eines Karakter annahm. Davids Gestalt hob sich, streng und verächtlich ruhten seine Augen auf Rüben. David Beronski faselt, sein Geist verwirrt sich, entgegnete Rüben, indem er vergebens seiner Stimme eine Festigkeit zu geben versuchte, die er nicht in sich fühlte. Ich weiß nicht, wovon er redet; ich bin ein rechtgläubiger Jude, und — und ich will nichts mehr mit dir zu thun haben, rief er plötzlich heftig auffahrend. Weiß ich doch ganz gut, welch ein Buch es war, aus dem du mich lehrtest, weiß, weshalb du es so heimlich hieltest. Nur ein Wort brauchte ich damals zu sprechen, und es wäre aus mit dir gewesen. Ich war still, schwieg, zeigte mich dankbar, sagte niemand davon, will auch noch schweigen, denn ich kann mir denken, warum der gelehrte David heimlich entflohen ist. Du hast nicht nötig, ein Geheimnis daraus zu machen, was ich aller Welt laut sagen möchte, daß ich dankbar und glücklich bin, daß ich durch Gottes Gnade Jesum Christum erkannt habe und an ihn glaube. (Fortsetzung folgt.) Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig. Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/328
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/328>, abgerufen am 23.06.2024.