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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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"user.

Wille" u-s. w., wird an einer spätern ausdrücklich versichert, daß ihre Liebe
streng sittsam gewesen sei:


Da lernte Hör für beide widersteh'",
Und fühlt er sich das Blut zum Herzen guillen,
So oft der Minne Flannne heißer lohte,
Bekämpfe er willensstark, was sie bedrohte.
Der Unbewachten mußt' er Wächter sein,
Ihm kam es zu, sie beide zu behüten,
Und er bezwang sich, ihre Lieb' blieb rein,
So feurig auch die jungen Herzen glühten.

Wozu diese breitspurige Versicherung der Keuschheit des Liebespaares?
Künstlerisch notwendig ist sie nicht; für den Gang der Handlung ist diese
Keuschheit des Verkehrs ohne Belang. Aber für die feige Sinnlichkeit des
Dichters wie für seinen falschen Idealismus ist diese ausführliche Erörterung
der Keuschhcitsfrage höchst charakteristisch. Er hätte ganz ohne Schaden für
sein Gedicht schweigend über die ganze Sache hinweggehen können: es wäre
keinem Menschen eingefallen, dem Dichter ästhetisch daraus einen Vorwurf zu
machen. Indem aber Ebers das Thema dennoch zur Sprache bringt, läßt er
auch den geheimen Reiz spielen, auf den andre frivole Schriftsteller zu rechnen
Pflegen, und wahrt sich dennoch zugleich vor dem Vorwurfe philiströser Sitten¬
richter, unmoralisch gewesen zu sein, denn er hat ja gerade dabei die Moral
verteidigt. Der tieferblickende Leser aber sagt sich, wenn überhaupt über den Ver¬
kehr zwischen Hör und Elisen gesprochen werden soll, so kann er nach den Vor¬
aussetzungen der Dichtung sehr keusch nicht gewesen sein. Man denke: Elisen
ist das junge Kind eines ursprünglich kräftigen, ja derzeit noch barbarischen
Volksstammes, Hör ist ein leidenschaftlich glühender Künstler, Elisen steht ihm
zum Jsisbild Modell, und dieses Jsisbild ist nicht in Tücher eingehüllt -- da
soll ein keuscher Verkehr, wie ihn die modernen Formen des Lebens fordern,
möglich sein? Das ist doch ganz unwahrscheinlich! Ebers weiß dies ebenso
gut, aber er schielt auf die höhere Töchterschule, die er nun durch seine Be¬
ruhigung diesmal erst recht verletzt hat. Das ist eine Folge seines falschen
Idealismus, und darum können wir nicht glauben, daß der große Bischer, der
nichts mehr haßte als heuchlerische Sittlichkeit, dieses Gedicht aufrichtig mit
Lob begrüßt habe.

Von demselben falschen Idealismus ist auch der weitere Teil der Dichtung
erfüllt. Hör und Elisen verkehren mit einander wie ein junges Ehepaar der
Gegenwart aus gut bürgerlichen Kreisen. Die junge Künstlergattin steht dem
Manne Modell, sieht ihm beim Schaffen über die Schulter, plaudert und spielt
mit ihm, pflückt ihm den ersten Lorber, ihn zu kränzen u. dergl. in. Schließlich
versucht Ebers, die grenzenlose Rohheit der Fabel in ein tragisches Licht
zu rücken. Hör bildet also eine Jsisstatue, und Elisen steht ihm Modell


«user.

Wille" u-s. w., wird an einer spätern ausdrücklich versichert, daß ihre Liebe
streng sittsam gewesen sei:


Da lernte Hör für beide widersteh'«,
Und fühlt er sich das Blut zum Herzen guillen,
So oft der Minne Flannne heißer lohte,
Bekämpfe er willensstark, was sie bedrohte.
Der Unbewachten mußt' er Wächter sein,
Ihm kam es zu, sie beide zu behüten,
Und er bezwang sich, ihre Lieb' blieb rein,
So feurig auch die jungen Herzen glühten.

Wozu diese breitspurige Versicherung der Keuschheit des Liebespaares?
Künstlerisch notwendig ist sie nicht; für den Gang der Handlung ist diese
Keuschheit des Verkehrs ohne Belang. Aber für die feige Sinnlichkeit des
Dichters wie für seinen falschen Idealismus ist diese ausführliche Erörterung
der Keuschhcitsfrage höchst charakteristisch. Er hätte ganz ohne Schaden für
sein Gedicht schweigend über die ganze Sache hinweggehen können: es wäre
keinem Menschen eingefallen, dem Dichter ästhetisch daraus einen Vorwurf zu
machen. Indem aber Ebers das Thema dennoch zur Sprache bringt, läßt er
auch den geheimen Reiz spielen, auf den andre frivole Schriftsteller zu rechnen
Pflegen, und wahrt sich dennoch zugleich vor dem Vorwurfe philiströser Sitten¬
richter, unmoralisch gewesen zu sein, denn er hat ja gerade dabei die Moral
verteidigt. Der tieferblickende Leser aber sagt sich, wenn überhaupt über den Ver¬
kehr zwischen Hör und Elisen gesprochen werden soll, so kann er nach den Vor¬
aussetzungen der Dichtung sehr keusch nicht gewesen sein. Man denke: Elisen
ist das junge Kind eines ursprünglich kräftigen, ja derzeit noch barbarischen
Volksstammes, Hör ist ein leidenschaftlich glühender Künstler, Elisen steht ihm
zum Jsisbild Modell, und dieses Jsisbild ist nicht in Tücher eingehüllt — da
soll ein keuscher Verkehr, wie ihn die modernen Formen des Lebens fordern,
möglich sein? Das ist doch ganz unwahrscheinlich! Ebers weiß dies ebenso
gut, aber er schielt auf die höhere Töchterschule, die er nun durch seine Be¬
ruhigung diesmal erst recht verletzt hat. Das ist eine Folge seines falschen
Idealismus, und darum können wir nicht glauben, daß der große Bischer, der
nichts mehr haßte als heuchlerische Sittlichkeit, dieses Gedicht aufrichtig mit
Lob begrüßt habe.

Von demselben falschen Idealismus ist auch der weitere Teil der Dichtung
erfüllt. Hör und Elisen verkehren mit einander wie ein junges Ehepaar der
Gegenwart aus gut bürgerlichen Kreisen. Die junge Künstlergattin steht dem
Manne Modell, sieht ihm beim Schaffen über die Schulter, plaudert und spielt
mit ihm, pflückt ihm den ersten Lorber, ihn zu kränzen u. dergl. in. Schließlich
versucht Ebers, die grenzenlose Rohheit der Fabel in ein tragisches Licht
zu rücken. Hör bildet also eine Jsisstatue, und Elisen steht ihm Modell


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[0319] «user. Wille" u-s. w., wird an einer spätern ausdrücklich versichert, daß ihre Liebe streng sittsam gewesen sei: Da lernte Hör für beide widersteh'«, Und fühlt er sich das Blut zum Herzen guillen, So oft der Minne Flannne heißer lohte, Bekämpfe er willensstark, was sie bedrohte. Der Unbewachten mußt' er Wächter sein, Ihm kam es zu, sie beide zu behüten, Und er bezwang sich, ihre Lieb' blieb rein, So feurig auch die jungen Herzen glühten. Wozu diese breitspurige Versicherung der Keuschheit des Liebespaares? Künstlerisch notwendig ist sie nicht; für den Gang der Handlung ist diese Keuschheit des Verkehrs ohne Belang. Aber für die feige Sinnlichkeit des Dichters wie für seinen falschen Idealismus ist diese ausführliche Erörterung der Keuschhcitsfrage höchst charakteristisch. Er hätte ganz ohne Schaden für sein Gedicht schweigend über die ganze Sache hinweggehen können: es wäre keinem Menschen eingefallen, dem Dichter ästhetisch daraus einen Vorwurf zu machen. Indem aber Ebers das Thema dennoch zur Sprache bringt, läßt er auch den geheimen Reiz spielen, auf den andre frivole Schriftsteller zu rechnen Pflegen, und wahrt sich dennoch zugleich vor dem Vorwurfe philiströser Sitten¬ richter, unmoralisch gewesen zu sein, denn er hat ja gerade dabei die Moral verteidigt. Der tieferblickende Leser aber sagt sich, wenn überhaupt über den Ver¬ kehr zwischen Hör und Elisen gesprochen werden soll, so kann er nach den Vor¬ aussetzungen der Dichtung sehr keusch nicht gewesen sein. Man denke: Elisen ist das junge Kind eines ursprünglich kräftigen, ja derzeit noch barbarischen Volksstammes, Hör ist ein leidenschaftlich glühender Künstler, Elisen steht ihm zum Jsisbild Modell, und dieses Jsisbild ist nicht in Tücher eingehüllt — da soll ein keuscher Verkehr, wie ihn die modernen Formen des Lebens fordern, möglich sein? Das ist doch ganz unwahrscheinlich! Ebers weiß dies ebenso gut, aber er schielt auf die höhere Töchterschule, die er nun durch seine Be¬ ruhigung diesmal erst recht verletzt hat. Das ist eine Folge seines falschen Idealismus, und darum können wir nicht glauben, daß der große Bischer, der nichts mehr haßte als heuchlerische Sittlichkeit, dieses Gedicht aufrichtig mit Lob begrüßt habe. Von demselben falschen Idealismus ist auch der weitere Teil der Dichtung erfüllt. Hör und Elisen verkehren mit einander wie ein junges Ehepaar der Gegenwart aus gut bürgerlichen Kreisen. Die junge Künstlergattin steht dem Manne Modell, sieht ihm beim Schaffen über die Schulter, plaudert und spielt mit ihm, pflückt ihm den ersten Lorber, ihn zu kränzen u. dergl. in. Schließlich versucht Ebers, die grenzenlose Rohheit der Fabel in ein tragisches Licht zu rücken. Hör bildet also eine Jsisstatue, und Elisen steht ihm Modell

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/319>, abgerufen am 23.06.2024.