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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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MM.

dazu. Natürlich gerät die Isis porträttreu nach Elisen. Da sagt dieses genial
kluge Mädchen mit Vorstellungen, die ans Alte Testament mahnen:


Mich Niedre so erheben,
Der Gottheit Glanz mit Menschlichem verweben,
Das ist vermessen, und mir sagt das Herz,
Die Götter rächen grausam an uns beiden,
Daß dich und mich du schwangest himmelwärts!

Was das für eine fein ausgediftclte tragische Schuld ist! So lange die
Menschen in Statuen Götter verehrten, war die Bildnerkunst noch nicht bis
zur Kunst des Porträts gediehen. Die Vorstellung, im Götterbild Menschen
irrtümlicherweise zu verehren, ist also solchen Gläubigen ganz fremd. Ebers
trägt sie in der unbefangensten, aber auch unverantwortlichsten Weise in jene
Köpfe hinein und destillirt daraus eine tragische Schuld für seinen in der
schmählichsten Weise umkommenden Helden Hör.

Als Dusare nämlich vom Raubzuge wieder heimkehrt und Hors Thätigkeit
ansieht, wird er doppelt wütend. Einmal deswegen, weil der arme Teufel von
Künstler es wagt, um die Hand seiner, des Fürsten Tochter anzuhalten, und er,
der Vater, durch den Schwur, ihm keine Bitte zu versagen, gebunden ist, ihm
zu willfahren. Sodann, weil das Jsisbild nicht nach der alten Form gediehen
ist. Der wilde Blemmyerfürst erkennt seine Tochter in der Statue und fragt:


Hebt denn der Vater, wenn ihm Unglück droht,
Die Seele betend zu der eignen Tochter?

(Er wollte sagen: "hebt er die Augen.") Wenn man daran denkt, daß Dusare
jetzt wahrscheinlich zum ersten male in seinem Leben das Wunder des Porträts
erlebt hat, also davon zunächst erschüttert und hingerissen sein muß, so
erscheint einem diese katholisch-fromme Frage ganz unwahr. Dusare kehrt aber
schnell zu ihr zurück. Er entscheidet: Elisen möge nur den Hör heiraten, aber
sie werde gleich Witwe werden. Nur daß das Jsisbild zu stände komme,
gewährt er dem jungen Künstler drei Monde Zeit, dann soll er ohne Gnade
hingerichtet werden. Derselbe entsetzliche Dusare ist aber dann doch weich genug,
dem jungen verbannten Ehepaare (welches nun die Sinnlichkeit nach Gesetz und
Recht wohl genießen darf) heimlich Nahrungsmittel zuzuschieben. Trotz der
sichern Aussicht, geköpft zu werden, läßt sich Hör die Honigmonde gut schmecken,
die Statue Elifens gerät großartig, und er schwelgt in dem Gedanken der Un¬
sterblichkeit, die ihm einst -- Ebers verleihen wird, indem er, der einzige, von
seiner Künstlerschaft der Welt Nachricht geben wird.

Endlich fällt das Damoklesschwert auf das arme Haupt Hors. Die Römer
bekriegen Dusare, sie bringen einen seiner Söhne um, aus Rache läßt er Hör
töten. Elisen bleibt trotz alledem eine liebevolle Tochter: als sie den besiegten
Vater im Schlachtfelde trifft, wäscht sie ihm die Wunden aus, so wie er früher,


MM.

dazu. Natürlich gerät die Isis porträttreu nach Elisen. Da sagt dieses genial
kluge Mädchen mit Vorstellungen, die ans Alte Testament mahnen:


Mich Niedre so erheben,
Der Gottheit Glanz mit Menschlichem verweben,
Das ist vermessen, und mir sagt das Herz,
Die Götter rächen grausam an uns beiden,
Daß dich und mich du schwangest himmelwärts!

Was das für eine fein ausgediftclte tragische Schuld ist! So lange die
Menschen in Statuen Götter verehrten, war die Bildnerkunst noch nicht bis
zur Kunst des Porträts gediehen. Die Vorstellung, im Götterbild Menschen
irrtümlicherweise zu verehren, ist also solchen Gläubigen ganz fremd. Ebers
trägt sie in der unbefangensten, aber auch unverantwortlichsten Weise in jene
Köpfe hinein und destillirt daraus eine tragische Schuld für seinen in der
schmählichsten Weise umkommenden Helden Hör.

Als Dusare nämlich vom Raubzuge wieder heimkehrt und Hors Thätigkeit
ansieht, wird er doppelt wütend. Einmal deswegen, weil der arme Teufel von
Künstler es wagt, um die Hand seiner, des Fürsten Tochter anzuhalten, und er,
der Vater, durch den Schwur, ihm keine Bitte zu versagen, gebunden ist, ihm
zu willfahren. Sodann, weil das Jsisbild nicht nach der alten Form gediehen
ist. Der wilde Blemmyerfürst erkennt seine Tochter in der Statue und fragt:


Hebt denn der Vater, wenn ihm Unglück droht,
Die Seele betend zu der eignen Tochter?

(Er wollte sagen: „hebt er die Augen.") Wenn man daran denkt, daß Dusare
jetzt wahrscheinlich zum ersten male in seinem Leben das Wunder des Porträts
erlebt hat, also davon zunächst erschüttert und hingerissen sein muß, so
erscheint einem diese katholisch-fromme Frage ganz unwahr. Dusare kehrt aber
schnell zu ihr zurück. Er entscheidet: Elisen möge nur den Hör heiraten, aber
sie werde gleich Witwe werden. Nur daß das Jsisbild zu stände komme,
gewährt er dem jungen Künstler drei Monde Zeit, dann soll er ohne Gnade
hingerichtet werden. Derselbe entsetzliche Dusare ist aber dann doch weich genug,
dem jungen verbannten Ehepaare (welches nun die Sinnlichkeit nach Gesetz und
Recht wohl genießen darf) heimlich Nahrungsmittel zuzuschieben. Trotz der
sichern Aussicht, geköpft zu werden, läßt sich Hör die Honigmonde gut schmecken,
die Statue Elifens gerät großartig, und er schwelgt in dem Gedanken der Un¬
sterblichkeit, die ihm einst — Ebers verleihen wird, indem er, der einzige, von
seiner Künstlerschaft der Welt Nachricht geben wird.

Endlich fällt das Damoklesschwert auf das arme Haupt Hors. Die Römer
bekriegen Dusare, sie bringen einen seiner Söhne um, aus Rache läßt er Hör
töten. Elisen bleibt trotz alledem eine liebevolle Tochter: als sie den besiegten
Vater im Schlachtfelde trifft, wäscht sie ihm die Wunden aus, so wie er früher,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/320>, abgerufen am 23.06.2024.