Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Llifen.

haben Elterngewalt über ihn, der eine Waise ist. "Sein Nahen schloß des
Mutterlebens Thor," sagt Ebers in unvorstellbaren Bilde, auch Hors Vater
starb früh: "Kein Herz(!) hat ihn Avr^ jemals warm umfangen (!)." Da
lernt zum Glück Hadrians Statthalter in Ägypten, der greise Licinius, den
jungen Künstler kennen und zieht ihn an seinen Hof. Dort lebt auch der
Dichter Juvenal in der Verbannung, und dieser führt Hör in die hellenische
Kunstreligion ein, zeigt ihm plastische Meisterwerke und rät ihm, nicht bloß zu
kopiren, sondern frisch ins volle Leben zu greifen, sich in ein lebendiges, schönes
Mädchen zu verlieben und es nachzubilden. Hör ist sehr fleißig: "unermüdlich
braucht er Stift und Kreide" -- ganz wie ein junger Münchner, obgleich die
Kreide ihm unbekannt und wertlos gewesen sein dürfte; denn ausdrücklich heißt
es später:


Schon werden seine Mappen schwer und schwerer
- Von der kopieubedeckten Tafeln Last.

Gern würden wir einmal so eine altrömisch-ägyptische Mappe sehen. Es geht aber
dieser Mappe bald sehr schlecht. Licinius wird nach Rom abberufen, Hör muß
zu seinen Priestern und Peinigern zurück. Die ketzerischen Kunstübungen werden
von jenen vernichtet, der ungehorsame Hör, der von seinem neuen künstlerischen
Ideal nicht lassen will, wird in den Kerker geworfen. Dort wird er brustkrank,
schwindsüchtig. Das wollen aber die Priester, die ihn straften, doch auch nicht
haben, sie brauchen sein Talent. Da bietet sich zum Glück Gelegenheit, Hör kostenlos
in einen klimatischen Kurort zu schicken. Wenn der Leser nicht glaubt, daß
schwerlich damals schon dieses modernste medizinische Verfahren bestanden habe, so
möge er sich an die Autorität des Professor Ebers halten, der ausdrücklich davon
spricht, daß die damaligen Ärzte den Kranken von diesem modernen Gesichts¬
punkte knrirten.


Fort in die Wüste, lautet der Beschluß,
Soll man sogleich den kranken Jüngling senden;
Zu feuchte Dünste atmen Strand und Fluß --
Sein Leiden wird sich bald zum Bessern wenden,
Kann man den siechen Lungen den Genuß
Der Wüstenluft, der reinen, trocknen, spenden.
Und Isis selbst, sie eilt sich, zu bekunden,
Daß ihren Beifall dieser Rat gefunden.

Isis ist nicht die einzige mythologische Gestalt in der poetischen Maschinerie
des Herrn Professors. Er bedient sich auch in der Weise der schlechten Dichter
der Renaissance der griechischen Götter, um prosaische Worte zu vermeiden (Eos,
Amor. Philomele), obgleich in den Ideenkreis seiner Ägypter diese Griechen gar
nicht hineinpassen. Also Isis kommt zu Hilfe.

Die benachbarten Blemmyer, ein wilder Volksstamm, sind so barbarisch,
daß sie nur vom Raube leben, daß ihr Fürst Dusare seinen glänzend braunen


Llifen.

haben Elterngewalt über ihn, der eine Waise ist. „Sein Nahen schloß des
Mutterlebens Thor," sagt Ebers in unvorstellbaren Bilde, auch Hors Vater
starb früh: „Kein Herz(!) hat ihn Avr^ jemals warm umfangen (!)." Da
lernt zum Glück Hadrians Statthalter in Ägypten, der greise Licinius, den
jungen Künstler kennen und zieht ihn an seinen Hof. Dort lebt auch der
Dichter Juvenal in der Verbannung, und dieser führt Hör in die hellenische
Kunstreligion ein, zeigt ihm plastische Meisterwerke und rät ihm, nicht bloß zu
kopiren, sondern frisch ins volle Leben zu greifen, sich in ein lebendiges, schönes
Mädchen zu verlieben und es nachzubilden. Hör ist sehr fleißig: „unermüdlich
braucht er Stift und Kreide" — ganz wie ein junger Münchner, obgleich die
Kreide ihm unbekannt und wertlos gewesen sein dürfte; denn ausdrücklich heißt
es später:


Schon werden seine Mappen schwer und schwerer
- Von der kopieubedeckten Tafeln Last.

Gern würden wir einmal so eine altrömisch-ägyptische Mappe sehen. Es geht aber
dieser Mappe bald sehr schlecht. Licinius wird nach Rom abberufen, Hör muß
zu seinen Priestern und Peinigern zurück. Die ketzerischen Kunstübungen werden
von jenen vernichtet, der ungehorsame Hör, der von seinem neuen künstlerischen
Ideal nicht lassen will, wird in den Kerker geworfen. Dort wird er brustkrank,
schwindsüchtig. Das wollen aber die Priester, die ihn straften, doch auch nicht
haben, sie brauchen sein Talent. Da bietet sich zum Glück Gelegenheit, Hör kostenlos
in einen klimatischen Kurort zu schicken. Wenn der Leser nicht glaubt, daß
schwerlich damals schon dieses modernste medizinische Verfahren bestanden habe, so
möge er sich an die Autorität des Professor Ebers halten, der ausdrücklich davon
spricht, daß die damaligen Ärzte den Kranken von diesem modernen Gesichts¬
punkte knrirten.


Fort in die Wüste, lautet der Beschluß,
Soll man sogleich den kranken Jüngling senden;
Zu feuchte Dünste atmen Strand und Fluß —
Sein Leiden wird sich bald zum Bessern wenden,
Kann man den siechen Lungen den Genuß
Der Wüstenluft, der reinen, trocknen, spenden.
Und Isis selbst, sie eilt sich, zu bekunden,
Daß ihren Beifall dieser Rat gefunden.

Isis ist nicht die einzige mythologische Gestalt in der poetischen Maschinerie
des Herrn Professors. Er bedient sich auch in der Weise der schlechten Dichter
der Renaissance der griechischen Götter, um prosaische Worte zu vermeiden (Eos,
Amor. Philomele), obgleich in den Ideenkreis seiner Ägypter diese Griechen gar
nicht hineinpassen. Also Isis kommt zu Hilfe.

Die benachbarten Blemmyer, ein wilder Volksstamm, sind so barbarisch,
daß sie nur vom Raube leben, daß ihr Fürst Dusare seinen glänzend braunen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0317" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202416"/>
          <fw type="header" place="top"> Llifen.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1135" prev="#ID_1134" next="#ID_1136"> haben Elterngewalt über ihn, der eine Waise ist. &#x201E;Sein Nahen schloß des<lb/>
Mutterlebens Thor," sagt Ebers in unvorstellbaren Bilde, auch Hors Vater<lb/>
starb früh: &#x201E;Kein Herz(!) hat ihn Avr^ jemals warm umfangen (!)." Da<lb/>
lernt zum Glück Hadrians Statthalter in Ägypten, der greise Licinius, den<lb/>
jungen Künstler kennen und zieht ihn an seinen Hof. Dort lebt auch der<lb/>
Dichter Juvenal in der Verbannung, und dieser führt Hör in die hellenische<lb/>
Kunstreligion ein, zeigt ihm plastische Meisterwerke und rät ihm, nicht bloß zu<lb/>
kopiren, sondern frisch ins volle Leben zu greifen, sich in ein lebendiges, schönes<lb/>
Mädchen zu verlieben und es nachzubilden. Hör ist sehr fleißig: &#x201E;unermüdlich<lb/>
braucht er Stift und Kreide" &#x2014; ganz wie ein junger Münchner, obgleich die<lb/>
Kreide ihm unbekannt und wertlos gewesen sein dürfte; denn ausdrücklich heißt<lb/>
es später:</p><lb/>
          <quote> Schon werden seine Mappen schwer und schwerer<lb/>
- Von der kopieubedeckten Tafeln Last.</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1136" prev="#ID_1135"> Gern würden wir einmal so eine altrömisch-ägyptische Mappe sehen. Es geht aber<lb/>
dieser Mappe bald sehr schlecht. Licinius wird nach Rom abberufen, Hör muß<lb/>
zu seinen Priestern und Peinigern zurück. Die ketzerischen Kunstübungen werden<lb/>
von jenen vernichtet, der ungehorsame Hör, der von seinem neuen künstlerischen<lb/>
Ideal nicht lassen will, wird in den Kerker geworfen. Dort wird er brustkrank,<lb/>
schwindsüchtig. Das wollen aber die Priester, die ihn straften, doch auch nicht<lb/>
haben, sie brauchen sein Talent. Da bietet sich zum Glück Gelegenheit, Hör kostenlos<lb/>
in einen klimatischen Kurort zu schicken. Wenn der Leser nicht glaubt, daß<lb/>
schwerlich damals schon dieses modernste medizinische Verfahren bestanden habe, so<lb/>
möge er sich an die Autorität des Professor Ebers halten, der ausdrücklich davon<lb/>
spricht, daß die damaligen Ärzte den Kranken von diesem modernen Gesichts¬<lb/>
punkte knrirten.</p><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_4" type="poem">
              <l> Fort in die Wüste, lautet der Beschluß,<lb/>
Soll man sogleich den kranken Jüngling senden;<lb/>
Zu feuchte Dünste atmen Strand und Fluß &#x2014;<lb/>
Sein Leiden wird sich bald zum Bessern wenden,<lb/>
Kann man den siechen Lungen den Genuß<lb/>
Der Wüstenluft, der reinen, trocknen, spenden.<lb/>
Und Isis selbst, sie eilt sich, zu bekunden,<lb/>
Daß ihren Beifall dieser Rat gefunden.</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1137"> Isis ist nicht die einzige mythologische Gestalt in der poetischen Maschinerie<lb/>
des Herrn Professors. Er bedient sich auch in der Weise der schlechten Dichter<lb/>
der Renaissance der griechischen Götter, um prosaische Worte zu vermeiden (Eos,<lb/>
Amor. Philomele), obgleich in den Ideenkreis seiner Ägypter diese Griechen gar<lb/>
nicht hineinpassen.  Also Isis kommt zu Hilfe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1138" next="#ID_1139"> Die benachbarten Blemmyer, ein wilder Volksstamm, sind so barbarisch,<lb/>
daß sie nur vom Raube leben, daß ihr Fürst Dusare seinen glänzend braunen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0317] Llifen. haben Elterngewalt über ihn, der eine Waise ist. „Sein Nahen schloß des Mutterlebens Thor," sagt Ebers in unvorstellbaren Bilde, auch Hors Vater starb früh: „Kein Herz(!) hat ihn Avr^ jemals warm umfangen (!)." Da lernt zum Glück Hadrians Statthalter in Ägypten, der greise Licinius, den jungen Künstler kennen und zieht ihn an seinen Hof. Dort lebt auch der Dichter Juvenal in der Verbannung, und dieser führt Hör in die hellenische Kunstreligion ein, zeigt ihm plastische Meisterwerke und rät ihm, nicht bloß zu kopiren, sondern frisch ins volle Leben zu greifen, sich in ein lebendiges, schönes Mädchen zu verlieben und es nachzubilden. Hör ist sehr fleißig: „unermüdlich braucht er Stift und Kreide" — ganz wie ein junger Münchner, obgleich die Kreide ihm unbekannt und wertlos gewesen sein dürfte; denn ausdrücklich heißt es später: Schon werden seine Mappen schwer und schwerer - Von der kopieubedeckten Tafeln Last. Gern würden wir einmal so eine altrömisch-ägyptische Mappe sehen. Es geht aber dieser Mappe bald sehr schlecht. Licinius wird nach Rom abberufen, Hör muß zu seinen Priestern und Peinigern zurück. Die ketzerischen Kunstübungen werden von jenen vernichtet, der ungehorsame Hör, der von seinem neuen künstlerischen Ideal nicht lassen will, wird in den Kerker geworfen. Dort wird er brustkrank, schwindsüchtig. Das wollen aber die Priester, die ihn straften, doch auch nicht haben, sie brauchen sein Talent. Da bietet sich zum Glück Gelegenheit, Hör kostenlos in einen klimatischen Kurort zu schicken. Wenn der Leser nicht glaubt, daß schwerlich damals schon dieses modernste medizinische Verfahren bestanden habe, so möge er sich an die Autorität des Professor Ebers halten, der ausdrücklich davon spricht, daß die damaligen Ärzte den Kranken von diesem modernen Gesichts¬ punkte knrirten. Fort in die Wüste, lautet der Beschluß, Soll man sogleich den kranken Jüngling senden; Zu feuchte Dünste atmen Strand und Fluß — Sein Leiden wird sich bald zum Bessern wenden, Kann man den siechen Lungen den Genuß Der Wüstenluft, der reinen, trocknen, spenden. Und Isis selbst, sie eilt sich, zu bekunden, Daß ihren Beifall dieser Rat gefunden. Isis ist nicht die einzige mythologische Gestalt in der poetischen Maschinerie des Herrn Professors. Er bedient sich auch in der Weise der schlechten Dichter der Renaissance der griechischen Götter, um prosaische Worte zu vermeiden (Eos, Amor. Philomele), obgleich in den Ideenkreis seiner Ägypter diese Griechen gar nicht hineinpassen. Also Isis kommt zu Hilfe. Die benachbarten Blemmyer, ein wilder Volksstamm, sind so barbarisch, daß sie nur vom Raube leben, daß ihr Fürst Dusare seinen glänzend braunen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/317
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/317>, abgerufen am 23.06.2024.