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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Umreisen Leserkreis; deren Sprache von schwülstigen Wendungen, von unmög¬
lichen Bildern, von abgegriffenem Phrasen strotzt; die überall einen bedenklichen
Mangel an Sinn für historische Wahrheit, für Einheit im Kolorit, für schlichte
Natürlichkeit, für künstlerischen Stil bekundet: eine solche Dichtung ist -- der
Wüstentraum "Elisen" von Georg Ebers.

Da stehen sich min zwei Urteile schroff gegenüber. Welches hat Recht?
Beide sind im Rechte! Denn wenn man näher zusieht, sind sie durchaus nicht
so schroff einander entgegengesetzt. In aller Kunst kommt es weit weniger
darauf an, was der Künstler schaffen wollte, als darauf, was er in Wahrheit
erreicht hat. An Bildung fehlt es dem viel reflektirenden Dichter und Pro¬
fessor keineswegs, wohl aber an dem ursprünglich künstlerischen Vermögen und
an gutem Geschmack. Und er ist vorsichtig genug gewesen, nur jene artigen
Sätze Wischers mitzuteilen, welche seine Absichten ins Auge faßten, nicht auch
die, welche sich damit beschäftigen, zu beurteilen, wie weit er ihnen gerecht ge¬
worden ist. Diese Ergänzung wollen wir nun vornehmen.

Geniale Ausnahmsmenschen, deren Entwicklung und Schaffenskraft sich von
vornherein jeder nüchternen Beobachtung, jeder möglichen Nachempfindung ent¬
ziehen, sind überhaupt ein fataler dichterischer Vorwurf. Der Dichter und zumal
der Epiker soll uns ein Bild der uns bekannten menschlichen Natur geben;
streng genommen, ist selbst der historische Mensch im dichterischen Kunstwerk
keine wahre Gestalt, es ist vielmehr erfüllt von dem Geiste der Zeit, in welcher
der Dichter schafft, und höchst selten von derjenigen, in der ihr wirkliches Ori¬
ginal lebte. Die großen Meister der Kunst hielten sich daher immer an die
normale menschliche Natur ihrer eignen Zeit; die Leidenschaften ihrer Helden
konnten sie ins Ungewöhnliche steigern, und mußten es häusig, um ästhetisch
mächtiger zu interessiren, nicht aber die Intelligenz ihrer Helden. Wer sich
daher auf die Erfindung von Genies in der Dichtung verlegt, darf uns ein
Mißtrauen gegen seine künstlerische Redlichkeit nicht verargen. Was läßt sich
nicht alles einem solchen Genie andichten! Es ist ja immer das größte Wunder
selbst, und wir werden verpflichtet, daran zu glauben, obwohl wir an die weit
kleinern Wunder Mosis z. B. nicht mehr glauben wollen und können. Durch
nichts andres als durch überschwängliche Wendungen, dnrch philosophische Kon¬
struktion vermag uns Ebers von den genialen Thaten seines Helden zu über¬
zeugen, und das ist eben schon undichterisch. So müssen wir denn auch auf
Treu und Glanben hinnehmen, daß der Priesterzögling Hör, der zur Zeit
Hadrians in Ägypten lebte, ein fabelhaftes Genie von Bildhauer sei, ein wahrer
Galilei seiner Kunst. Unbewußt durchbrach er die Schranken der Überlieferung,
getrieben vom Genius der Schönheit selbst, und anstatt Götterstatuen nach der
bekannten ägyptischen Schablone mit Zirkel und Maßstab auszuhauen, schuf er
frei individualisirte Kunstwerke, beseelt von einem neuen Geiste. Die Priester
zürnen dem jungen Genius als einem Ketzer und quälen ihn auch, denn sie


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Umreisen Leserkreis; deren Sprache von schwülstigen Wendungen, von unmög¬
lichen Bildern, von abgegriffenem Phrasen strotzt; die überall einen bedenklichen
Mangel an Sinn für historische Wahrheit, für Einheit im Kolorit, für schlichte
Natürlichkeit, für künstlerischen Stil bekundet: eine solche Dichtung ist — der
Wüstentraum „Elisen" von Georg Ebers.

Da stehen sich min zwei Urteile schroff gegenüber. Welches hat Recht?
Beide sind im Rechte! Denn wenn man näher zusieht, sind sie durchaus nicht
so schroff einander entgegengesetzt. In aller Kunst kommt es weit weniger
darauf an, was der Künstler schaffen wollte, als darauf, was er in Wahrheit
erreicht hat. An Bildung fehlt es dem viel reflektirenden Dichter und Pro¬
fessor keineswegs, wohl aber an dem ursprünglich künstlerischen Vermögen und
an gutem Geschmack. Und er ist vorsichtig genug gewesen, nur jene artigen
Sätze Wischers mitzuteilen, welche seine Absichten ins Auge faßten, nicht auch
die, welche sich damit beschäftigen, zu beurteilen, wie weit er ihnen gerecht ge¬
worden ist. Diese Ergänzung wollen wir nun vornehmen.

Geniale Ausnahmsmenschen, deren Entwicklung und Schaffenskraft sich von
vornherein jeder nüchternen Beobachtung, jeder möglichen Nachempfindung ent¬
ziehen, sind überhaupt ein fataler dichterischer Vorwurf. Der Dichter und zumal
der Epiker soll uns ein Bild der uns bekannten menschlichen Natur geben;
streng genommen, ist selbst der historische Mensch im dichterischen Kunstwerk
keine wahre Gestalt, es ist vielmehr erfüllt von dem Geiste der Zeit, in welcher
der Dichter schafft, und höchst selten von derjenigen, in der ihr wirkliches Ori¬
ginal lebte. Die großen Meister der Kunst hielten sich daher immer an die
normale menschliche Natur ihrer eignen Zeit; die Leidenschaften ihrer Helden
konnten sie ins Ungewöhnliche steigern, und mußten es häusig, um ästhetisch
mächtiger zu interessiren, nicht aber die Intelligenz ihrer Helden. Wer sich
daher auf die Erfindung von Genies in der Dichtung verlegt, darf uns ein
Mißtrauen gegen seine künstlerische Redlichkeit nicht verargen. Was läßt sich
nicht alles einem solchen Genie andichten! Es ist ja immer das größte Wunder
selbst, und wir werden verpflichtet, daran zu glauben, obwohl wir an die weit
kleinern Wunder Mosis z. B. nicht mehr glauben wollen und können. Durch
nichts andres als durch überschwängliche Wendungen, dnrch philosophische Kon¬
struktion vermag uns Ebers von den genialen Thaten seines Helden zu über¬
zeugen, und das ist eben schon undichterisch. So müssen wir denn auch auf
Treu und Glanben hinnehmen, daß der Priesterzögling Hör, der zur Zeit
Hadrians in Ägypten lebte, ein fabelhaftes Genie von Bildhauer sei, ein wahrer
Galilei seiner Kunst. Unbewußt durchbrach er die Schranken der Überlieferung,
getrieben vom Genius der Schönheit selbst, und anstatt Götterstatuen nach der
bekannten ägyptischen Schablone mit Zirkel und Maßstab auszuhauen, schuf er
frei individualisirte Kunstwerke, beseelt von einem neuen Geiste. Die Priester
zürnen dem jungen Genius als einem Ketzer und quälen ihn auch, denn sie


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[0316] Lliftn. Umreisen Leserkreis; deren Sprache von schwülstigen Wendungen, von unmög¬ lichen Bildern, von abgegriffenem Phrasen strotzt; die überall einen bedenklichen Mangel an Sinn für historische Wahrheit, für Einheit im Kolorit, für schlichte Natürlichkeit, für künstlerischen Stil bekundet: eine solche Dichtung ist — der Wüstentraum „Elisen" von Georg Ebers. Da stehen sich min zwei Urteile schroff gegenüber. Welches hat Recht? Beide sind im Rechte! Denn wenn man näher zusieht, sind sie durchaus nicht so schroff einander entgegengesetzt. In aller Kunst kommt es weit weniger darauf an, was der Künstler schaffen wollte, als darauf, was er in Wahrheit erreicht hat. An Bildung fehlt es dem viel reflektirenden Dichter und Pro¬ fessor keineswegs, wohl aber an dem ursprünglich künstlerischen Vermögen und an gutem Geschmack. Und er ist vorsichtig genug gewesen, nur jene artigen Sätze Wischers mitzuteilen, welche seine Absichten ins Auge faßten, nicht auch die, welche sich damit beschäftigen, zu beurteilen, wie weit er ihnen gerecht ge¬ worden ist. Diese Ergänzung wollen wir nun vornehmen. Geniale Ausnahmsmenschen, deren Entwicklung und Schaffenskraft sich von vornherein jeder nüchternen Beobachtung, jeder möglichen Nachempfindung ent¬ ziehen, sind überhaupt ein fataler dichterischer Vorwurf. Der Dichter und zumal der Epiker soll uns ein Bild der uns bekannten menschlichen Natur geben; streng genommen, ist selbst der historische Mensch im dichterischen Kunstwerk keine wahre Gestalt, es ist vielmehr erfüllt von dem Geiste der Zeit, in welcher der Dichter schafft, und höchst selten von derjenigen, in der ihr wirkliches Ori¬ ginal lebte. Die großen Meister der Kunst hielten sich daher immer an die normale menschliche Natur ihrer eignen Zeit; die Leidenschaften ihrer Helden konnten sie ins Ungewöhnliche steigern, und mußten es häusig, um ästhetisch mächtiger zu interessiren, nicht aber die Intelligenz ihrer Helden. Wer sich daher auf die Erfindung von Genies in der Dichtung verlegt, darf uns ein Mißtrauen gegen seine künstlerische Redlichkeit nicht verargen. Was läßt sich nicht alles einem solchen Genie andichten! Es ist ja immer das größte Wunder selbst, und wir werden verpflichtet, daran zu glauben, obwohl wir an die weit kleinern Wunder Mosis z. B. nicht mehr glauben wollen und können. Durch nichts andres als durch überschwängliche Wendungen, dnrch philosophische Kon¬ struktion vermag uns Ebers von den genialen Thaten seines Helden zu über¬ zeugen, und das ist eben schon undichterisch. So müssen wir denn auch auf Treu und Glanben hinnehmen, daß der Priesterzögling Hör, der zur Zeit Hadrians in Ägypten lebte, ein fabelhaftes Genie von Bildhauer sei, ein wahrer Galilei seiner Kunst. Unbewußt durchbrach er die Schranken der Überlieferung, getrieben vom Genius der Schönheit selbst, und anstatt Götterstatuen nach der bekannten ägyptischen Schablone mit Zirkel und Maßstab auszuhauen, schuf er frei individualisirte Kunstwerke, beseelt von einem neuen Geiste. Die Priester zürnen dem jungen Genius als einem Ketzer und quälen ihn auch, denn sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/316>, abgerufen am 23.06.2024.