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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Llifen.

nähme, welche der auch von uns aufrichtig verehrte Kunstphilosoph seinen Werken
immer erwiesen habe -- nur schade, daß Bischer bei Lebzeiten diese Teilnahme
nie öffentlich bekundete! Wieviel hätte er dem von der bösen Kritik arg be¬
drängten Romanschreiber nützen können! "Elisen" hat Bischer noch selbst im
Manuskript gelesen und die Widmung des Gedichtes auch angenommen. Dem
Verfasser hat er darüber einen Brief geschrieben, aus dem Ebers diejenigen
Zeilen der Öffentlichkeit anvertraut, in welchen Bischer "mit jener divinatorischen
Kraft, die nur dem echten Genius eigen, dasjenige, was ihm >Ebers^j beim
Schaffen dieser Dichtung vorgeschwebt hatte, heraus- und nachempfunden hat."
Wie tief oder wie verworren muß eine Dichtung sein, daß es erst der "divina-
torischen Kraft" eines Genius vom Schlage Wischers bedarf, um ihre Absichten
herauszufinden! Hier ist offenbar im Lobe des Kritikers nur ein Selbstlob
des Dichters enthalten. Aber klug war es von Ebers, daß er aus dem Vischer-
schen Briefe nur diese zwei Sätze veröffentlichte -- klug, sagen wir, war es,
und nicht bescheiden, wie er glauben machen will. Denn wenn schon die
Autorität eines Bischer für den Wert einer Dichtung herangezogen werden soll,
so ist es doch wahrlich eine große Ungeschicklichkeit, das Urteil des großen
Kritikers zu verheimlichen. Ebers scheint uns nicht von der Bescheidenheit zu
sein, daß wir auf ihre Rechnung eine solche Ungeschicklichkeit setzen könnten.
Indem er sie dennoch beging, war er eben mehr klug als bescheiden. Und wir
müßten an der Wahrhaftigkeit wie an der Einsicht des kritischen Meisters ver¬
zweifeln -- denn Bischer war bei aller Artigkeit und Rücksicht auch im pri¬
vaten, nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Briefe ehrlich! --, wenn wir uns
hierin irrten.

Bischer hat das Thema dieses neuesten wüsten Traumes von Ebers in
einer zugleich so knappen und geistvoll erschöpfenden Formel zusammengefaßt,
daß man allerdings die Bewunderung des Dichters begreifen kann. Denn in
dem Vischerschen Spiegel sah er sich idealisirt wieder, und das geschah durch
die Höflichkeit des Kritikers. Bischer schrieb: "Eine Künstlerseele im Bann von
Priesterlichen Kunstformzwang, durch Einfluß der abendländischen Kulturwelt
befreit, von der Liebe begeistert, in der Geliebten unter wildem Naturvolk das
Vorbild für das Bild der Göttin erschauend. . .. Ein Menschenschicksal auf der
Folie großartiger Natur und großartig geschichtlichen Lebens, da in die afri¬
kanische Wüste ägyptische Kultur und Nömertum eingreift" -- das wäre die
Gestalt des Helden der Dichtung, des Bildhauers Hör. Kürzer und zugleich
getreuer konnte man allerdings nicht die dichterische Idee von Ebers zusammen¬
fassen. Wir aber, die wir nicht "divinatorisch" die Absichten des Verfassers
zu erraten berufen sind, sondern nur mit unbefangenem Gefühl die fertige
Dichtung lesen, fühlen uns gedrängt zu sagen: Eine Dichtung, in der es den
Charakteren an Plastik und Wahrheit fehlt; die mit ihrer billigen Schöngeisterei
und einer a 1a Ohnet klug versteckten Sinnlichkeit vollberechnet ist für ihren


Llifen.

nähme, welche der auch von uns aufrichtig verehrte Kunstphilosoph seinen Werken
immer erwiesen habe — nur schade, daß Bischer bei Lebzeiten diese Teilnahme
nie öffentlich bekundete! Wieviel hätte er dem von der bösen Kritik arg be¬
drängten Romanschreiber nützen können! „Elisen" hat Bischer noch selbst im
Manuskript gelesen und die Widmung des Gedichtes auch angenommen. Dem
Verfasser hat er darüber einen Brief geschrieben, aus dem Ebers diejenigen
Zeilen der Öffentlichkeit anvertraut, in welchen Bischer „mit jener divinatorischen
Kraft, die nur dem echten Genius eigen, dasjenige, was ihm >Ebers^j beim
Schaffen dieser Dichtung vorgeschwebt hatte, heraus- und nachempfunden hat."
Wie tief oder wie verworren muß eine Dichtung sein, daß es erst der „divina-
torischen Kraft" eines Genius vom Schlage Wischers bedarf, um ihre Absichten
herauszufinden! Hier ist offenbar im Lobe des Kritikers nur ein Selbstlob
des Dichters enthalten. Aber klug war es von Ebers, daß er aus dem Vischer-
schen Briefe nur diese zwei Sätze veröffentlichte — klug, sagen wir, war es,
und nicht bescheiden, wie er glauben machen will. Denn wenn schon die
Autorität eines Bischer für den Wert einer Dichtung herangezogen werden soll,
so ist es doch wahrlich eine große Ungeschicklichkeit, das Urteil des großen
Kritikers zu verheimlichen. Ebers scheint uns nicht von der Bescheidenheit zu
sein, daß wir auf ihre Rechnung eine solche Ungeschicklichkeit setzen könnten.
Indem er sie dennoch beging, war er eben mehr klug als bescheiden. Und wir
müßten an der Wahrhaftigkeit wie an der Einsicht des kritischen Meisters ver¬
zweifeln — denn Bischer war bei aller Artigkeit und Rücksicht auch im pri¬
vaten, nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Briefe ehrlich! —, wenn wir uns
hierin irrten.

Bischer hat das Thema dieses neuesten wüsten Traumes von Ebers in
einer zugleich so knappen und geistvoll erschöpfenden Formel zusammengefaßt,
daß man allerdings die Bewunderung des Dichters begreifen kann. Denn in
dem Vischerschen Spiegel sah er sich idealisirt wieder, und das geschah durch
die Höflichkeit des Kritikers. Bischer schrieb: „Eine Künstlerseele im Bann von
Priesterlichen Kunstformzwang, durch Einfluß der abendländischen Kulturwelt
befreit, von der Liebe begeistert, in der Geliebten unter wildem Naturvolk das
Vorbild für das Bild der Göttin erschauend. . .. Ein Menschenschicksal auf der
Folie großartiger Natur und großartig geschichtlichen Lebens, da in die afri¬
kanische Wüste ägyptische Kultur und Nömertum eingreift" — das wäre die
Gestalt des Helden der Dichtung, des Bildhauers Hör. Kürzer und zugleich
getreuer konnte man allerdings nicht die dichterische Idee von Ebers zusammen¬
fassen. Wir aber, die wir nicht „divinatorisch" die Absichten des Verfassers
zu erraten berufen sind, sondern nur mit unbefangenem Gefühl die fertige
Dichtung lesen, fühlen uns gedrängt zu sagen: Eine Dichtung, in der es den
Charakteren an Plastik und Wahrheit fehlt; die mit ihrer billigen Schöngeisterei
und einer a 1a Ohnet klug versteckten Sinnlichkeit vollberechnet ist für ihren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/315>, abgerufen am 23.06.2024.