Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.Der deutsche Bund. Thatsächlich aber war der Bund damals bereits aufgelöst, und die ganze Heer¬ Daß während der Zeit des Bestehens des Bundes Deutschland wenigstens Daß ungefähr ein Menschenalter lang nach Stiftung des Bundes Ruhe Freilich war jene Ruhe zum Teil nur die Ruhe eiues Kirchhofs. Nach¬ Wie im vorigen Jahrhundert, in der Zeit der tiefsten Schwäche und der gänz¬ Grenzboten I- 1SW. 37
Der deutsche Bund. Thatsächlich aber war der Bund damals bereits aufgelöst, und die ganze Heer¬ Daß während der Zeit des Bestehens des Bundes Deutschland wenigstens Daß ungefähr ein Menschenalter lang nach Stiftung des Bundes Ruhe Freilich war jene Ruhe zum Teil nur die Ruhe eiues Kirchhofs. Nach¬ Wie im vorigen Jahrhundert, in der Zeit der tiefsten Schwäche und der gänz¬ Grenzboten I- 1SW. 37
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Der deutsche Bund.
Thatsächlich aber war der Bund damals bereits aufgelöst, und die ganze Heer¬
führung jener bezeichneten Truppenteile war, ohne den tapfern Mannschaften
damit zu nahe treten zu wollen, schließlich nur eine vermehrte und verbesserte
Auflage der alten Reichsstrategie.
Daß während der Zeit des Bestehens des Bundes Deutschland wenigstens
vor großen europäische,? Kriegen bewahrt worden ist, haben einige Lobredner
desselben — denn sogar diese Jammerverfassung fand nach ihrem Hinscheiden
bei einzelnen denkträgen Gewohnheitsmenschen Lobredner — dieser vorzüglichen
Einrichtung zuschreiben wollen. Unzweifelhaft jedoch bestand sein Verdienst
höchstens in der gewohnten vis insrtiaö, der Unbeholfenheit aller seiner Einrich¬
tungen, und keine fremde Macht konnte einen Noch höhern Grad der politischen
Ohnmacht und Bedeutungslosigkeit für Deutschland verlangen; vielmehr mußte
sich jede sagen, daß ein gewaltthätiger Angriff von außen diese louräs L.lls-
am Ende gar zu einem kräftigen politischen und militärischen Auf¬
schwünge bringen könnte.
Daß ungefähr ein Menschenalter lang nach Stiftung des Bundes Ruhe
und Frieden nach außen und innen Deutschland erhalten blieb, das beruhte
hauptsächlich darauf, daß nach den zweiundzwanzigjährigen mörderischen Kriegen
(von 1793 bis 1815), welche nur mit kurzen Unterbrechungen fast alle Länder
Europas durchtobt hatten, alle Völker, erschöpft und zum Tode matt, der Ruhe
bedurften, um sich zu erholen. Dieses Rnhebedürfnis war aber natürlich in
Deutschland größer als in irgend einem andern Lande; denn kein andres Land
hatte in dem Maße unter den Leiden und Greueln des Krieges gelitten wie unser
Vaterland.
Freilich war jene Ruhe zum Teil nur die Ruhe eiues Kirchhofs. Nach¬
dem die brausende Schwärmerei der patriotischen Jugend, namentlich der
studirenden, die im Wartburgfeste ihren Ausdruck gefunden hatte, durch die
Demagogenverfolgungen zum Schweigen gebracht, nachdem die Presse geknebelt
und fast mundtot gemacht war, schien alles politische Leben erstickt und erstorben
zu sein; der nationale Pulsschlag des öffentlichen Lebens schien stillzustehen.
Die Zuckungen im Jahre 1830, das lärmende Hambacher Fest mit seinen tollen
Reden und utopistischen Wünschen, die Aufstände in einzelnen deutschen Ländern,
der Schloßbrcmd in Braunschweig, einige Jahre später das sogenannte Frank¬
furter Attentat, durch welches der Bundestag gesprengt werden sollte, bewiesen
zwar, daß in der Tiefe ganz andre Kräfte schlummerten, als man an der
Oberfläche wahrnehmen konnte. Aber dieses plötzliche Aufflackern der politischen,
revolutionären Leidenschaften ging ebenso rasch vorüber, wie es eingetreten war,
und veranlaßte nur eine verstärkte Reaktion. Die dumpfe Ruhe, welche über dem
politischen Leben Deutschlands ruhte, wurde nur für Augenblicke unterbrochen.
Wie im vorigen Jahrhundert, in der Zeit der tiefsten Schwäche und der gänz¬
lichen politischen Entartung Deutschlands, das „Volk der Dichter und Denker" sein
Grenzboten I- 1SW. 37
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