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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Unsre Landwirtschaft und ihre amerikanische Konkurrenz.

Sucht dem gegenüber die Staatsgewalt das Einkommen der Grundbesitzer auf
der frühern Höhe zu erhalten, so widersetzt sie sich jener Verschiebung, tritt ein
für die Besitzenden auf Kosten der Besitzlosen. Auch ist es verkehrt, zur Recht¬
fertigung der Getreidezölle von einem drohenden Untergange unsrer Landwirt¬
schaft oder Getreidcprodultion zu reden. Es handelt sich selbstverständlich nur
um den zu fürchtenden Ruin der jetzigen Landwirte."

Damit ist eigentlich ausgesprochen, daß nicht sowohl unsre Landwirtschaft,
als vielmehr unsre Landeigentümer leiden, mit andern Worten, daß der
Preisrückgang am meisten auf die Bodenrenke drückt. Von dem Sinken der
Bodenrenke wollen aber weder die Agrarier etwas hören, noch geben es die
Manchesterleute zu. Denn nach Ricardos Glaubenssatz wird die Bodenrenke
bestimmt durch den Unterschied an Ertrag zwischen dem besten und dem geringsten
in Anbau genommenen Land; und da fortwährend geringeres Land in Anbau
genommen wird, so muß uach diesem Satze die Grundrente naturgemäß immer
steigen; Henry George folgert daraus ganz richtig ein stetiges Sinken von Zins
und Arbeitslohn, weshalb er denn das Monopol des Grundeigentums ab¬
schaffen will.

Wie steht es aber in Wirklichkeit? Wenn nicht alles trügt, so ist die Rente
aus Grund und Boden fast überall, dem Glaubenssätze entgegen, im Sinken be¬
griffen, in Irland, in England, in Schottland, in Mecklenburg, in Preußen,
überall müssen die Pachtpreise namhaft herabgesetzt werden. Die Untersuchungen
Serings selbst liefern dazu vielfache Beweise. Der Ricardosche Satz kann also
nicht richtig sein oder ist es nicht mehr. Seine scharfe Unterscheidung zwischen
Land und Kapital mochte zu seiner Zeit und mag vielleicht noch jetzt für England
richtig sein; ein Land, wo sich fast der gesamte Grund und Boden im Besitze
weniger Personen befindet, wo diese ihr Eigentum nicht gegen Kapital einge¬
tauscht, sondern es als Monopol von der Staatsgewalt erhalten haben, wo
das Grundeigentum geschlossen und dem Austausch gegen Kapital, wie über¬
haupt dem Vesitzwechsel fast ganz entzogen ist; in einem Lande, wo sich die
Eigentümer mit der Bebauung ihrer Latifundien nicht befassen, sondern sie
der Ausbeute einer kapitalistischen Püchterklasse überlassen; in einem solchen
Lande, das weder vermessen ist noch Grundbücher hat, Hypotheken daher kaum
dem Namen nach kennt, mochte oder mag ein innerer Gegensatz zwischen Land
und Kapital begründet sein. Aber alle diese Verhältnisse sind uns (mit ge¬
ringen Ausnahmen) unbekannt. Selbst die großen Güter, wo sie etwa nach¬
weislich geschlossen sind, sind es nicht dem Besitze, sondern nur der Begrenzung
nach; sie wandern von Hand zu Hand, und jedermann weiß, daß die Ritter¬
güter in jeder Zeitung angeboten und gesucht werden wie jede andre Waare.
Das sogenannte unbewegliche Eigentum hat längst aufgehört, unbeweglich zu
sein, es setzt sich fortwährend um in baares Geld, so gut wie die Erzeugnisse
der Industrie. Es ist daher nicht einzusehen, warum Kapital und Land grünt-


Unsre Landwirtschaft und ihre amerikanische Konkurrenz.

Sucht dem gegenüber die Staatsgewalt das Einkommen der Grundbesitzer auf
der frühern Höhe zu erhalten, so widersetzt sie sich jener Verschiebung, tritt ein
für die Besitzenden auf Kosten der Besitzlosen. Auch ist es verkehrt, zur Recht¬
fertigung der Getreidezölle von einem drohenden Untergange unsrer Landwirt¬
schaft oder Getreidcprodultion zu reden. Es handelt sich selbstverständlich nur
um den zu fürchtenden Ruin der jetzigen Landwirte."

Damit ist eigentlich ausgesprochen, daß nicht sowohl unsre Landwirtschaft,
als vielmehr unsre Landeigentümer leiden, mit andern Worten, daß der
Preisrückgang am meisten auf die Bodenrenke drückt. Von dem Sinken der
Bodenrenke wollen aber weder die Agrarier etwas hören, noch geben es die
Manchesterleute zu. Denn nach Ricardos Glaubenssatz wird die Bodenrenke
bestimmt durch den Unterschied an Ertrag zwischen dem besten und dem geringsten
in Anbau genommenen Land; und da fortwährend geringeres Land in Anbau
genommen wird, so muß uach diesem Satze die Grundrente naturgemäß immer
steigen; Henry George folgert daraus ganz richtig ein stetiges Sinken von Zins
und Arbeitslohn, weshalb er denn das Monopol des Grundeigentums ab¬
schaffen will.

Wie steht es aber in Wirklichkeit? Wenn nicht alles trügt, so ist die Rente
aus Grund und Boden fast überall, dem Glaubenssätze entgegen, im Sinken be¬
griffen, in Irland, in England, in Schottland, in Mecklenburg, in Preußen,
überall müssen die Pachtpreise namhaft herabgesetzt werden. Die Untersuchungen
Serings selbst liefern dazu vielfache Beweise. Der Ricardosche Satz kann also
nicht richtig sein oder ist es nicht mehr. Seine scharfe Unterscheidung zwischen
Land und Kapital mochte zu seiner Zeit und mag vielleicht noch jetzt für England
richtig sein; ein Land, wo sich fast der gesamte Grund und Boden im Besitze
weniger Personen befindet, wo diese ihr Eigentum nicht gegen Kapital einge¬
tauscht, sondern es als Monopol von der Staatsgewalt erhalten haben, wo
das Grundeigentum geschlossen und dem Austausch gegen Kapital, wie über¬
haupt dem Vesitzwechsel fast ganz entzogen ist; in einem Lande, wo sich die
Eigentümer mit der Bebauung ihrer Latifundien nicht befassen, sondern sie
der Ausbeute einer kapitalistischen Püchterklasse überlassen; in einem solchen
Lande, das weder vermessen ist noch Grundbücher hat, Hypotheken daher kaum
dem Namen nach kennt, mochte oder mag ein innerer Gegensatz zwischen Land
und Kapital begründet sein. Aber alle diese Verhältnisse sind uns (mit ge¬
ringen Ausnahmen) unbekannt. Selbst die großen Güter, wo sie etwa nach¬
weislich geschlossen sind, sind es nicht dem Besitze, sondern nur der Begrenzung
nach; sie wandern von Hand zu Hand, und jedermann weiß, daß die Ritter¬
güter in jeder Zeitung angeboten und gesucht werden wie jede andre Waare.
Das sogenannte unbewegliche Eigentum hat längst aufgehört, unbeweglich zu
sein, es setzt sich fortwährend um in baares Geld, so gut wie die Erzeugnisse
der Industrie. Es ist daher nicht einzusehen, warum Kapital und Land grünt-


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[0288] Unsre Landwirtschaft und ihre amerikanische Konkurrenz. Sucht dem gegenüber die Staatsgewalt das Einkommen der Grundbesitzer auf der frühern Höhe zu erhalten, so widersetzt sie sich jener Verschiebung, tritt ein für die Besitzenden auf Kosten der Besitzlosen. Auch ist es verkehrt, zur Recht¬ fertigung der Getreidezölle von einem drohenden Untergange unsrer Landwirt¬ schaft oder Getreidcprodultion zu reden. Es handelt sich selbstverständlich nur um den zu fürchtenden Ruin der jetzigen Landwirte." Damit ist eigentlich ausgesprochen, daß nicht sowohl unsre Landwirtschaft, als vielmehr unsre Landeigentümer leiden, mit andern Worten, daß der Preisrückgang am meisten auf die Bodenrenke drückt. Von dem Sinken der Bodenrenke wollen aber weder die Agrarier etwas hören, noch geben es die Manchesterleute zu. Denn nach Ricardos Glaubenssatz wird die Bodenrenke bestimmt durch den Unterschied an Ertrag zwischen dem besten und dem geringsten in Anbau genommenen Land; und da fortwährend geringeres Land in Anbau genommen wird, so muß uach diesem Satze die Grundrente naturgemäß immer steigen; Henry George folgert daraus ganz richtig ein stetiges Sinken von Zins und Arbeitslohn, weshalb er denn das Monopol des Grundeigentums ab¬ schaffen will. Wie steht es aber in Wirklichkeit? Wenn nicht alles trügt, so ist die Rente aus Grund und Boden fast überall, dem Glaubenssätze entgegen, im Sinken be¬ griffen, in Irland, in England, in Schottland, in Mecklenburg, in Preußen, überall müssen die Pachtpreise namhaft herabgesetzt werden. Die Untersuchungen Serings selbst liefern dazu vielfache Beweise. Der Ricardosche Satz kann also nicht richtig sein oder ist es nicht mehr. Seine scharfe Unterscheidung zwischen Land und Kapital mochte zu seiner Zeit und mag vielleicht noch jetzt für England richtig sein; ein Land, wo sich fast der gesamte Grund und Boden im Besitze weniger Personen befindet, wo diese ihr Eigentum nicht gegen Kapital einge¬ tauscht, sondern es als Monopol von der Staatsgewalt erhalten haben, wo das Grundeigentum geschlossen und dem Austausch gegen Kapital, wie über¬ haupt dem Vesitzwechsel fast ganz entzogen ist; in einem Lande, wo sich die Eigentümer mit der Bebauung ihrer Latifundien nicht befassen, sondern sie der Ausbeute einer kapitalistischen Püchterklasse überlassen; in einem solchen Lande, das weder vermessen ist noch Grundbücher hat, Hypotheken daher kaum dem Namen nach kennt, mochte oder mag ein innerer Gegensatz zwischen Land und Kapital begründet sein. Aber alle diese Verhältnisse sind uns (mit ge¬ ringen Ausnahmen) unbekannt. Selbst die großen Güter, wo sie etwa nach¬ weislich geschlossen sind, sind es nicht dem Besitze, sondern nur der Begrenzung nach; sie wandern von Hand zu Hand, und jedermann weiß, daß die Ritter¬ güter in jeder Zeitung angeboten und gesucht werden wie jede andre Waare. Das sogenannte unbewegliche Eigentum hat längst aufgehört, unbeweglich zu sein, es setzt sich fortwährend um in baares Geld, so gut wie die Erzeugnisse der Industrie. Es ist daher nicht einzusehen, warum Kapital und Land grünt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/288>, abgerufen am 22.06.2024.