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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Unsre Landwirtschaft und ihre amerikanische Konkurrenz.

nehmenden Nachfrage gleichen Schritt halten solle. So glaubt denn der Ver¬
fasser, daß eine Wiedererhöhung der Getreidepreise auf dem Weltmarkte in nicht
zu langer Zeit als wahrscheinlich anzusehen sei. Nur eins könne kraftvoll genug
erscheinen, die Gesundung zu hemmen, nämlich Verkehrserleichterungen, welche
plötzlich die Entfernungen zwischen weit entlegenen Produktionsgebieten und den
Verbrauchszentren beträchtlich abkürzen würden. Wenn nun auch die Trans¬
portkosten in Nordamerika (Panama-Kanal) noch ermäßigt werden könnten, so
sei doch hierzu ein langer Zeitraum erforderlich, innerhalb dessen die Wirkung
nur allmählich eintreten würde.

So zieht denn der Verfasser das Ergebnis seiner Forschungen dahin, daß
es sich bei dem gegenwärtigen niedrigen Stande der Getreidepreise um eine
vorübergehende Erscheinung handle. Es sei eine Krisis, hervorgerufen durch
die rasche Besiedelung fremder Erdteile und den Ausbau des modernen Ver¬
kehrsnetzes, deren baldiges Ende hauptsächlich auf Grund der Thatsachen
zu erwarten sei, daß die Niederlassung in Nordamerika in Zukunft mit größern
Schwierigkeiten verbunden sein werde als bisher, und daß die Krisis alle ge-
treideprodnzirenden Länder gleichmäßig ergriffen, die privatwirtschaftlichen Grund¬
lagen der Volkswirtschaft aller Kulturvölker gleichmäßig erschüttert habe. Daraus
folgert denn der Verfasser, "daß, wenn jemals Schutzzölle gerechtfertigt waren,
es diejenigen seien, welche die mitteleuropäischen Staaten zur Erhaltung ihres
Grundbesitzerstandes errichtet haben." Er läßt sie aber nur als eine vorüber¬
gehende Maßregel gelten, und befürwortet deshalb eine gewisse Beweglichkeit
der Getreidezölle, sei es, daß man auf das alte, freilich mit gewissen Mängeln
behaftete englische System einer gleitenden Skala zurückgreife, sei es, daß man
dem Bundesrate überlasse, auf dem Verordnungswege Erhöhungen oder Er¬
niedrigungen der Zölle zu verfügen.

Ein letztes Kapitel behandelt die Konkurrenz der nordamerikanischen Vieh¬
zucht mit der unsrigen. Hier werden die Zucht des Rindviehs, der Schweine, der
Schafe, der Pferde, die Milch- und Käsewirtschaft, die Viehzucht der Steppen,
die Organisation des Handels mit den Produkten der Viehzucht ausführlich er¬
örtert. Wir beschränken uns auch hier darauf, die Ansicht des Verfassers mit¬
zuteilen, daß eine Konkurrenz Nordamerikas in dieser Produktion für Deutsch¬
land nur wenig zu befürchten sei.

Wir könnten unsern Bericht hiermit schließen, wenn wir nicht noch einige
Bemerkungen hinzufügen müßten. Einen sehr hervorstechenden Ausspruch, viel¬
leicht den bemerkenswertesten des ganzen Buches, thut der Verfasser S. 588:
"Wenn -- sagt er -- gegenwärtig bei sinkenden Getreidepreisen die Grundrente
abnimmt, gleichzeitig die Höhe des Zinsfußes und der Unternehmergewinne
zurückgeht, die Löhne hingegen im wesentlichen unverändert bleiben, so bedeutet
das eine Vergrößerung des Anteils der besitzlosen Klassen am Reinertrage
unsrer Volkswirtschaft unter Verringerung des Anteils der besitzenden Klassen.


Unsre Landwirtschaft und ihre amerikanische Konkurrenz.

nehmenden Nachfrage gleichen Schritt halten solle. So glaubt denn der Ver¬
fasser, daß eine Wiedererhöhung der Getreidepreise auf dem Weltmarkte in nicht
zu langer Zeit als wahrscheinlich anzusehen sei. Nur eins könne kraftvoll genug
erscheinen, die Gesundung zu hemmen, nämlich Verkehrserleichterungen, welche
plötzlich die Entfernungen zwischen weit entlegenen Produktionsgebieten und den
Verbrauchszentren beträchtlich abkürzen würden. Wenn nun auch die Trans¬
portkosten in Nordamerika (Panama-Kanal) noch ermäßigt werden könnten, so
sei doch hierzu ein langer Zeitraum erforderlich, innerhalb dessen die Wirkung
nur allmählich eintreten würde.

So zieht denn der Verfasser das Ergebnis seiner Forschungen dahin, daß
es sich bei dem gegenwärtigen niedrigen Stande der Getreidepreise um eine
vorübergehende Erscheinung handle. Es sei eine Krisis, hervorgerufen durch
die rasche Besiedelung fremder Erdteile und den Ausbau des modernen Ver¬
kehrsnetzes, deren baldiges Ende hauptsächlich auf Grund der Thatsachen
zu erwarten sei, daß die Niederlassung in Nordamerika in Zukunft mit größern
Schwierigkeiten verbunden sein werde als bisher, und daß die Krisis alle ge-
treideprodnzirenden Länder gleichmäßig ergriffen, die privatwirtschaftlichen Grund¬
lagen der Volkswirtschaft aller Kulturvölker gleichmäßig erschüttert habe. Daraus
folgert denn der Verfasser, „daß, wenn jemals Schutzzölle gerechtfertigt waren,
es diejenigen seien, welche die mitteleuropäischen Staaten zur Erhaltung ihres
Grundbesitzerstandes errichtet haben." Er läßt sie aber nur als eine vorüber¬
gehende Maßregel gelten, und befürwortet deshalb eine gewisse Beweglichkeit
der Getreidezölle, sei es, daß man auf das alte, freilich mit gewissen Mängeln
behaftete englische System einer gleitenden Skala zurückgreife, sei es, daß man
dem Bundesrate überlasse, auf dem Verordnungswege Erhöhungen oder Er¬
niedrigungen der Zölle zu verfügen.

Ein letztes Kapitel behandelt die Konkurrenz der nordamerikanischen Vieh¬
zucht mit der unsrigen. Hier werden die Zucht des Rindviehs, der Schweine, der
Schafe, der Pferde, die Milch- und Käsewirtschaft, die Viehzucht der Steppen,
die Organisation des Handels mit den Produkten der Viehzucht ausführlich er¬
örtert. Wir beschränken uns auch hier darauf, die Ansicht des Verfassers mit¬
zuteilen, daß eine Konkurrenz Nordamerikas in dieser Produktion für Deutsch¬
land nur wenig zu befürchten sei.

Wir könnten unsern Bericht hiermit schließen, wenn wir nicht noch einige
Bemerkungen hinzufügen müßten. Einen sehr hervorstechenden Ausspruch, viel¬
leicht den bemerkenswertesten des ganzen Buches, thut der Verfasser S. 588:
„Wenn — sagt er — gegenwärtig bei sinkenden Getreidepreisen die Grundrente
abnimmt, gleichzeitig die Höhe des Zinsfußes und der Unternehmergewinne
zurückgeht, die Löhne hingegen im wesentlichen unverändert bleiben, so bedeutet
das eine Vergrößerung des Anteils der besitzlosen Klassen am Reinertrage
unsrer Volkswirtschaft unter Verringerung des Anteils der besitzenden Klassen.


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[0287] Unsre Landwirtschaft und ihre amerikanische Konkurrenz. nehmenden Nachfrage gleichen Schritt halten solle. So glaubt denn der Ver¬ fasser, daß eine Wiedererhöhung der Getreidepreise auf dem Weltmarkte in nicht zu langer Zeit als wahrscheinlich anzusehen sei. Nur eins könne kraftvoll genug erscheinen, die Gesundung zu hemmen, nämlich Verkehrserleichterungen, welche plötzlich die Entfernungen zwischen weit entlegenen Produktionsgebieten und den Verbrauchszentren beträchtlich abkürzen würden. Wenn nun auch die Trans¬ portkosten in Nordamerika (Panama-Kanal) noch ermäßigt werden könnten, so sei doch hierzu ein langer Zeitraum erforderlich, innerhalb dessen die Wirkung nur allmählich eintreten würde. So zieht denn der Verfasser das Ergebnis seiner Forschungen dahin, daß es sich bei dem gegenwärtigen niedrigen Stande der Getreidepreise um eine vorübergehende Erscheinung handle. Es sei eine Krisis, hervorgerufen durch die rasche Besiedelung fremder Erdteile und den Ausbau des modernen Ver¬ kehrsnetzes, deren baldiges Ende hauptsächlich auf Grund der Thatsachen zu erwarten sei, daß die Niederlassung in Nordamerika in Zukunft mit größern Schwierigkeiten verbunden sein werde als bisher, und daß die Krisis alle ge- treideprodnzirenden Länder gleichmäßig ergriffen, die privatwirtschaftlichen Grund¬ lagen der Volkswirtschaft aller Kulturvölker gleichmäßig erschüttert habe. Daraus folgert denn der Verfasser, „daß, wenn jemals Schutzzölle gerechtfertigt waren, es diejenigen seien, welche die mitteleuropäischen Staaten zur Erhaltung ihres Grundbesitzerstandes errichtet haben." Er läßt sie aber nur als eine vorüber¬ gehende Maßregel gelten, und befürwortet deshalb eine gewisse Beweglichkeit der Getreidezölle, sei es, daß man auf das alte, freilich mit gewissen Mängeln behaftete englische System einer gleitenden Skala zurückgreife, sei es, daß man dem Bundesrate überlasse, auf dem Verordnungswege Erhöhungen oder Er¬ niedrigungen der Zölle zu verfügen. Ein letztes Kapitel behandelt die Konkurrenz der nordamerikanischen Vieh¬ zucht mit der unsrigen. Hier werden die Zucht des Rindviehs, der Schweine, der Schafe, der Pferde, die Milch- und Käsewirtschaft, die Viehzucht der Steppen, die Organisation des Handels mit den Produkten der Viehzucht ausführlich er¬ örtert. Wir beschränken uns auch hier darauf, die Ansicht des Verfassers mit¬ zuteilen, daß eine Konkurrenz Nordamerikas in dieser Produktion für Deutsch¬ land nur wenig zu befürchten sei. Wir könnten unsern Bericht hiermit schließen, wenn wir nicht noch einige Bemerkungen hinzufügen müßten. Einen sehr hervorstechenden Ausspruch, viel¬ leicht den bemerkenswertesten des ganzen Buches, thut der Verfasser S. 588: „Wenn — sagt er — gegenwärtig bei sinkenden Getreidepreisen die Grundrente abnimmt, gleichzeitig die Höhe des Zinsfußes und der Unternehmergewinne zurückgeht, die Löhne hingegen im wesentlichen unverändert bleiben, so bedeutet das eine Vergrößerung des Anteils der besitzlosen Klassen am Reinertrage unsrer Volkswirtschaft unter Verringerung des Anteils der besitzenden Klassen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/287>, abgerufen am 22.06.2024.