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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Unsre Landwirtschaft und ihre amerikanische Konkurrenz.

meindebesitz ist nirgends Vorsorge getroffen, ein Mangel, der sich in nicht sehr
ferner Zeit sehr fühlbar machen wird.

Dagegen hebt der Verfasser als einen sehr bedeutenden Vorzug der ameri¬
kanischen Wirtschaft die geachtete soziale Stellung des Farmers hervor. Was
die Arbeit überhaupt und insbesondre die bäuerliche Arbeit bei uns bis zum
heutigen Tage drücke, sei das unsrer Nation von Alters her anhaftende Vor¬
urteil, welches dem Städter einredet, er sei besser als der Landbewohner, dem
Rittergutsbesitzer, er sei mehr als der Bauer, dem Gelehrten, Beamten oder
Soldaten, er stehe höher als der Gewerbtreibende, während doch alle nichts
seien als gleichartige Glieder in der großen Kette der Gesamtheit. In Amerika
dagegen sei jede Form der Arbeit gleich hoch geschätzt und aus demselben Farm¬
hause gingen Kaufleute, Rechtsgelehrte und Prediger hervor; fünfzehn von ein¬
undzwanzig Präsidenten sind Farmer oder Söhne von Farmern gewesen, ja zehn
unter ihnen sogar Söhne von kleinen Bauern!

Die amerikanische Heimstättengesetzgebung entzieht den Grund und Boden
teils gänzlich, teils in sehr hohem Maße der Exekution. Infolge davon giebt es
keinen Hypvthekarkredit, und die Vereinigten Staaten hatten zwar im Jahre 1381
6796 Banken und Sparkassen mit 670 Millionen Dollars Kapital und 2667 Mil¬
lionen Depositen, aber keine einzige Hypothekenbank. Die Folge ist, daß der
amerikanische Farmer mehr aufs Sparen angewiesen ist, worauf sein persönlicher
Kredit beruht, während der deutsche Bauer seine Überschüsse verzehrt und für
weitern Bedarf Schulden macht, daß das amerikanische Grundeigentum frei
bleibt, das deutsche aber in den Schlund der Kapitalisten versinkt. Auch wir
haben an andrer Stelle die Ansicht ausgesprochen, daß Erschwerung, nicht Er¬
leichterung des hypothekarischen Kredits unsrer Landwirtschaft heilsam sein würde.

Nachdem noch das Erbrecht erörtert ist, findet der Verfasser den Übergang
zum zweiten Teile seines Werkes in der Betrachtung der volkswirtschaftlichen
Grundlage der nordamerikanischen Landwirtschaft. Einen Hauptumstand sieht
er in der Dichtigkeit der Besiedelung. Je dichter die Besiedelung. desto inten¬
siver, je weniger dicht, desto extensiver wird der Landbau sein. Die Union hat
für eine gleiche Anzahl von Menschen eine dreimal so große Fläche zum Anbau
als Deutschland; dazu hat sie noch eine sehr bedeutende Fläche für die Zu¬
kunft in Vorrat. Die Union ist wesentlich auf Ausfuhr ihres Getreides an¬
gewiesen, um aber Getreide ausführen zu können, muß der Amerikaner billiger
produziren als der Deutsche, weil er mit größern Transportkosten belastet ist.
Überdies ist zweierlei, was zur Produktion gehört, wesentlich teurer als bei uns:
der Kapitalzins und der Arbeitslohn. Bezüglich des letztern macht Gering
manche beachtenswerte Bemerkung. Von größerer Bedeutung für den Wert der
Arbeit als die starke Nachfrage sei jedenfalls die ganze soziale Stellung des
Arbeiters, seine hohe Lebenshaltung, welche in erster Linie auf der Möglichkeit
beruhe, sich im Westen mit wenigen Ersparnissen zum selbständigen Farmer


Unsre Landwirtschaft und ihre amerikanische Konkurrenz.

meindebesitz ist nirgends Vorsorge getroffen, ein Mangel, der sich in nicht sehr
ferner Zeit sehr fühlbar machen wird.

Dagegen hebt der Verfasser als einen sehr bedeutenden Vorzug der ameri¬
kanischen Wirtschaft die geachtete soziale Stellung des Farmers hervor. Was
die Arbeit überhaupt und insbesondre die bäuerliche Arbeit bei uns bis zum
heutigen Tage drücke, sei das unsrer Nation von Alters her anhaftende Vor¬
urteil, welches dem Städter einredet, er sei besser als der Landbewohner, dem
Rittergutsbesitzer, er sei mehr als der Bauer, dem Gelehrten, Beamten oder
Soldaten, er stehe höher als der Gewerbtreibende, während doch alle nichts
seien als gleichartige Glieder in der großen Kette der Gesamtheit. In Amerika
dagegen sei jede Form der Arbeit gleich hoch geschätzt und aus demselben Farm¬
hause gingen Kaufleute, Rechtsgelehrte und Prediger hervor; fünfzehn von ein¬
undzwanzig Präsidenten sind Farmer oder Söhne von Farmern gewesen, ja zehn
unter ihnen sogar Söhne von kleinen Bauern!

Die amerikanische Heimstättengesetzgebung entzieht den Grund und Boden
teils gänzlich, teils in sehr hohem Maße der Exekution. Infolge davon giebt es
keinen Hypvthekarkredit, und die Vereinigten Staaten hatten zwar im Jahre 1381
6796 Banken und Sparkassen mit 670 Millionen Dollars Kapital und 2667 Mil¬
lionen Depositen, aber keine einzige Hypothekenbank. Die Folge ist, daß der
amerikanische Farmer mehr aufs Sparen angewiesen ist, worauf sein persönlicher
Kredit beruht, während der deutsche Bauer seine Überschüsse verzehrt und für
weitern Bedarf Schulden macht, daß das amerikanische Grundeigentum frei
bleibt, das deutsche aber in den Schlund der Kapitalisten versinkt. Auch wir
haben an andrer Stelle die Ansicht ausgesprochen, daß Erschwerung, nicht Er¬
leichterung des hypothekarischen Kredits unsrer Landwirtschaft heilsam sein würde.

Nachdem noch das Erbrecht erörtert ist, findet der Verfasser den Übergang
zum zweiten Teile seines Werkes in der Betrachtung der volkswirtschaftlichen
Grundlage der nordamerikanischen Landwirtschaft. Einen Hauptumstand sieht
er in der Dichtigkeit der Besiedelung. Je dichter die Besiedelung. desto inten¬
siver, je weniger dicht, desto extensiver wird der Landbau sein. Die Union hat
für eine gleiche Anzahl von Menschen eine dreimal so große Fläche zum Anbau
als Deutschland; dazu hat sie noch eine sehr bedeutende Fläche für die Zu¬
kunft in Vorrat. Die Union ist wesentlich auf Ausfuhr ihres Getreides an¬
gewiesen, um aber Getreide ausführen zu können, muß der Amerikaner billiger
produziren als der Deutsche, weil er mit größern Transportkosten belastet ist.
Überdies ist zweierlei, was zur Produktion gehört, wesentlich teurer als bei uns:
der Kapitalzins und der Arbeitslohn. Bezüglich des letztern macht Gering
manche beachtenswerte Bemerkung. Von größerer Bedeutung für den Wert der
Arbeit als die starke Nachfrage sei jedenfalls die ganze soziale Stellung des
Arbeiters, seine hohe Lebenshaltung, welche in erster Linie auf der Möglichkeit
beruhe, sich im Westen mit wenigen Ersparnissen zum selbständigen Farmer


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[0284] Unsre Landwirtschaft und ihre amerikanische Konkurrenz. meindebesitz ist nirgends Vorsorge getroffen, ein Mangel, der sich in nicht sehr ferner Zeit sehr fühlbar machen wird. Dagegen hebt der Verfasser als einen sehr bedeutenden Vorzug der ameri¬ kanischen Wirtschaft die geachtete soziale Stellung des Farmers hervor. Was die Arbeit überhaupt und insbesondre die bäuerliche Arbeit bei uns bis zum heutigen Tage drücke, sei das unsrer Nation von Alters her anhaftende Vor¬ urteil, welches dem Städter einredet, er sei besser als der Landbewohner, dem Rittergutsbesitzer, er sei mehr als der Bauer, dem Gelehrten, Beamten oder Soldaten, er stehe höher als der Gewerbtreibende, während doch alle nichts seien als gleichartige Glieder in der großen Kette der Gesamtheit. In Amerika dagegen sei jede Form der Arbeit gleich hoch geschätzt und aus demselben Farm¬ hause gingen Kaufleute, Rechtsgelehrte und Prediger hervor; fünfzehn von ein¬ undzwanzig Präsidenten sind Farmer oder Söhne von Farmern gewesen, ja zehn unter ihnen sogar Söhne von kleinen Bauern! Die amerikanische Heimstättengesetzgebung entzieht den Grund und Boden teils gänzlich, teils in sehr hohem Maße der Exekution. Infolge davon giebt es keinen Hypvthekarkredit, und die Vereinigten Staaten hatten zwar im Jahre 1381 6796 Banken und Sparkassen mit 670 Millionen Dollars Kapital und 2667 Mil¬ lionen Depositen, aber keine einzige Hypothekenbank. Die Folge ist, daß der amerikanische Farmer mehr aufs Sparen angewiesen ist, worauf sein persönlicher Kredit beruht, während der deutsche Bauer seine Überschüsse verzehrt und für weitern Bedarf Schulden macht, daß das amerikanische Grundeigentum frei bleibt, das deutsche aber in den Schlund der Kapitalisten versinkt. Auch wir haben an andrer Stelle die Ansicht ausgesprochen, daß Erschwerung, nicht Er¬ leichterung des hypothekarischen Kredits unsrer Landwirtschaft heilsam sein würde. Nachdem noch das Erbrecht erörtert ist, findet der Verfasser den Übergang zum zweiten Teile seines Werkes in der Betrachtung der volkswirtschaftlichen Grundlage der nordamerikanischen Landwirtschaft. Einen Hauptumstand sieht er in der Dichtigkeit der Besiedelung. Je dichter die Besiedelung. desto inten¬ siver, je weniger dicht, desto extensiver wird der Landbau sein. Die Union hat für eine gleiche Anzahl von Menschen eine dreimal so große Fläche zum Anbau als Deutschland; dazu hat sie noch eine sehr bedeutende Fläche für die Zu¬ kunft in Vorrat. Die Union ist wesentlich auf Ausfuhr ihres Getreides an¬ gewiesen, um aber Getreide ausführen zu können, muß der Amerikaner billiger produziren als der Deutsche, weil er mit größern Transportkosten belastet ist. Überdies ist zweierlei, was zur Produktion gehört, wesentlich teurer als bei uns: der Kapitalzins und der Arbeitslohn. Bezüglich des letztern macht Gering manche beachtenswerte Bemerkung. Von größerer Bedeutung für den Wert der Arbeit als die starke Nachfrage sei jedenfalls die ganze soziale Stellung des Arbeiters, seine hohe Lebenshaltung, welche in erster Linie auf der Möglichkeit beruhe, sich im Westen mit wenigen Ersparnissen zum selbständigen Farmer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/284>, abgerufen am 22.06.2024.