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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Unsre Landwirtschaft und ihre amerikanische Konkurrenz.

diese Ursache noch recht lange dauern kann. Was die amerikanische Binnen¬
wanderung anlangt, d. h. das Abströmen der Bevölkerung von Osten nach
Westen, so wird diese so lange dauern, bis sowohl in der Dichtigkeit der Be¬
völkerung als in der Bebauung des anbaufähigen Landes eine gewisse Gleich¬
mäßigkeit, ein natürliches Verhältnis eingetreten sein wird. Auch dies ist daher
streng genommen keine dauernde Ursache, aber freilich ist schwer zu sagen, wenn
sie zu wirken aufhören wird. Allzu lange aber wird es nicht dauern, wann die
Vereinigten Staaten, die jetzt 50 Millionen Einwohner zählen, fortfahren, ihre
Seelenzahl aller zwanzig Jahre zu verdoppeln.

Höchst belehrend und reich an wenig bekanntem Material ist das dritte
Kapitel des Buches, namentlich für alle die, welche sich für die Aufgaben der
Landfrage interessiren. Es betitelt sich: "Die Kolonisationspolitik der Ver¬
einigten Staaten und die sozialen Grundlagen der amerikanischen Landwirtschaft."
Der Verfasser verbreitet sich hier mit reichem Wissen über das Vermessungs¬
wesen und über die Landgesetzgebung der Union. Bei den Holzkulturgesetzen
bespricht er die Verwüstung der Wälder. Die Forststatistik des letzten Zensus
schätzt die ganze Menge der noch vorhandenen Weißföhren <Mils Ms) auf
80 000 Millionen Fuß, jährlich aber werden über 10 000 Millionen Fuß ge¬
schlagen, und da der Bedarf fortwährend wächst, so würde der ganze Vorrat
kaum auf acht Jahre reichen. Karl Schurz behauptet in einem dem Präsidenten
1877 erstatteten Berichte, daß der gesamte Holzvorrat der Vereinigten Staaten
in zwanzig Jahren beträchtlich hinter dem heimischen Bedarf zurückbleiben werde.
Thatsache ist, daß der Verbrauch von Holz viel rascher zunimmt als die Be¬
völkerung, und daß bei der Verwendung arge Verschwendung herrscht. Die
Eisenbahnen allein verbrauchen jährlich einige dreißig Millionen Bäume für
Schwellen. Die Heizung geschieht ganz allgemein mit Holz. Der junge Nach¬
wuchs wird überall durch das frei weidende Vieh zerstört. Der Holzbestand
des Nordens einschließlich Kanadas ist bereits so weit zurückgegangen, daß auf
dem Hauptholzmarkte des Nordens, in Chicago, schon Holz aus dem Süden
zugefahren wird. Sering ist daher mit Recht der Meinung, daß die Konkur¬
renz, welche unsre Waldbesttzer zur Zeit noch von Nordamerika her erfahren,
nicht von langer Dauer sein wird, zumal da die Bestrebungen, der Wald¬
verwüstung Einhalt zu thun, in absehbarer Zeit keine Aussicht auf Erfolg
haben.

Eine weitere Erörterung schildert die Mängel der Landgesetzgebung und
Verwaltung und die Vergeudung des dem Gesamtstaate gehörigen Landeigentums
durch Schenkungen, insbesondre an die Eisenbahnen. Diese Schenkungen haben
das den unbemittelten Ansiedlern kostenlos offenstehende Land außerordentlich
eingeschränkt, den Boden zum Gegenstande zügelloser Spekulation gemacht und
die Entstehung von Latifundien gefördert, die schon jetzt als ein Krebsschaden
der Eigentumsverhältnisse betrachtet werden. Für irgend welche Art von Ge-


Unsre Landwirtschaft und ihre amerikanische Konkurrenz.

diese Ursache noch recht lange dauern kann. Was die amerikanische Binnen¬
wanderung anlangt, d. h. das Abströmen der Bevölkerung von Osten nach
Westen, so wird diese so lange dauern, bis sowohl in der Dichtigkeit der Be¬
völkerung als in der Bebauung des anbaufähigen Landes eine gewisse Gleich¬
mäßigkeit, ein natürliches Verhältnis eingetreten sein wird. Auch dies ist daher
streng genommen keine dauernde Ursache, aber freilich ist schwer zu sagen, wenn
sie zu wirken aufhören wird. Allzu lange aber wird es nicht dauern, wann die
Vereinigten Staaten, die jetzt 50 Millionen Einwohner zählen, fortfahren, ihre
Seelenzahl aller zwanzig Jahre zu verdoppeln.

Höchst belehrend und reich an wenig bekanntem Material ist das dritte
Kapitel des Buches, namentlich für alle die, welche sich für die Aufgaben der
Landfrage interessiren. Es betitelt sich: „Die Kolonisationspolitik der Ver¬
einigten Staaten und die sozialen Grundlagen der amerikanischen Landwirtschaft."
Der Verfasser verbreitet sich hier mit reichem Wissen über das Vermessungs¬
wesen und über die Landgesetzgebung der Union. Bei den Holzkulturgesetzen
bespricht er die Verwüstung der Wälder. Die Forststatistik des letzten Zensus
schätzt die ganze Menge der noch vorhandenen Weißföhren <Mils Ms) auf
80 000 Millionen Fuß, jährlich aber werden über 10 000 Millionen Fuß ge¬
schlagen, und da der Bedarf fortwährend wächst, so würde der ganze Vorrat
kaum auf acht Jahre reichen. Karl Schurz behauptet in einem dem Präsidenten
1877 erstatteten Berichte, daß der gesamte Holzvorrat der Vereinigten Staaten
in zwanzig Jahren beträchtlich hinter dem heimischen Bedarf zurückbleiben werde.
Thatsache ist, daß der Verbrauch von Holz viel rascher zunimmt als die Be¬
völkerung, und daß bei der Verwendung arge Verschwendung herrscht. Die
Eisenbahnen allein verbrauchen jährlich einige dreißig Millionen Bäume für
Schwellen. Die Heizung geschieht ganz allgemein mit Holz. Der junge Nach¬
wuchs wird überall durch das frei weidende Vieh zerstört. Der Holzbestand
des Nordens einschließlich Kanadas ist bereits so weit zurückgegangen, daß auf
dem Hauptholzmarkte des Nordens, in Chicago, schon Holz aus dem Süden
zugefahren wird. Sering ist daher mit Recht der Meinung, daß die Konkur¬
renz, welche unsre Waldbesttzer zur Zeit noch von Nordamerika her erfahren,
nicht von langer Dauer sein wird, zumal da die Bestrebungen, der Wald¬
verwüstung Einhalt zu thun, in absehbarer Zeit keine Aussicht auf Erfolg
haben.

Eine weitere Erörterung schildert die Mängel der Landgesetzgebung und
Verwaltung und die Vergeudung des dem Gesamtstaate gehörigen Landeigentums
durch Schenkungen, insbesondre an die Eisenbahnen. Diese Schenkungen haben
das den unbemittelten Ansiedlern kostenlos offenstehende Land außerordentlich
eingeschränkt, den Boden zum Gegenstande zügelloser Spekulation gemacht und
die Entstehung von Latifundien gefördert, die schon jetzt als ein Krebsschaden
der Eigentumsverhältnisse betrachtet werden. Für irgend welche Art von Ge-


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[0283] Unsre Landwirtschaft und ihre amerikanische Konkurrenz. diese Ursache noch recht lange dauern kann. Was die amerikanische Binnen¬ wanderung anlangt, d. h. das Abströmen der Bevölkerung von Osten nach Westen, so wird diese so lange dauern, bis sowohl in der Dichtigkeit der Be¬ völkerung als in der Bebauung des anbaufähigen Landes eine gewisse Gleich¬ mäßigkeit, ein natürliches Verhältnis eingetreten sein wird. Auch dies ist daher streng genommen keine dauernde Ursache, aber freilich ist schwer zu sagen, wenn sie zu wirken aufhören wird. Allzu lange aber wird es nicht dauern, wann die Vereinigten Staaten, die jetzt 50 Millionen Einwohner zählen, fortfahren, ihre Seelenzahl aller zwanzig Jahre zu verdoppeln. Höchst belehrend und reich an wenig bekanntem Material ist das dritte Kapitel des Buches, namentlich für alle die, welche sich für die Aufgaben der Landfrage interessiren. Es betitelt sich: „Die Kolonisationspolitik der Ver¬ einigten Staaten und die sozialen Grundlagen der amerikanischen Landwirtschaft." Der Verfasser verbreitet sich hier mit reichem Wissen über das Vermessungs¬ wesen und über die Landgesetzgebung der Union. Bei den Holzkulturgesetzen bespricht er die Verwüstung der Wälder. Die Forststatistik des letzten Zensus schätzt die ganze Menge der noch vorhandenen Weißföhren <Mils Ms) auf 80 000 Millionen Fuß, jährlich aber werden über 10 000 Millionen Fuß ge¬ schlagen, und da der Bedarf fortwährend wächst, so würde der ganze Vorrat kaum auf acht Jahre reichen. Karl Schurz behauptet in einem dem Präsidenten 1877 erstatteten Berichte, daß der gesamte Holzvorrat der Vereinigten Staaten in zwanzig Jahren beträchtlich hinter dem heimischen Bedarf zurückbleiben werde. Thatsache ist, daß der Verbrauch von Holz viel rascher zunimmt als die Be¬ völkerung, und daß bei der Verwendung arge Verschwendung herrscht. Die Eisenbahnen allein verbrauchen jährlich einige dreißig Millionen Bäume für Schwellen. Die Heizung geschieht ganz allgemein mit Holz. Der junge Nach¬ wuchs wird überall durch das frei weidende Vieh zerstört. Der Holzbestand des Nordens einschließlich Kanadas ist bereits so weit zurückgegangen, daß auf dem Hauptholzmarkte des Nordens, in Chicago, schon Holz aus dem Süden zugefahren wird. Sering ist daher mit Recht der Meinung, daß die Konkur¬ renz, welche unsre Waldbesttzer zur Zeit noch von Nordamerika her erfahren, nicht von langer Dauer sein wird, zumal da die Bestrebungen, der Wald¬ verwüstung Einhalt zu thun, in absehbarer Zeit keine Aussicht auf Erfolg haben. Eine weitere Erörterung schildert die Mängel der Landgesetzgebung und Verwaltung und die Vergeudung des dem Gesamtstaate gehörigen Landeigentums durch Schenkungen, insbesondre an die Eisenbahnen. Diese Schenkungen haben das den unbemittelten Ansiedlern kostenlos offenstehende Land außerordentlich eingeschränkt, den Boden zum Gegenstande zügelloser Spekulation gemacht und die Entstehung von Latifundien gefördert, die schon jetzt als ein Krebsschaden der Eigentumsverhältnisse betrachtet werden. Für irgend welche Art von Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/283>, abgerufen am 22.06.2024.