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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Gin neuer Schritt Rußlands in Turanien,

niemals aus dem Gebiete des "Kriegsspiels" entfernen wird; aber bei alledem
bleibt die Oxusbrücke eine große Thatsache, welche unsre Oberbehörden in Indien
veranlassen sollte, sofort an das Werk von Gegenmaßregeln zu gehen, welche
wir in Folgendem erblicken. Die Arbeit an der Jndusbrücke in Seirbe muß
ohne Verzug begonnen und möglichst beschleunigt werden. Wir müssen wieder
den frühern Einfluß in Persien gewinnen. Mre Notwendigkeit, die sich leicht aus¬
sprechen läßt, aber bei der heutigen Stellung Rußlands zu dem Lande des Schah
sehr wenig Aussicht hat, mehr als ein frommer Wunsch zu bleiben.) Wir müssen
alles anwenden, was geeignet und ausführbar ist, die Afridis, die Wuziris
und andre Grenzstämme zu versöhnen, und wir müssen zusehen, daß bei unsrer
Artillerie, unsern Fuß- und Reitertruppen und unserm Transportwesen alles
in bester Ordnung ist. Brechen dann Feindseligkeiten aus -- ein Ereignis,
das wir uns nicht zu nahe denken wollen --, so würde es andre Wege, Herat
zu sichern oder wieder zu nehmen, geben, als ein Vorrücken dahin, das jetzt zu
einem sehr schwierigen und zweifelhaften Wagnisse geworden ist. Das Glück
hat es gut mit uns gemeint, als es alle afghanischen Prätendenten Zuletzt
bekanntlich auch Ejub Chan) in unsre Hände brachte und uns die Freundschaft
und das Bündnis mit dem Hofe von Kabul wiederherstellte, soweit Leute dieser
Art jemals Freunde und Bundesgenossen sein können. Es ist also noch kein
Grund vorhanden, zu verzagen, aber auch keiner zu herausfordernden Worte"
oder Thaten. Aber wenn Nußland seine interessante Eisenbahn weiter erstreckt,
möchte es sich doch empfehlen, unsern Einfluß auf den Emir Abdurrachman zu
benutzen, um ihn zur Verlängerung unsrer Pischinroute durch seine Gebiete bis
Kandahar oder Girischk zu veranlassen. Es gäbe dies eine vortreffliche Zweig¬
bahn für Handelszwecke, auf welcher unser Sepoy unter gewissen Umständen
sein Hubblebubble ^Wasserpfeife) so ruhig und gelassen rauchen könnte, als der
Kosak im Norden seine Cigarette; denn die schlechtesten Karten würden dann
sicherlich nicht in unsern Händen sein."

Das klingt nicht sehr zuversichtlich, aber immer noch viel zuversichtlicher, als
es die Umstände rechtfertigen. Um Afghanistan mit Erfolg gegen den Angriff
der Russen zu unterstützen, der sicher in wenigen Jahren erfolgen wird, und
um später Indien gegen diesen Feind dauernd zu behaupten, genügen die oben
aufgezählten vorhandenen oder als wünschenswert bezeichneten Mittel und Ma߬
regeln nicht. England ist in Indien eine bloße Landmacht, und zwar eine Land¬
macht zweiten oder dritten gegenüber einer solchen ersten Ranges, und Brücken,
Eisenbahnen, Bündnisse mit wilden oder halbwilden Nachbarvölkerschaften,
größerer Einfluß in dem schwachen Persien und dergleichen mehr werden dieses
ungünstige Verhältnis wohl bessern, aber niemals aufheben. Großbritannien
muß als das kontinentale Staatswesen, das es mit seinen indischen Gebieten
ist, erstens mehr zuverlässige Soldaten haben, als es gegenwärtig besitzt, und
die kann ihm nur die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht verschaffen.


Gin neuer Schritt Rußlands in Turanien,

niemals aus dem Gebiete des »Kriegsspiels« entfernen wird; aber bei alledem
bleibt die Oxusbrücke eine große Thatsache, welche unsre Oberbehörden in Indien
veranlassen sollte, sofort an das Werk von Gegenmaßregeln zu gehen, welche
wir in Folgendem erblicken. Die Arbeit an der Jndusbrücke in Seirbe muß
ohne Verzug begonnen und möglichst beschleunigt werden. Wir müssen wieder
den frühern Einfluß in Persien gewinnen. Mre Notwendigkeit, die sich leicht aus¬
sprechen läßt, aber bei der heutigen Stellung Rußlands zu dem Lande des Schah
sehr wenig Aussicht hat, mehr als ein frommer Wunsch zu bleiben.) Wir müssen
alles anwenden, was geeignet und ausführbar ist, die Afridis, die Wuziris
und andre Grenzstämme zu versöhnen, und wir müssen zusehen, daß bei unsrer
Artillerie, unsern Fuß- und Reitertruppen und unserm Transportwesen alles
in bester Ordnung ist. Brechen dann Feindseligkeiten aus — ein Ereignis,
das wir uns nicht zu nahe denken wollen —, so würde es andre Wege, Herat
zu sichern oder wieder zu nehmen, geben, als ein Vorrücken dahin, das jetzt zu
einem sehr schwierigen und zweifelhaften Wagnisse geworden ist. Das Glück
hat es gut mit uns gemeint, als es alle afghanischen Prätendenten Zuletzt
bekanntlich auch Ejub Chan) in unsre Hände brachte und uns die Freundschaft
und das Bündnis mit dem Hofe von Kabul wiederherstellte, soweit Leute dieser
Art jemals Freunde und Bundesgenossen sein können. Es ist also noch kein
Grund vorhanden, zu verzagen, aber auch keiner zu herausfordernden Worte»
oder Thaten. Aber wenn Nußland seine interessante Eisenbahn weiter erstreckt,
möchte es sich doch empfehlen, unsern Einfluß auf den Emir Abdurrachman zu
benutzen, um ihn zur Verlängerung unsrer Pischinroute durch seine Gebiete bis
Kandahar oder Girischk zu veranlassen. Es gäbe dies eine vortreffliche Zweig¬
bahn für Handelszwecke, auf welcher unser Sepoy unter gewissen Umständen
sein Hubblebubble ^Wasserpfeife) so ruhig und gelassen rauchen könnte, als der
Kosak im Norden seine Cigarette; denn die schlechtesten Karten würden dann
sicherlich nicht in unsern Händen sein."

Das klingt nicht sehr zuversichtlich, aber immer noch viel zuversichtlicher, als
es die Umstände rechtfertigen. Um Afghanistan mit Erfolg gegen den Angriff
der Russen zu unterstützen, der sicher in wenigen Jahren erfolgen wird, und
um später Indien gegen diesen Feind dauernd zu behaupten, genügen die oben
aufgezählten vorhandenen oder als wünschenswert bezeichneten Mittel und Ma߬
regeln nicht. England ist in Indien eine bloße Landmacht, und zwar eine Land¬
macht zweiten oder dritten gegenüber einer solchen ersten Ranges, und Brücken,
Eisenbahnen, Bündnisse mit wilden oder halbwilden Nachbarvölkerschaften,
größerer Einfluß in dem schwachen Persien und dergleichen mehr werden dieses
ungünstige Verhältnis wohl bessern, aber niemals aufheben. Großbritannien
muß als das kontinentale Staatswesen, das es mit seinen indischen Gebieten
ist, erstens mehr zuverlässige Soldaten haben, als es gegenwärtig besitzt, und
die kann ihm nur die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht verschaffen.


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[0277] Gin neuer Schritt Rußlands in Turanien, niemals aus dem Gebiete des »Kriegsspiels« entfernen wird; aber bei alledem bleibt die Oxusbrücke eine große Thatsache, welche unsre Oberbehörden in Indien veranlassen sollte, sofort an das Werk von Gegenmaßregeln zu gehen, welche wir in Folgendem erblicken. Die Arbeit an der Jndusbrücke in Seirbe muß ohne Verzug begonnen und möglichst beschleunigt werden. Wir müssen wieder den frühern Einfluß in Persien gewinnen. Mre Notwendigkeit, die sich leicht aus¬ sprechen läßt, aber bei der heutigen Stellung Rußlands zu dem Lande des Schah sehr wenig Aussicht hat, mehr als ein frommer Wunsch zu bleiben.) Wir müssen alles anwenden, was geeignet und ausführbar ist, die Afridis, die Wuziris und andre Grenzstämme zu versöhnen, und wir müssen zusehen, daß bei unsrer Artillerie, unsern Fuß- und Reitertruppen und unserm Transportwesen alles in bester Ordnung ist. Brechen dann Feindseligkeiten aus — ein Ereignis, das wir uns nicht zu nahe denken wollen —, so würde es andre Wege, Herat zu sichern oder wieder zu nehmen, geben, als ein Vorrücken dahin, das jetzt zu einem sehr schwierigen und zweifelhaften Wagnisse geworden ist. Das Glück hat es gut mit uns gemeint, als es alle afghanischen Prätendenten Zuletzt bekanntlich auch Ejub Chan) in unsre Hände brachte und uns die Freundschaft und das Bündnis mit dem Hofe von Kabul wiederherstellte, soweit Leute dieser Art jemals Freunde und Bundesgenossen sein können. Es ist also noch kein Grund vorhanden, zu verzagen, aber auch keiner zu herausfordernden Worte» oder Thaten. Aber wenn Nußland seine interessante Eisenbahn weiter erstreckt, möchte es sich doch empfehlen, unsern Einfluß auf den Emir Abdurrachman zu benutzen, um ihn zur Verlängerung unsrer Pischinroute durch seine Gebiete bis Kandahar oder Girischk zu veranlassen. Es gäbe dies eine vortreffliche Zweig¬ bahn für Handelszwecke, auf welcher unser Sepoy unter gewissen Umständen sein Hubblebubble ^Wasserpfeife) so ruhig und gelassen rauchen könnte, als der Kosak im Norden seine Cigarette; denn die schlechtesten Karten würden dann sicherlich nicht in unsern Händen sein." Das klingt nicht sehr zuversichtlich, aber immer noch viel zuversichtlicher, als es die Umstände rechtfertigen. Um Afghanistan mit Erfolg gegen den Angriff der Russen zu unterstützen, der sicher in wenigen Jahren erfolgen wird, und um später Indien gegen diesen Feind dauernd zu behaupten, genügen die oben aufgezählten vorhandenen oder als wünschenswert bezeichneten Mittel und Ma߬ regeln nicht. England ist in Indien eine bloße Landmacht, und zwar eine Land¬ macht zweiten oder dritten gegenüber einer solchen ersten Ranges, und Brücken, Eisenbahnen, Bündnisse mit wilden oder halbwilden Nachbarvölkerschaften, größerer Einfluß in dem schwachen Persien und dergleichen mehr werden dieses ungünstige Verhältnis wohl bessern, aber niemals aufheben. Großbritannien muß als das kontinentale Staatswesen, das es mit seinen indischen Gebieten ist, erstens mehr zuverlässige Soldaten haben, als es gegenwärtig besitzt, und die kann ihm nur die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht verschaffen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/277>, abgerufen am 22.06.2024.