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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Gin neuer Schritt Rußlands in Turanien.

Gewiß ist nicht anzunehmen, daß diese mittelasiatischen Eisenbahnen mit der Sorg¬
falt und Genauigkeit unsrer europäischen oder der großen Bahnen, die vom
Osten nach dem Westen der Vereinigten Staaten und Kanadas führen, ge¬
baut und ausgestattet sein werden, und noch weniger ist zu glauben, daß sie
so bequeme und elegante Bahnhöfe aufweisen werden wie die Eisenbahnen, welche
die Engländer in Indien angelegt haben. Trotzdem werden sie die besten Dienste
leisten, wenn es gilt, die Regimenter des Zaren zu verschieben und zusammen¬
zuziehen und sie mit den wenigen Bedürfnissen zu versorgen, welche sie im Ver¬
gleiche mit britischen Truppen haben. Schon jetzt, noch mehr aber nach Legung
eines zweiten Bahngeleises, ist ausreichend dafür Sorge getragen, daß der Zar
oder die militärischen Autoritäten, die auf seine Politik einwirken, Mannschaften,
Munition und Proviant in zwar schmalem und seichtem, aber fortwährend und
zusammenhängend sich ergießenden Strome nach der Nordgrenze Afghanistans
lenken können, wie sie nach den Grenzgegenden Deutschlands und Österreichs,
Ungarns, Rumäniens. Bulgariens und der asiatischen Türkei gelenkt worden sind.

Die englische Presse betrachtet die Nachricht von der Annenkoffschen Brücke
mit besorgten Blicken, doch meint sie ihr Publikum über die Gefahr trösten zu
können, nur empfiehlt sie dringend Vermehrung und Verstärkung der Vorsichts¬
maßregeln, welche die Negierung in der letzten Zeit mit größerm Eifer als
früher gegen das Vordringen der Russen gegen Indien und zunächst gegen
dessen afghanisches Vorland getroffen hat. Der van/ ^ölsZrgxb. läßt sich über
die Angelegenheit folgendermaßen ans: "Wenn wir die Oxusbrücke ansehen und
uns klar machen, was sie mit Hinblick auf die Beste Herat bedeutet, so ist sie
sicherlich ein mächtiger Fortschritt in der Ausführung des Planes, der diese
Stadt als Endziel im Auge hat. Wenn wir sie vom Standpunkte der russischen
Grenze in Mittelasien betrachten, so finden wir, daß wir auf unsrer eignen
Grenze immer noch besser vorbereitet sind, als unsre jetzigen freundschaftlichen
Nebenbuhler auf der ihrigen. Von dem entferntesten Punkte aus, bis zu welchem
sie ihre Linie führen können, werden sie immer noch 400 ^englische) Meilen zu
marschiren haben, um den Helmund zu erreichen, wo sie vielleicht ein britisches
Heer erwarten und dadurch die Garnison von Kandahar frei machen wird. Wir
auf der indischen Seite Afghanistans haben Beludschistan zu einer neuen Provinz
zusammengefaßt, haben eine Eisenbahn durch die Kadschiwüste bis nach sibi ange¬
legt, mit einer Nebenlinie durch den Bolanpaß nach Quella und weiterhin nach
dem Plateau von Pischin und dem Defilee von Kodschak. Wir haben britische
Truppen in Boralin stehen, einer Gegend, die vor anderthalb Jahrzehnten in
England völlig unbekannt war. Aber es muß noch mehr geschehen, wir sollten
uns zunächst so einrichten, daß wir die Grenzwachen zwischen Karradschi und
Dem Ghasi Chan rascher im Norden zusammenziehen könnten, wo wir dann
hinsichtlich Kandahcirs besser gestellt sein würden als die Russen hinsichtlich
Herats. Alles das ist natürlich nur spekulative Strategie, die sich vielleicht


Gin neuer Schritt Rußlands in Turanien.

Gewiß ist nicht anzunehmen, daß diese mittelasiatischen Eisenbahnen mit der Sorg¬
falt und Genauigkeit unsrer europäischen oder der großen Bahnen, die vom
Osten nach dem Westen der Vereinigten Staaten und Kanadas führen, ge¬
baut und ausgestattet sein werden, und noch weniger ist zu glauben, daß sie
so bequeme und elegante Bahnhöfe aufweisen werden wie die Eisenbahnen, welche
die Engländer in Indien angelegt haben. Trotzdem werden sie die besten Dienste
leisten, wenn es gilt, die Regimenter des Zaren zu verschieben und zusammen¬
zuziehen und sie mit den wenigen Bedürfnissen zu versorgen, welche sie im Ver¬
gleiche mit britischen Truppen haben. Schon jetzt, noch mehr aber nach Legung
eines zweiten Bahngeleises, ist ausreichend dafür Sorge getragen, daß der Zar
oder die militärischen Autoritäten, die auf seine Politik einwirken, Mannschaften,
Munition und Proviant in zwar schmalem und seichtem, aber fortwährend und
zusammenhängend sich ergießenden Strome nach der Nordgrenze Afghanistans
lenken können, wie sie nach den Grenzgegenden Deutschlands und Österreichs,
Ungarns, Rumäniens. Bulgariens und der asiatischen Türkei gelenkt worden sind.

Die englische Presse betrachtet die Nachricht von der Annenkoffschen Brücke
mit besorgten Blicken, doch meint sie ihr Publikum über die Gefahr trösten zu
können, nur empfiehlt sie dringend Vermehrung und Verstärkung der Vorsichts¬
maßregeln, welche die Negierung in der letzten Zeit mit größerm Eifer als
früher gegen das Vordringen der Russen gegen Indien und zunächst gegen
dessen afghanisches Vorland getroffen hat. Der van/ ^ölsZrgxb. läßt sich über
die Angelegenheit folgendermaßen ans: „Wenn wir die Oxusbrücke ansehen und
uns klar machen, was sie mit Hinblick auf die Beste Herat bedeutet, so ist sie
sicherlich ein mächtiger Fortschritt in der Ausführung des Planes, der diese
Stadt als Endziel im Auge hat. Wenn wir sie vom Standpunkte der russischen
Grenze in Mittelasien betrachten, so finden wir, daß wir auf unsrer eignen
Grenze immer noch besser vorbereitet sind, als unsre jetzigen freundschaftlichen
Nebenbuhler auf der ihrigen. Von dem entferntesten Punkte aus, bis zu welchem
sie ihre Linie führen können, werden sie immer noch 400 ^englische) Meilen zu
marschiren haben, um den Helmund zu erreichen, wo sie vielleicht ein britisches
Heer erwarten und dadurch die Garnison von Kandahar frei machen wird. Wir
auf der indischen Seite Afghanistans haben Beludschistan zu einer neuen Provinz
zusammengefaßt, haben eine Eisenbahn durch die Kadschiwüste bis nach sibi ange¬
legt, mit einer Nebenlinie durch den Bolanpaß nach Quella und weiterhin nach
dem Plateau von Pischin und dem Defilee von Kodschak. Wir haben britische
Truppen in Boralin stehen, einer Gegend, die vor anderthalb Jahrzehnten in
England völlig unbekannt war. Aber es muß noch mehr geschehen, wir sollten
uns zunächst so einrichten, daß wir die Grenzwachen zwischen Karradschi und
Dem Ghasi Chan rascher im Norden zusammenziehen könnten, wo wir dann
hinsichtlich Kandahcirs besser gestellt sein würden als die Russen hinsichtlich
Herats. Alles das ist natürlich nur spekulative Strategie, die sich vielleicht


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[0276] Gin neuer Schritt Rußlands in Turanien. Gewiß ist nicht anzunehmen, daß diese mittelasiatischen Eisenbahnen mit der Sorg¬ falt und Genauigkeit unsrer europäischen oder der großen Bahnen, die vom Osten nach dem Westen der Vereinigten Staaten und Kanadas führen, ge¬ baut und ausgestattet sein werden, und noch weniger ist zu glauben, daß sie so bequeme und elegante Bahnhöfe aufweisen werden wie die Eisenbahnen, welche die Engländer in Indien angelegt haben. Trotzdem werden sie die besten Dienste leisten, wenn es gilt, die Regimenter des Zaren zu verschieben und zusammen¬ zuziehen und sie mit den wenigen Bedürfnissen zu versorgen, welche sie im Ver¬ gleiche mit britischen Truppen haben. Schon jetzt, noch mehr aber nach Legung eines zweiten Bahngeleises, ist ausreichend dafür Sorge getragen, daß der Zar oder die militärischen Autoritäten, die auf seine Politik einwirken, Mannschaften, Munition und Proviant in zwar schmalem und seichtem, aber fortwährend und zusammenhängend sich ergießenden Strome nach der Nordgrenze Afghanistans lenken können, wie sie nach den Grenzgegenden Deutschlands und Österreichs, Ungarns, Rumäniens. Bulgariens und der asiatischen Türkei gelenkt worden sind. Die englische Presse betrachtet die Nachricht von der Annenkoffschen Brücke mit besorgten Blicken, doch meint sie ihr Publikum über die Gefahr trösten zu können, nur empfiehlt sie dringend Vermehrung und Verstärkung der Vorsichts¬ maßregeln, welche die Negierung in der letzten Zeit mit größerm Eifer als früher gegen das Vordringen der Russen gegen Indien und zunächst gegen dessen afghanisches Vorland getroffen hat. Der van/ ^ölsZrgxb. läßt sich über die Angelegenheit folgendermaßen ans: „Wenn wir die Oxusbrücke ansehen und uns klar machen, was sie mit Hinblick auf die Beste Herat bedeutet, so ist sie sicherlich ein mächtiger Fortschritt in der Ausführung des Planes, der diese Stadt als Endziel im Auge hat. Wenn wir sie vom Standpunkte der russischen Grenze in Mittelasien betrachten, so finden wir, daß wir auf unsrer eignen Grenze immer noch besser vorbereitet sind, als unsre jetzigen freundschaftlichen Nebenbuhler auf der ihrigen. Von dem entferntesten Punkte aus, bis zu welchem sie ihre Linie führen können, werden sie immer noch 400 ^englische) Meilen zu marschiren haben, um den Helmund zu erreichen, wo sie vielleicht ein britisches Heer erwarten und dadurch die Garnison von Kandahar frei machen wird. Wir auf der indischen Seite Afghanistans haben Beludschistan zu einer neuen Provinz zusammengefaßt, haben eine Eisenbahn durch die Kadschiwüste bis nach sibi ange¬ legt, mit einer Nebenlinie durch den Bolanpaß nach Quella und weiterhin nach dem Plateau von Pischin und dem Defilee von Kodschak. Wir haben britische Truppen in Boralin stehen, einer Gegend, die vor anderthalb Jahrzehnten in England völlig unbekannt war. Aber es muß noch mehr geschehen, wir sollten uns zunächst so einrichten, daß wir die Grenzwachen zwischen Karradschi und Dem Ghasi Chan rascher im Norden zusammenziehen könnten, wo wir dann hinsichtlich Kandahcirs besser gestellt sein würden als die Russen hinsichtlich Herats. Alles das ist natürlich nur spekulative Strategie, die sich vielleicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/276>, abgerufen am 22.06.2024.