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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Tagebuchblätter eines Sonntagsxhilosophen.

der Sache fertig hat, was dann leidigen Streit geben kann statt der erwar¬
teten Frende. Und das wiederholt sich täglich im Leben in mannichfachster
Form, es ist ein notwendiges Stück im Gange unsers Lebens, auch in dem der
Wissenschaft.

Wie ist nun da der Gang der Dinge? Und wie fährt das Wahre dabei?
Es wird zunächst die Sachfrage zu einer Personenfrage, die Denkfrage zu einer
Gemütsfrage, das Wahre wird ans seiner reinen Höhe, seinem ruhigen Außen
in das Eigenleben und die Bewegung des Ichs hereingezogen, in dem es ja
freilich zugleich seine Stelle finden soll als das Nötigste im Haushalt des Ich,
es hat aber einen schweren Stand, ehe es so weit kommt. Wer jene Ent¬
täuschung erfährt, in dem greift zunächst Verdruß Platz, er ist von der Sache
weg, die er schon erfaßt zu haben meinte, auf sich selbst zurückgeworfen und
fühlt sich, zumal wenn ihn die Einwendungen getroffen haben, kleiner als vorher,
wo er sich gerade recht über sich hinaus gewachsen gefühlt hatte. Macht sich
aber nach der ersten Überwindung des Unmuts und der Unruhe das Gefühl
wieder Platz, daß die fragliche Sache für beide doch ein und dieselbe ist und
bleibt, draußen außer den Jeder stehend, so fest und sicher wie jenes Berg¬
schloß, so kommt die Frage auf die verschiednen Standpunkte zurück, deren Aus¬
gleichung und gegenseitige Ergänzung allein zur Sache zurückführt. Da soll
uun jeder, damit völlige Ruhe werde, die Sache rein und redlich vom Stand¬
punkte des Andern sehen. Das ist aber nicht leicht. Wenn ich wieder das
Bild des Schlosses unterlege -- eine andre ernste Frage wäre ja sachlich besser,
aber die Verhältnisse, um die sichs handelt, sind doch bei demi Gedankenspiel
dort dieselben und sind da sicherer zu fassen: der Andere, der herbeikommt (schon
dazu, daß er überhaupt kommt, gehört guter Wille), bringt von dem Bau in
sich das Bild mit, das ihm von seinem Standpunkte aus sich eingeprägt hat.
Das steht zunächst zwischen ihm und dem Gegenstande, er soll es sozusagen
erst beiseite schieben oder überspringen, um vor die Sache selbst zu kommen,
an der er das Bild des Andern messen will, soll auch über das Wider¬
spruchsgefühl, das er aus dem Streite her in sich mitgebracht hat, hinweg-
springen oder es ausräumen, daß in ihm Platz werde für die Sache selber.
Kurz, das Sachliche verflicht sich unmerklich, aber eng mit dem Sittlichen,
es greift in dieses ein und hilft da Ordnung schaffen, sobald nur alles mit
rechten Dingen weiter geht, d. h. hauptsächlich mit gutem Willen. Denn auch
die Gründe, die jeder für sich ins Treffen führt, muß er doch von der Sache
entnehmen, jeder wird genötigt, genauer hinzusehen, als er vorher gethan
hatte: so zieht der Streit selbst den Sinn der Streitenden notwendig über
sich selbst hinaus, in einer höheren Richtung der Sache zu, und von dieser
kommt dann für die Unruhe und Trübung vorher die schöne Ruhe und Klarheit
in die Gemüter, die von jeder reinen Berührung unsers Innern mit dem Äußern
in uns übergeht, daß es ein reineres Wohlsein gar nicht giebt. So kehrt die


Gu'nzlwtm I. I8L8. ZI
Tagebuchblätter eines Sonntagsxhilosophen.

der Sache fertig hat, was dann leidigen Streit geben kann statt der erwar¬
teten Frende. Und das wiederholt sich täglich im Leben in mannichfachster
Form, es ist ein notwendiges Stück im Gange unsers Lebens, auch in dem der
Wissenschaft.

Wie ist nun da der Gang der Dinge? Und wie fährt das Wahre dabei?
Es wird zunächst die Sachfrage zu einer Personenfrage, die Denkfrage zu einer
Gemütsfrage, das Wahre wird ans seiner reinen Höhe, seinem ruhigen Außen
in das Eigenleben und die Bewegung des Ichs hereingezogen, in dem es ja
freilich zugleich seine Stelle finden soll als das Nötigste im Haushalt des Ich,
es hat aber einen schweren Stand, ehe es so weit kommt. Wer jene Ent¬
täuschung erfährt, in dem greift zunächst Verdruß Platz, er ist von der Sache
weg, die er schon erfaßt zu haben meinte, auf sich selbst zurückgeworfen und
fühlt sich, zumal wenn ihn die Einwendungen getroffen haben, kleiner als vorher,
wo er sich gerade recht über sich hinaus gewachsen gefühlt hatte. Macht sich
aber nach der ersten Überwindung des Unmuts und der Unruhe das Gefühl
wieder Platz, daß die fragliche Sache für beide doch ein und dieselbe ist und
bleibt, draußen außer den Jeder stehend, so fest und sicher wie jenes Berg¬
schloß, so kommt die Frage auf die verschiednen Standpunkte zurück, deren Aus¬
gleichung und gegenseitige Ergänzung allein zur Sache zurückführt. Da soll
uun jeder, damit völlige Ruhe werde, die Sache rein und redlich vom Stand¬
punkte des Andern sehen. Das ist aber nicht leicht. Wenn ich wieder das
Bild des Schlosses unterlege — eine andre ernste Frage wäre ja sachlich besser,
aber die Verhältnisse, um die sichs handelt, sind doch bei demi Gedankenspiel
dort dieselben und sind da sicherer zu fassen: der Andere, der herbeikommt (schon
dazu, daß er überhaupt kommt, gehört guter Wille), bringt von dem Bau in
sich das Bild mit, das ihm von seinem Standpunkte aus sich eingeprägt hat.
Das steht zunächst zwischen ihm und dem Gegenstande, er soll es sozusagen
erst beiseite schieben oder überspringen, um vor die Sache selbst zu kommen,
an der er das Bild des Andern messen will, soll auch über das Wider¬
spruchsgefühl, das er aus dem Streite her in sich mitgebracht hat, hinweg-
springen oder es ausräumen, daß in ihm Platz werde für die Sache selber.
Kurz, das Sachliche verflicht sich unmerklich, aber eng mit dem Sittlichen,
es greift in dieses ein und hilft da Ordnung schaffen, sobald nur alles mit
rechten Dingen weiter geht, d. h. hauptsächlich mit gutem Willen. Denn auch
die Gründe, die jeder für sich ins Treffen führt, muß er doch von der Sache
entnehmen, jeder wird genötigt, genauer hinzusehen, als er vorher gethan
hatte: so zieht der Streit selbst den Sinn der Streitenden notwendig über
sich selbst hinaus, in einer höheren Richtung der Sache zu, und von dieser
kommt dann für die Unruhe und Trübung vorher die schöne Ruhe und Klarheit
in die Gemüter, die von jeder reinen Berührung unsers Innern mit dem Äußern
in uns übergeht, daß es ein reineres Wohlsein gar nicht giebt. So kehrt die


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[0257] Tagebuchblätter eines Sonntagsxhilosophen. der Sache fertig hat, was dann leidigen Streit geben kann statt der erwar¬ teten Frende. Und das wiederholt sich täglich im Leben in mannichfachster Form, es ist ein notwendiges Stück im Gange unsers Lebens, auch in dem der Wissenschaft. Wie ist nun da der Gang der Dinge? Und wie fährt das Wahre dabei? Es wird zunächst die Sachfrage zu einer Personenfrage, die Denkfrage zu einer Gemütsfrage, das Wahre wird ans seiner reinen Höhe, seinem ruhigen Außen in das Eigenleben und die Bewegung des Ichs hereingezogen, in dem es ja freilich zugleich seine Stelle finden soll als das Nötigste im Haushalt des Ich, es hat aber einen schweren Stand, ehe es so weit kommt. Wer jene Ent¬ täuschung erfährt, in dem greift zunächst Verdruß Platz, er ist von der Sache weg, die er schon erfaßt zu haben meinte, auf sich selbst zurückgeworfen und fühlt sich, zumal wenn ihn die Einwendungen getroffen haben, kleiner als vorher, wo er sich gerade recht über sich hinaus gewachsen gefühlt hatte. Macht sich aber nach der ersten Überwindung des Unmuts und der Unruhe das Gefühl wieder Platz, daß die fragliche Sache für beide doch ein und dieselbe ist und bleibt, draußen außer den Jeder stehend, so fest und sicher wie jenes Berg¬ schloß, so kommt die Frage auf die verschiednen Standpunkte zurück, deren Aus¬ gleichung und gegenseitige Ergänzung allein zur Sache zurückführt. Da soll uun jeder, damit völlige Ruhe werde, die Sache rein und redlich vom Stand¬ punkte des Andern sehen. Das ist aber nicht leicht. Wenn ich wieder das Bild des Schlosses unterlege — eine andre ernste Frage wäre ja sachlich besser, aber die Verhältnisse, um die sichs handelt, sind doch bei demi Gedankenspiel dort dieselben und sind da sicherer zu fassen: der Andere, der herbeikommt (schon dazu, daß er überhaupt kommt, gehört guter Wille), bringt von dem Bau in sich das Bild mit, das ihm von seinem Standpunkte aus sich eingeprägt hat. Das steht zunächst zwischen ihm und dem Gegenstande, er soll es sozusagen erst beiseite schieben oder überspringen, um vor die Sache selbst zu kommen, an der er das Bild des Andern messen will, soll auch über das Wider¬ spruchsgefühl, das er aus dem Streite her in sich mitgebracht hat, hinweg- springen oder es ausräumen, daß in ihm Platz werde für die Sache selber. Kurz, das Sachliche verflicht sich unmerklich, aber eng mit dem Sittlichen, es greift in dieses ein und hilft da Ordnung schaffen, sobald nur alles mit rechten Dingen weiter geht, d. h. hauptsächlich mit gutem Willen. Denn auch die Gründe, die jeder für sich ins Treffen führt, muß er doch von der Sache entnehmen, jeder wird genötigt, genauer hinzusehen, als er vorher gethan hatte: so zieht der Streit selbst den Sinn der Streitenden notwendig über sich selbst hinaus, in einer höheren Richtung der Sache zu, und von dieser kommt dann für die Unruhe und Trübung vorher die schöne Ruhe und Klarheit in die Gemüter, die von jeder reinen Berührung unsers Innern mit dem Äußern in uns übergeht, daß es ein reineres Wohlsein gar nicht giebt. So kehrt die Gu'nzlwtm I. I8L8. ZI

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/257>, abgerufen am 22.06.2024.