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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.
9. Wie Wahr und Gut zusammenhängen.

>>^- ^le Gährung, die in unsrer Geisteswelt arbeitet, hat auch die Be¬
griffe Wahr, Gut und Schön erfaßt, diese Dreiheit geistiger
Mächte, die uns wie eine edle Formel aus der geistigen Werk¬
stätte des vorigen, unsers großen Jahrhunderts überliefert ist.
Man behandelte sie damals als feste Punkte, um die man alles
neu zu ordnen hätte, wenigstens als über allem Suchen fest schwebende Ziel¬
punkte, nach denen sich alle Wege des Suchens zu richten hätten, dabei als solche,
die in engster Beziehung stünden, als eine Dreieinheit, ähnlich der Dreieinigkeit in
der kirchlichen Begriffswelt. Man nennt sie ja auch noch so zusammen mit aller Ach¬
tung in einer gewissen Höhe des Denkens, die der Höhe jener Zeit die Hand reicht,
und doch kann man sich nicht bergen, daß etwas damit anders geworden ist.
Sie erscheinen jetzt zugleich in die gährende Bewegung herein oder herunter ge¬
zogen, über der sie stehen sollten, werden von der Unruhe da mit erfaßt, von
der Trübung mit getrübt, sollen da zweifelnden Fragen standhalten, müssen sich
bedenklichen Experimenten unterziehen, und können so nicht mehr sein, was sie
ursprünglich waren. Hört man aber die edle Dreiheit, Dreieinheit wieder einmal
im alten, vollen Sinne nennen, so ist einem wohl, wie wenn einmal mitten im
Straßenlärm vom Turme herunter der hehre, reine Dreiklang der Glocken in die
wirren Töne unten hereinschallt, auch nur Töne, aber schön, gut und wahr,
wenn man den Begriff musikalisch gelten lassen will, aus der reinen Höhe, wo
die Türme der Stadt, dem Himmel näher, einander als Nachbarn sehen nebst
den Bergen draußen. Und diese Töne kommen doch auch von Menschenhand,
aus Menschensinn.

Und noch in einem andern Punkte ist eine Änderung eingetreten, in dem
Verhältnisse der drei Begriffe zu einander. Kommt man einmal glücklich recht
in die Stimmung jener großen, aufbauenden Zeit, so kann man gewahr werden,
daß sie da in einer Stellung gedacht oder empfunden wurden, als ob sie aufs




Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.
9. Wie Wahr und Gut zusammenhängen.

>>^- ^le Gährung, die in unsrer Geisteswelt arbeitet, hat auch die Be¬
griffe Wahr, Gut und Schön erfaßt, diese Dreiheit geistiger
Mächte, die uns wie eine edle Formel aus der geistigen Werk¬
stätte des vorigen, unsers großen Jahrhunderts überliefert ist.
Man behandelte sie damals als feste Punkte, um die man alles
neu zu ordnen hätte, wenigstens als über allem Suchen fest schwebende Ziel¬
punkte, nach denen sich alle Wege des Suchens zu richten hätten, dabei als solche,
die in engster Beziehung stünden, als eine Dreieinheit, ähnlich der Dreieinigkeit in
der kirchlichen Begriffswelt. Man nennt sie ja auch noch so zusammen mit aller Ach¬
tung in einer gewissen Höhe des Denkens, die der Höhe jener Zeit die Hand reicht,
und doch kann man sich nicht bergen, daß etwas damit anders geworden ist.
Sie erscheinen jetzt zugleich in die gährende Bewegung herein oder herunter ge¬
zogen, über der sie stehen sollten, werden von der Unruhe da mit erfaßt, von
der Trübung mit getrübt, sollen da zweifelnden Fragen standhalten, müssen sich
bedenklichen Experimenten unterziehen, und können so nicht mehr sein, was sie
ursprünglich waren. Hört man aber die edle Dreiheit, Dreieinheit wieder einmal
im alten, vollen Sinne nennen, so ist einem wohl, wie wenn einmal mitten im
Straßenlärm vom Turme herunter der hehre, reine Dreiklang der Glocken in die
wirren Töne unten hereinschallt, auch nur Töne, aber schön, gut und wahr,
wenn man den Begriff musikalisch gelten lassen will, aus der reinen Höhe, wo
die Türme der Stadt, dem Himmel näher, einander als Nachbarn sehen nebst
den Bergen draußen. Und diese Töne kommen doch auch von Menschenhand,
aus Menschensinn.

Und noch in einem andern Punkte ist eine Änderung eingetreten, in dem
Verhältnisse der drei Begriffe zu einander. Kommt man einmal glücklich recht
in die Stimmung jener großen, aufbauenden Zeit, so kann man gewahr werden,
daß sie da in einer Stellung gedacht oder empfunden wurden, als ob sie aufs


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[0252] [Abbildung] Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen. 9. Wie Wahr und Gut zusammenhängen. >>^- ^le Gährung, die in unsrer Geisteswelt arbeitet, hat auch die Be¬ griffe Wahr, Gut und Schön erfaßt, diese Dreiheit geistiger Mächte, die uns wie eine edle Formel aus der geistigen Werk¬ stätte des vorigen, unsers großen Jahrhunderts überliefert ist. Man behandelte sie damals als feste Punkte, um die man alles neu zu ordnen hätte, wenigstens als über allem Suchen fest schwebende Ziel¬ punkte, nach denen sich alle Wege des Suchens zu richten hätten, dabei als solche, die in engster Beziehung stünden, als eine Dreieinheit, ähnlich der Dreieinigkeit in der kirchlichen Begriffswelt. Man nennt sie ja auch noch so zusammen mit aller Ach¬ tung in einer gewissen Höhe des Denkens, die der Höhe jener Zeit die Hand reicht, und doch kann man sich nicht bergen, daß etwas damit anders geworden ist. Sie erscheinen jetzt zugleich in die gährende Bewegung herein oder herunter ge¬ zogen, über der sie stehen sollten, werden von der Unruhe da mit erfaßt, von der Trübung mit getrübt, sollen da zweifelnden Fragen standhalten, müssen sich bedenklichen Experimenten unterziehen, und können so nicht mehr sein, was sie ursprünglich waren. Hört man aber die edle Dreiheit, Dreieinheit wieder einmal im alten, vollen Sinne nennen, so ist einem wohl, wie wenn einmal mitten im Straßenlärm vom Turme herunter der hehre, reine Dreiklang der Glocken in die wirren Töne unten hereinschallt, auch nur Töne, aber schön, gut und wahr, wenn man den Begriff musikalisch gelten lassen will, aus der reinen Höhe, wo die Türme der Stadt, dem Himmel näher, einander als Nachbarn sehen nebst den Bergen draußen. Und diese Töne kommen doch auch von Menschenhand, aus Menschensinn. Und noch in einem andern Punkte ist eine Änderung eingetreten, in dem Verhältnisse der drei Begriffe zu einander. Kommt man einmal glücklich recht in die Stimmung jener großen, aufbauenden Zeit, so kann man gewahr werden, daß sie da in einer Stellung gedacht oder empfunden wurden, als ob sie aufs

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/252>, abgerufen am 22.06.2024.