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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Oskar von Redwitz und sein neuester Roman.

söhnung der beiden Ehegatten, Werner gesteht Irene freiwillig seine Verschuldung
ein und gelobt ein neues Leben. Aber schon hat sich das letzte Verhängnis
über seinem und Irenens Haupte zusammengezogen. Eine Gräfin Kottberg,
magyarischer Abstammung, die zu Anfang des Romans flüchtig aufgetreten ist,
Jahre hindurch das Leben einer Abenteurerin geführt hat, kehrt mit ihrem ein¬
zigen Kinde erster Ehe, der jungen Gräfin Ellinor, in die einst verlassenen
Verhältnisse zurück. Begreiflich genug ist die Aufnahme, welche die Gräfin in
ihren ehemaligen Lebenskreisen findet, nicht die freundlichste, und namentlich
Irene von Goos hat das Unglück, durch ihr Verhalten den ganzen Zorn einer
Frau herauszufordern, die keine ihr angethane Beleidigung je vergiebt. Das
Werkzeug ihrer Rache soll die eigne Tochter werden. Gräfin Kottberg, wie sie
sich wieder nennt, hat bei dem ersten Besuche auf Schloß Goos den Gegensatz
zwischen der alternden Irene und dem noch immer stattlichen, lebenskräftigen,
in seinem Begehren und Auftreten gleichsam noch jugendlichen Schloßherrn em¬
pfunden. Bald nimmt sie wahr, daß eine heiße Leidenschaft für ihre schöne
Tochter Komtesse Ellinor den Gemahl Irenens ergreift, und daß die phantastische
junge Gräfin gefährliche Wünsche und Träume hegt. Anstatt den Brand zu
löschen, auszutreten, schürt sie ihn arglistig. Werner ist unfähig, sich über
seine neue Leidenschaft zu erheben, er empfindet jetzt sein Zusammenleben mit
Irene und deren Kindern nur als eine Fessel, welche um jeden Preis gesprengt
werden muß. Gräfin Kottberg stellt ihm, falls die Scheidung gelinge, die Hand
ihres Kindes in Aussicht, und redet das von ihr gänzlich abhängige Mädchen
in die Leidenschaft für Werner förmlich hinein. Unter furchtbaren Szenen
erfolgt die Trennung Werners, der jetzt schrankenloser Egoist geworden ist, von
der treuen Irene, der Bruch mit den Kindern. Die schwindelnden Hoffnungen,
die sich vor ihm aufthun, beschleunigen indes nur den Ausbruch eines Größen¬
wahnsinns, der den unglücklichen Edelmann wohl schon längere Zeit bedroht
hat. In wilder Phantastik wähnt er sich einen Geisterkönig, einen Herrscher
über das gemeine Gezücht der Menschen. Gräfin Ellinor erkennt mit Schaudern
in den irrsinnigen Rasereien eine gerechte Vergeltung für ihren Frevel an
Irene, und sucht in ihrer dumpfen Verzweiflung den Tod im Teiche ihres
Schloßparkes, in welchen sie ihre Mutter, die sie umsonst zurückhalten will, mit
hinabzieht. Werner von Goos wird als unrettbar Irrsinniger in eine Heil¬
anstalt gebracht -- als seine Schutzengel sind auch Irene und seine Tochter
Dom dort um ihn, bis ihn der Tod erlöst.

Gewisse Widersprüche und Unwahrscheinlichkeitcn, die mit leichter Mühe
zu vermeiden oder zu verändern waren, beiseite gesetzt, vermochte diese Erfindung
möglicherweise voll belebt und zu einer höhern Wirkung erhoben zu werden.
So wie sie sich in Redwitzens Fassung darstellt, verflüchtigt sie sich bald zu
einem Schattenspiel von unwirtlichen und willkürlichen, das heißt ohne Ursache
und tiefere Begründung aneinander gereihten Fabeln und moralischen Exempeln,


Oskar von Redwitz und sein neuester Roman.

söhnung der beiden Ehegatten, Werner gesteht Irene freiwillig seine Verschuldung
ein und gelobt ein neues Leben. Aber schon hat sich das letzte Verhängnis
über seinem und Irenens Haupte zusammengezogen. Eine Gräfin Kottberg,
magyarischer Abstammung, die zu Anfang des Romans flüchtig aufgetreten ist,
Jahre hindurch das Leben einer Abenteurerin geführt hat, kehrt mit ihrem ein¬
zigen Kinde erster Ehe, der jungen Gräfin Ellinor, in die einst verlassenen
Verhältnisse zurück. Begreiflich genug ist die Aufnahme, welche die Gräfin in
ihren ehemaligen Lebenskreisen findet, nicht die freundlichste, und namentlich
Irene von Goos hat das Unglück, durch ihr Verhalten den ganzen Zorn einer
Frau herauszufordern, die keine ihr angethane Beleidigung je vergiebt. Das
Werkzeug ihrer Rache soll die eigne Tochter werden. Gräfin Kottberg, wie sie
sich wieder nennt, hat bei dem ersten Besuche auf Schloß Goos den Gegensatz
zwischen der alternden Irene und dem noch immer stattlichen, lebenskräftigen,
in seinem Begehren und Auftreten gleichsam noch jugendlichen Schloßherrn em¬
pfunden. Bald nimmt sie wahr, daß eine heiße Leidenschaft für ihre schöne
Tochter Komtesse Ellinor den Gemahl Irenens ergreift, und daß die phantastische
junge Gräfin gefährliche Wünsche und Träume hegt. Anstatt den Brand zu
löschen, auszutreten, schürt sie ihn arglistig. Werner ist unfähig, sich über
seine neue Leidenschaft zu erheben, er empfindet jetzt sein Zusammenleben mit
Irene und deren Kindern nur als eine Fessel, welche um jeden Preis gesprengt
werden muß. Gräfin Kottberg stellt ihm, falls die Scheidung gelinge, die Hand
ihres Kindes in Aussicht, und redet das von ihr gänzlich abhängige Mädchen
in die Leidenschaft für Werner förmlich hinein. Unter furchtbaren Szenen
erfolgt die Trennung Werners, der jetzt schrankenloser Egoist geworden ist, von
der treuen Irene, der Bruch mit den Kindern. Die schwindelnden Hoffnungen,
die sich vor ihm aufthun, beschleunigen indes nur den Ausbruch eines Größen¬
wahnsinns, der den unglücklichen Edelmann wohl schon längere Zeit bedroht
hat. In wilder Phantastik wähnt er sich einen Geisterkönig, einen Herrscher
über das gemeine Gezücht der Menschen. Gräfin Ellinor erkennt mit Schaudern
in den irrsinnigen Rasereien eine gerechte Vergeltung für ihren Frevel an
Irene, und sucht in ihrer dumpfen Verzweiflung den Tod im Teiche ihres
Schloßparkes, in welchen sie ihre Mutter, die sie umsonst zurückhalten will, mit
hinabzieht. Werner von Goos wird als unrettbar Irrsinniger in eine Heil¬
anstalt gebracht — als seine Schutzengel sind auch Irene und seine Tochter
Dom dort um ihn, bis ihn der Tod erlöst.

Gewisse Widersprüche und Unwahrscheinlichkeitcn, die mit leichter Mühe
zu vermeiden oder zu verändern waren, beiseite gesetzt, vermochte diese Erfindung
möglicherweise voll belebt und zu einer höhern Wirkung erhoben zu werden.
So wie sie sich in Redwitzens Fassung darstellt, verflüchtigt sie sich bald zu
einem Schattenspiel von unwirtlichen und willkürlichen, das heißt ohne Ursache
und tiefere Begründung aneinander gereihten Fabeln und moralischen Exempeln,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/250>, abgerufen am 28.09.2024.