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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Vskar von Redwitz und sein neuester Roman.

wenig als möglich daheim auf dem Lande. "Schon in Paris hatte er den pi¬
kanten Reiz auch von Operette und Ballet hinlänglich schätzen gelernt, und das
alte französische Sprichwort: 0n rsvisnt torrjours hos xrsrniöi-of aiuours fand
auch an Werner in Berlin seine Bestätigung. Warum sollte ers denn nun auch
anders machen wie so manch andrer höchst sittsamer Ehemann? Aber nach dem
Theater, welches weitere Amüsement betrieb er dann? Spielte er vielleicht im
adlichen Klub mit ebenso wahnwitziger Geldgier, wie viele andre seiner Standes¬
genossen, die oft in wenigen Stunden sich am grünen Tisch ruinirten samt
Weib und Kind? Nein, nur ein einziges mal hatte er dort sein Glück versucht.
Durch die paar Louisdors, die er dort sitzen gelassen, war er aber so gründlich
gewitzigt worden, daß er von nun an nur mit moralischem Hohnlächeln auf die
waghalsigen Spieler niedersah. Nein, trotz all seiner andern Schwächen und
Fehler, so kindisch, thöricht war er denn doch nicht, um auf solch launisches
Glücksspiel gerade jenes Gut zu setzen, dessen sein genußsüchtiger Egoismus am
allernotwcndigsten bedürfte. Fremdes Geld brauchte er bei seinem Reichtums
nicht, aber sein eignes wollte er auch für sich behalten." Den Versuchungen
der Sinnlichkeit ist er dafür umso zugänglicher und gerät im Laufe der Jahre
natürlich auf dieser abschüssigen Bahn umso weiter, als er ein schöner, stattlicher
Mann bleibt, während Frau Irene in dem geheimen Kummer, den sie zu tragen
hat, früh verblüht. Werner von Goos merkt es kaum, daß an die Stelle der
Bewunderung, die sein Weib ihm früher gezollt hat, jetzt Mitleid, immer tieferes
Mitleid getreten ist, daß er sich seine heranwachsenden Kinder, namentlich die
Tochter Dora, entfremdet hat. Er lebt als ein Fremder zwischen den Seinigen,
und hat in Berlin eine Art zweiten Haushalts, in welchem eine ehemalige
Operettensängerin waltet, die er von der Bühne als unterhaltene Geliebte in
die Stille eines kleinen, elegant eingerichteten Hauses versetzt hat. Irene ahnt
schon seit lange, daß auch dies Unheil über ihr schwebt, ehe sie es durch ihren
ältern Bruder, den Gutsherrn Friedrich von Klinger, welcher ihr die Heirat
mit dem ihm verhaßten Werner von Goos nie verziehen hat, mit mitleidloser
Bestimmtheit erfährt. Herr von Klinger hofft mit seiner Kunde eine Scheidung
seiner Schwester von dem unwürdigen Manne zu erzwingen. Bei dieser Ge¬
legenheit enthüllt aber die vortreffliche Frau ihre innerste Gesinnung und erklärt,
daß sie sich unter keinen Umständen von ihrem Manne trennen, die Einheit
des Hauses zerstören und Verachtung gegen den Vater in das Herz der Kinder
streuen werde. Hart und herb sagt ihr dagegen der Bruder voraus, daß ihre
Hoffnungen auf Werners sittliche Umkehr und Läuterung sich als Täuschungen
erweisen werden, und in der That taumelt Werner dem Abgrunde weiter zu,
in welchen maßlose Leidenschaftlichkeit Menschen seiner Art stürzt. Freilich
nicht, ohne daß der letzten Katastrophe ein täuschendes Zwischenspiel vorangeht.
Die Verlobung seines inzwischen herangewachsenen Sohnes und die Heirat des¬
selben mit einem vortrefflichen Mädchen bringt noch einmal eine innere Ver-


Grcnzbotcn I. 1388. 31
Vskar von Redwitz und sein neuester Roman.

wenig als möglich daheim auf dem Lande. „Schon in Paris hatte er den pi¬
kanten Reiz auch von Operette und Ballet hinlänglich schätzen gelernt, und das
alte französische Sprichwort: 0n rsvisnt torrjours hos xrsrniöi-of aiuours fand
auch an Werner in Berlin seine Bestätigung. Warum sollte ers denn nun auch
anders machen wie so manch andrer höchst sittsamer Ehemann? Aber nach dem
Theater, welches weitere Amüsement betrieb er dann? Spielte er vielleicht im
adlichen Klub mit ebenso wahnwitziger Geldgier, wie viele andre seiner Standes¬
genossen, die oft in wenigen Stunden sich am grünen Tisch ruinirten samt
Weib und Kind? Nein, nur ein einziges mal hatte er dort sein Glück versucht.
Durch die paar Louisdors, die er dort sitzen gelassen, war er aber so gründlich
gewitzigt worden, daß er von nun an nur mit moralischem Hohnlächeln auf die
waghalsigen Spieler niedersah. Nein, trotz all seiner andern Schwächen und
Fehler, so kindisch, thöricht war er denn doch nicht, um auf solch launisches
Glücksspiel gerade jenes Gut zu setzen, dessen sein genußsüchtiger Egoismus am
allernotwcndigsten bedürfte. Fremdes Geld brauchte er bei seinem Reichtums
nicht, aber sein eignes wollte er auch für sich behalten." Den Versuchungen
der Sinnlichkeit ist er dafür umso zugänglicher und gerät im Laufe der Jahre
natürlich auf dieser abschüssigen Bahn umso weiter, als er ein schöner, stattlicher
Mann bleibt, während Frau Irene in dem geheimen Kummer, den sie zu tragen
hat, früh verblüht. Werner von Goos merkt es kaum, daß an die Stelle der
Bewunderung, die sein Weib ihm früher gezollt hat, jetzt Mitleid, immer tieferes
Mitleid getreten ist, daß er sich seine heranwachsenden Kinder, namentlich die
Tochter Dora, entfremdet hat. Er lebt als ein Fremder zwischen den Seinigen,
und hat in Berlin eine Art zweiten Haushalts, in welchem eine ehemalige
Operettensängerin waltet, die er von der Bühne als unterhaltene Geliebte in
die Stille eines kleinen, elegant eingerichteten Hauses versetzt hat. Irene ahnt
schon seit lange, daß auch dies Unheil über ihr schwebt, ehe sie es durch ihren
ältern Bruder, den Gutsherrn Friedrich von Klinger, welcher ihr die Heirat
mit dem ihm verhaßten Werner von Goos nie verziehen hat, mit mitleidloser
Bestimmtheit erfährt. Herr von Klinger hofft mit seiner Kunde eine Scheidung
seiner Schwester von dem unwürdigen Manne zu erzwingen. Bei dieser Ge¬
legenheit enthüllt aber die vortreffliche Frau ihre innerste Gesinnung und erklärt,
daß sie sich unter keinen Umständen von ihrem Manne trennen, die Einheit
des Hauses zerstören und Verachtung gegen den Vater in das Herz der Kinder
streuen werde. Hart und herb sagt ihr dagegen der Bruder voraus, daß ihre
Hoffnungen auf Werners sittliche Umkehr und Läuterung sich als Täuschungen
erweisen werden, und in der That taumelt Werner dem Abgrunde weiter zu,
in welchen maßlose Leidenschaftlichkeit Menschen seiner Art stürzt. Freilich
nicht, ohne daß der letzten Katastrophe ein täuschendes Zwischenspiel vorangeht.
Die Verlobung seines inzwischen herangewachsenen Sohnes und die Heirat des¬
selben mit einem vortrefflichen Mädchen bringt noch einmal eine innere Ver-


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[0249] Vskar von Redwitz und sein neuester Roman. wenig als möglich daheim auf dem Lande. „Schon in Paris hatte er den pi¬ kanten Reiz auch von Operette und Ballet hinlänglich schätzen gelernt, und das alte französische Sprichwort: 0n rsvisnt torrjours hos xrsrniöi-of aiuours fand auch an Werner in Berlin seine Bestätigung. Warum sollte ers denn nun auch anders machen wie so manch andrer höchst sittsamer Ehemann? Aber nach dem Theater, welches weitere Amüsement betrieb er dann? Spielte er vielleicht im adlichen Klub mit ebenso wahnwitziger Geldgier, wie viele andre seiner Standes¬ genossen, die oft in wenigen Stunden sich am grünen Tisch ruinirten samt Weib und Kind? Nein, nur ein einziges mal hatte er dort sein Glück versucht. Durch die paar Louisdors, die er dort sitzen gelassen, war er aber so gründlich gewitzigt worden, daß er von nun an nur mit moralischem Hohnlächeln auf die waghalsigen Spieler niedersah. Nein, trotz all seiner andern Schwächen und Fehler, so kindisch, thöricht war er denn doch nicht, um auf solch launisches Glücksspiel gerade jenes Gut zu setzen, dessen sein genußsüchtiger Egoismus am allernotwcndigsten bedürfte. Fremdes Geld brauchte er bei seinem Reichtums nicht, aber sein eignes wollte er auch für sich behalten." Den Versuchungen der Sinnlichkeit ist er dafür umso zugänglicher und gerät im Laufe der Jahre natürlich auf dieser abschüssigen Bahn umso weiter, als er ein schöner, stattlicher Mann bleibt, während Frau Irene in dem geheimen Kummer, den sie zu tragen hat, früh verblüht. Werner von Goos merkt es kaum, daß an die Stelle der Bewunderung, die sein Weib ihm früher gezollt hat, jetzt Mitleid, immer tieferes Mitleid getreten ist, daß er sich seine heranwachsenden Kinder, namentlich die Tochter Dora, entfremdet hat. Er lebt als ein Fremder zwischen den Seinigen, und hat in Berlin eine Art zweiten Haushalts, in welchem eine ehemalige Operettensängerin waltet, die er von der Bühne als unterhaltene Geliebte in die Stille eines kleinen, elegant eingerichteten Hauses versetzt hat. Irene ahnt schon seit lange, daß auch dies Unheil über ihr schwebt, ehe sie es durch ihren ältern Bruder, den Gutsherrn Friedrich von Klinger, welcher ihr die Heirat mit dem ihm verhaßten Werner von Goos nie verziehen hat, mit mitleidloser Bestimmtheit erfährt. Herr von Klinger hofft mit seiner Kunde eine Scheidung seiner Schwester von dem unwürdigen Manne zu erzwingen. Bei dieser Ge¬ legenheit enthüllt aber die vortreffliche Frau ihre innerste Gesinnung und erklärt, daß sie sich unter keinen Umständen von ihrem Manne trennen, die Einheit des Hauses zerstören und Verachtung gegen den Vater in das Herz der Kinder streuen werde. Hart und herb sagt ihr dagegen der Bruder voraus, daß ihre Hoffnungen auf Werners sittliche Umkehr und Läuterung sich als Täuschungen erweisen werden, und in der That taumelt Werner dem Abgrunde weiter zu, in welchen maßlose Leidenschaftlichkeit Menschen seiner Art stürzt. Freilich nicht, ohne daß der letzten Katastrophe ein täuschendes Zwischenspiel vorangeht. Die Verlobung seines inzwischen herangewachsenen Sohnes und die Heirat des¬ selben mit einem vortrefflichen Mädchen bringt noch einmal eine innere Ver- Grcnzbotcn I. 1388. 31

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/249>, abgerufen am 28.09.2024.