Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Gskcir von Redwitz und sein neuester Roman.

starker sinnlicher Leidenschaftlichkeit ein Mensch geworden, der sich nicht mehr in
völliger Übereinstimmung mit seinen Lebenskreisen befindet und dessen Heirat
mit der Tochter aus einem schlicht patriarchalischen Elternhause in nächsten und
fernern Umgebungen Aussehen erregt. Schon in der Einleitung des Romans
beginnt nach unsrer Empfindung die UnWirklichkeit; der Widerwille des alten
Herrn von Klinger-Welletz gegen Goos ist mit so starken Farben, aufgetragen,
daß er wenigstens als ein cntschiedner Ausnahmefall erscheinen müßte, denn im all¬
gemeinen liegt die Tragik solcher Heiraten, wie die hier geschilderte, in der bei den
Eltern der Braut herrschenden Auffassung, daß man nach dem Vorleben des
Bräutigams gar nicht zu fragen habe, und daß es nur gut sei, wenn der junge
Mann vor der Ehe ausgerast habe, wie die Holländer sagen. Die Begegnung
auf der Hochzeitsreise im Pariser Bois de Boulogne, die aus der Vergangenheit
heraus und leider anch für die Zukunft prophetisch den ersten Schatten in das
lichte, junge Eheglück von Werner und Irene von Goos wirft, müßte ja leider
für beinahe so viele von Werners Standes- und Altersgenossen möglich sein,
als deren Paris betreten haben. Sobald die jungen Eheleute ans ihrem Gute
und Schlosse sitzen, stellt sich der erste Zwiespalt heraus. Irene hat ange¬
nommen, daß der Gatte sich fortan seiner Berufsarbeit, der Bewirtschaftung
seines Gutes, widmen werde, Werner erklärt stolz, daß er sich nicht zum Kraut¬
junker, seine Frau nicht zur obersten Wirtschafterin erniedrigen werde. Er er-
giebt sich dilettirenden Beschäftigungen mit Poesie und Musik und stürzt sich
in leeres und nichtiges Gesellschaftsgetümmel, in welchem sich denn doch hie
und da ein besseres Gefühl in ihm regt und ihn zu kurz vorübergehenden Ver¬
suchen treibt, den vor ihm liegenden Pflichten Genüge zu thun. Der Dämon
maßloser Eitelkeit, der ihn angeblich begleitet, kann dabei so stark und allmächtig
nicht sein, denn die Selbsterkenntnis, die er zu Zeiten an den Tag legt, steht
damit in auffälligen Widersprüche. Ein durch und durch eitler Mensch würde
nicht einmal sähig sein, die tiefern Vorzüge feiner jungen Frau im Geheimen
einzusehen, wie es Werner von Goos vorübergehend thut. Jedenfalls wird der
phantastische Landedelmann, der so viel künstlerische Talente und Neigungen
hat und doch kein Künstler ist, und der -- norribilö allow -- im Winter nicht
einmal an der gesunden Zerstreuung der Jagd Gefallen findet, seines jungen
Heimwesens noch vor der Geburt des ersten Kindes müde, und fängt auf häu¬
figen Ausflügen nach Berlin an, seine Freuden außerhalb des Hauses zu suchen.
Die Geburt eines Sohnes und Erben erweckt für kurze Zeit noch einmal einen
guten Geist in ihm, aber dieser überdauert eben kaum eine bedrohliche Krankheit
der jungen Frau, stellt sich dann nur noch zu flüchtigen Besuchen ein und
verhüllt vollends sein Antlitz, als sich Werner auf einer Reise, die er zu hippo-
logischen Zwecken nach England unternommen hat, auf der Rückreise wieder
nach Paris verirrt. Von hier an ist in dem Niedergange dieser unseligen Natur
kein Haltens mehr; er lebt, so viel es immer gehen will, in der Hauptstadt, so


Gskcir von Redwitz und sein neuester Roman.

starker sinnlicher Leidenschaftlichkeit ein Mensch geworden, der sich nicht mehr in
völliger Übereinstimmung mit seinen Lebenskreisen befindet und dessen Heirat
mit der Tochter aus einem schlicht patriarchalischen Elternhause in nächsten und
fernern Umgebungen Aussehen erregt. Schon in der Einleitung des Romans
beginnt nach unsrer Empfindung die UnWirklichkeit; der Widerwille des alten
Herrn von Klinger-Welletz gegen Goos ist mit so starken Farben, aufgetragen,
daß er wenigstens als ein cntschiedner Ausnahmefall erscheinen müßte, denn im all¬
gemeinen liegt die Tragik solcher Heiraten, wie die hier geschilderte, in der bei den
Eltern der Braut herrschenden Auffassung, daß man nach dem Vorleben des
Bräutigams gar nicht zu fragen habe, und daß es nur gut sei, wenn der junge
Mann vor der Ehe ausgerast habe, wie die Holländer sagen. Die Begegnung
auf der Hochzeitsreise im Pariser Bois de Boulogne, die aus der Vergangenheit
heraus und leider anch für die Zukunft prophetisch den ersten Schatten in das
lichte, junge Eheglück von Werner und Irene von Goos wirft, müßte ja leider
für beinahe so viele von Werners Standes- und Altersgenossen möglich sein,
als deren Paris betreten haben. Sobald die jungen Eheleute ans ihrem Gute
und Schlosse sitzen, stellt sich der erste Zwiespalt heraus. Irene hat ange¬
nommen, daß der Gatte sich fortan seiner Berufsarbeit, der Bewirtschaftung
seines Gutes, widmen werde, Werner erklärt stolz, daß er sich nicht zum Kraut¬
junker, seine Frau nicht zur obersten Wirtschafterin erniedrigen werde. Er er-
giebt sich dilettirenden Beschäftigungen mit Poesie und Musik und stürzt sich
in leeres und nichtiges Gesellschaftsgetümmel, in welchem sich denn doch hie
und da ein besseres Gefühl in ihm regt und ihn zu kurz vorübergehenden Ver¬
suchen treibt, den vor ihm liegenden Pflichten Genüge zu thun. Der Dämon
maßloser Eitelkeit, der ihn angeblich begleitet, kann dabei so stark und allmächtig
nicht sein, denn die Selbsterkenntnis, die er zu Zeiten an den Tag legt, steht
damit in auffälligen Widersprüche. Ein durch und durch eitler Mensch würde
nicht einmal sähig sein, die tiefern Vorzüge feiner jungen Frau im Geheimen
einzusehen, wie es Werner von Goos vorübergehend thut. Jedenfalls wird der
phantastische Landedelmann, der so viel künstlerische Talente und Neigungen
hat und doch kein Künstler ist, und der — norribilö allow — im Winter nicht
einmal an der gesunden Zerstreuung der Jagd Gefallen findet, seines jungen
Heimwesens noch vor der Geburt des ersten Kindes müde, und fängt auf häu¬
figen Ausflügen nach Berlin an, seine Freuden außerhalb des Hauses zu suchen.
Die Geburt eines Sohnes und Erben erweckt für kurze Zeit noch einmal einen
guten Geist in ihm, aber dieser überdauert eben kaum eine bedrohliche Krankheit
der jungen Frau, stellt sich dann nur noch zu flüchtigen Besuchen ein und
verhüllt vollends sein Antlitz, als sich Werner auf einer Reise, die er zu hippo-
logischen Zwecken nach England unternommen hat, auf der Rückreise wieder
nach Paris verirrt. Von hier an ist in dem Niedergange dieser unseligen Natur
kein Haltens mehr; er lebt, so viel es immer gehen will, in der Hauptstadt, so


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0248" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202347"/>
          <fw type="header" place="top"> Gskcir von Redwitz und sein neuester Roman.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_895" prev="#ID_894" next="#ID_896"> starker sinnlicher Leidenschaftlichkeit ein Mensch geworden, der sich nicht mehr in<lb/>
völliger Übereinstimmung mit seinen Lebenskreisen befindet und dessen Heirat<lb/>
mit der Tochter aus einem schlicht patriarchalischen Elternhause in nächsten und<lb/>
fernern Umgebungen Aussehen erregt. Schon in der Einleitung des Romans<lb/>
beginnt nach unsrer Empfindung die UnWirklichkeit; der Widerwille des alten<lb/>
Herrn von Klinger-Welletz gegen Goos ist mit so starken Farben, aufgetragen,<lb/>
daß er wenigstens als ein cntschiedner Ausnahmefall erscheinen müßte, denn im all¬<lb/>
gemeinen liegt die Tragik solcher Heiraten, wie die hier geschilderte, in der bei den<lb/>
Eltern der Braut herrschenden Auffassung, daß man nach dem Vorleben des<lb/>
Bräutigams gar nicht zu fragen habe, und daß es nur gut sei, wenn der junge<lb/>
Mann vor der Ehe ausgerast habe, wie die Holländer sagen. Die Begegnung<lb/>
auf der Hochzeitsreise im Pariser Bois de Boulogne, die aus der Vergangenheit<lb/>
heraus und leider anch für die Zukunft prophetisch den ersten Schatten in das<lb/>
lichte, junge Eheglück von Werner und Irene von Goos wirft, müßte ja leider<lb/>
für beinahe so viele von Werners Standes- und Altersgenossen möglich sein,<lb/>
als deren Paris betreten haben. Sobald die jungen Eheleute ans ihrem Gute<lb/>
und Schlosse sitzen, stellt sich der erste Zwiespalt heraus. Irene hat ange¬<lb/>
nommen, daß der Gatte sich fortan seiner Berufsarbeit, der Bewirtschaftung<lb/>
seines Gutes, widmen werde, Werner erklärt stolz, daß er sich nicht zum Kraut¬<lb/>
junker, seine Frau nicht zur obersten Wirtschafterin erniedrigen werde. Er er-<lb/>
giebt sich dilettirenden Beschäftigungen mit Poesie und Musik und stürzt sich<lb/>
in leeres und nichtiges Gesellschaftsgetümmel, in welchem sich denn doch hie<lb/>
und da ein besseres Gefühl in ihm regt und ihn zu kurz vorübergehenden Ver¬<lb/>
suchen treibt, den vor ihm liegenden Pflichten Genüge zu thun. Der Dämon<lb/>
maßloser Eitelkeit, der ihn angeblich begleitet, kann dabei so stark und allmächtig<lb/>
nicht sein, denn die Selbsterkenntnis, die er zu Zeiten an den Tag legt, steht<lb/>
damit in auffälligen Widersprüche. Ein durch und durch eitler Mensch würde<lb/>
nicht einmal sähig sein, die tiefern Vorzüge feiner jungen Frau im Geheimen<lb/>
einzusehen, wie es Werner von Goos vorübergehend thut. Jedenfalls wird der<lb/>
phantastische Landedelmann, der so viel künstlerische Talente und Neigungen<lb/>
hat und doch kein Künstler ist, und der &#x2014; norribilö allow &#x2014; im Winter nicht<lb/>
einmal an der gesunden Zerstreuung der Jagd Gefallen findet, seines jungen<lb/>
Heimwesens noch vor der Geburt des ersten Kindes müde, und fängt auf häu¬<lb/>
figen Ausflügen nach Berlin an, seine Freuden außerhalb des Hauses zu suchen.<lb/>
Die Geburt eines Sohnes und Erben erweckt für kurze Zeit noch einmal einen<lb/>
guten Geist in ihm, aber dieser überdauert eben kaum eine bedrohliche Krankheit<lb/>
der jungen Frau, stellt sich dann nur noch zu flüchtigen Besuchen ein und<lb/>
verhüllt vollends sein Antlitz, als sich Werner auf einer Reise, die er zu hippo-<lb/>
logischen Zwecken nach England unternommen hat, auf der Rückreise wieder<lb/>
nach Paris verirrt. Von hier an ist in dem Niedergange dieser unseligen Natur<lb/>
kein Haltens mehr; er lebt, so viel es immer gehen will, in der Hauptstadt, so</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0248] Gskcir von Redwitz und sein neuester Roman. starker sinnlicher Leidenschaftlichkeit ein Mensch geworden, der sich nicht mehr in völliger Übereinstimmung mit seinen Lebenskreisen befindet und dessen Heirat mit der Tochter aus einem schlicht patriarchalischen Elternhause in nächsten und fernern Umgebungen Aussehen erregt. Schon in der Einleitung des Romans beginnt nach unsrer Empfindung die UnWirklichkeit; der Widerwille des alten Herrn von Klinger-Welletz gegen Goos ist mit so starken Farben, aufgetragen, daß er wenigstens als ein cntschiedner Ausnahmefall erscheinen müßte, denn im all¬ gemeinen liegt die Tragik solcher Heiraten, wie die hier geschilderte, in der bei den Eltern der Braut herrschenden Auffassung, daß man nach dem Vorleben des Bräutigams gar nicht zu fragen habe, und daß es nur gut sei, wenn der junge Mann vor der Ehe ausgerast habe, wie die Holländer sagen. Die Begegnung auf der Hochzeitsreise im Pariser Bois de Boulogne, die aus der Vergangenheit heraus und leider anch für die Zukunft prophetisch den ersten Schatten in das lichte, junge Eheglück von Werner und Irene von Goos wirft, müßte ja leider für beinahe so viele von Werners Standes- und Altersgenossen möglich sein, als deren Paris betreten haben. Sobald die jungen Eheleute ans ihrem Gute und Schlosse sitzen, stellt sich der erste Zwiespalt heraus. Irene hat ange¬ nommen, daß der Gatte sich fortan seiner Berufsarbeit, der Bewirtschaftung seines Gutes, widmen werde, Werner erklärt stolz, daß er sich nicht zum Kraut¬ junker, seine Frau nicht zur obersten Wirtschafterin erniedrigen werde. Er er- giebt sich dilettirenden Beschäftigungen mit Poesie und Musik und stürzt sich in leeres und nichtiges Gesellschaftsgetümmel, in welchem sich denn doch hie und da ein besseres Gefühl in ihm regt und ihn zu kurz vorübergehenden Ver¬ suchen treibt, den vor ihm liegenden Pflichten Genüge zu thun. Der Dämon maßloser Eitelkeit, der ihn angeblich begleitet, kann dabei so stark und allmächtig nicht sein, denn die Selbsterkenntnis, die er zu Zeiten an den Tag legt, steht damit in auffälligen Widersprüche. Ein durch und durch eitler Mensch würde nicht einmal sähig sein, die tiefern Vorzüge feiner jungen Frau im Geheimen einzusehen, wie es Werner von Goos vorübergehend thut. Jedenfalls wird der phantastische Landedelmann, der so viel künstlerische Talente und Neigungen hat und doch kein Künstler ist, und der — norribilö allow — im Winter nicht einmal an der gesunden Zerstreuung der Jagd Gefallen findet, seines jungen Heimwesens noch vor der Geburt des ersten Kindes müde, und fängt auf häu¬ figen Ausflügen nach Berlin an, seine Freuden außerhalb des Hauses zu suchen. Die Geburt eines Sohnes und Erben erweckt für kurze Zeit noch einmal einen guten Geist in ihm, aber dieser überdauert eben kaum eine bedrohliche Krankheit der jungen Frau, stellt sich dann nur noch zu flüchtigen Besuchen ein und verhüllt vollends sein Antlitz, als sich Werner auf einer Reise, die er zu hippo- logischen Zwecken nach England unternommen hat, auf der Rückreise wieder nach Paris verirrt. Von hier an ist in dem Niedergange dieser unseligen Natur kein Haltens mehr; er lebt, so viel es immer gehen will, in der Hauptstadt, so

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/248
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/248>, abgerufen am 28.09.2024.